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Presse

Europa: „Gipfel der Kurzsichtigkeit“

27. Juni 2018

EU-Gipfel: Pläne über Erstaufnahmezentren in EU-Drittstaaten sind verantwortungslos und kurzsichtig

Die europäischen Staaten brauchen dringend ein effizientes und solidarisches Asylsystem, fordert Amnesty International im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rats am 28. und 29. Juni, bei der unter anderem das Thema Migration diskutiert wird.

„Anstatt sich darauf zu konzentrieren, eine menschenrechtskonforme Einigung über ein asylrechtliches Schutzsystem zu erzielen, spielen einige Politiker*innen – allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz – allen Ernstes mit dem Gedanken, Erstaufnahmezentren in EU-Drittstaaten zu schaffen. Sollte dieser Plan tatsächlich umgesetzt werden, könnte dieses Treffen als Gipfel der Kurzsichtigkeit in die Geschichte eingehen. Denn die EU-Staats- und Regierungschefs ignorieren damit ihre völkerrechtliche Verantwortung gegenüber Menschen auf der Flucht. Der Versuch, Schutzsuchende in Staaten wie Libyen auszulagern – Länder, die für ihre Instabilität und als Orte von Menschenrechtsverletzungen bekannt sind – ist eine ebenso verantwortungslose wie kurzsichtige Idee“, sagte Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich.

Ein im Dezember 2017 veröffentlichter Amnesty-Bericht zeigte auf, dass Tausende Geflüchtete und Migrant*innen in Libyen gefoltert und misshandelt wurden – im Wissen und unter Duldung von europäischen Regierungen.

Der Versuch, Schutzsuchende in Staaten wie Libyen auszulagern – Länder, die für ihre Instabilität und als Orte von Menschenrechtsverletzungen bekannt sind – ist eine ebenso verantwortungslose wie kurzsichtige Idee.

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich

„Unsere Recherchen in Libyen haben wiederholt gezeigt: Indem die EU-Mitgliedstaaten Geflüchtete und Migrant*innen nach Libyen zurückschicken, machen sie sich für Misshandlungen und Folter mitverantwortlich. Dass Libyen immer noch als möglicher Partner genannt wird, ist schlicht menschenverachtend“, sagte Heinz Patzelt, und weiter:

„Die Verantwortung für die Aufnahme von Migrant*innen und Geflüchteten auf Nachbarländer zu übertragen, mag in einer humanitär vollkommen verwahrlosten Welt verlockend erscheinen. Doch diese Logik geht an der Realität vorbei. Die Etablierung von Erstaufnahmezentren in EU-Drittstaaten wirft schwierigste menschenrechtliche Fragen auf, die die EU-Staaten nicht beantworten können“, sagte Heinz Patzelt.

Darunter fällt etwa die Frage, welcher Standard bei den Asylverfahren gelten soll, oder in welchem Land jene Menschen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird, innerhalb der EU aufgenommen werden. Und nicht zuletzt: Welche Gerichte welchen Landes können von den Betroffenen angerufen werden, damit menschenrechtliche Mindeststandards der Europäischen Menschenrechtskonvention eingehalten werden?

Auch die Etablierung von Erstaufnahmezentren in EU-Drittstaaten erscheint nur auf den ersten Blick als machbare Lösung. Tatsächlich sei das eine völlig jenseitige Idee, weil sich die EU-Staaten damit in eine völkerrechtliche Sackgasse begeben, sagte Heinz Patzelt. Wie und durch wen werden die Menschen während der Dauer der Asylverfahren versorgt? Wie lange dürfen die Menschen in den Zentren angehalten werden?

„Solange die EU-Mitgliedsstaaten diese Fragen nicht beantworten können, müssen sie sowohl untereinander als auch mit den Regionen außerhalb Europas bessere Lösungen finden. Und zwar jene, die tatsächlich menschenrechtskonform sind“, sagte Heinz Patzelt, und weiter:

„Im Grunde geht es den EU-Staaten beim Thema Asyl aktuell nur darum, gut klingende Lösungen zu produzieren. Mit Erstaufnahmezentren in EU-Drittstaaten werden die Regierungschefs die Herausforderung nicht lösen, sondern nur auslagern – auf Kosten von Tausenden Menschen.

Im Grunde geht es den EU-Staaten beim Thema Asyl aktuell nur darum, gut klingende Lösungen zu produzieren. Mit Erstaufnahmezentren in EU-Drittstaaten werden die Regierungschefs die Herausforderung nicht lösen, sondern nur auslagern – auf Kosten von Tausenden Menschen.

Heinz Patzelt

Österreichische Politiker*innen haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen und ihren Rechten. Ihre Entscheidungen dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass es zu Menschenrechtsverletzungen kommt – sei es in Österreich, in Europa oder außerhalb davon.“

Hintergrund

Auf der Tagung des Europäischen Rates sollen sich die Staats- und Regierungschefs der EU unter anderem auf Maßnahmen zur Verstärkung der Kontrolle der EU-Außengrenzen einigen. Zu diesen Maßnahmen gehört die verstärkte Unterstützung der libyschen Küstenwache und anderer libyscher Einrichtungen, die Amnesty International wiederholt kritisiert hat, weil sie zu Menschenrechtsverletzungen und zur Abschiebung von Menschen zurück nach Libyen geführt hat, wo sie Missbrauch und Gewalt ausgesetzt sind.

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