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EU-Staaten: Gemeinsam Verantwortung übernehmen und Menschenleben retten

30. September 2014

Mindestens 2.500 Tote gab es seit Jahresbeginn im Mittelmeer. Italien wird bei der Rettung von Flüchtlingen im Stich gelassen.

 

Tausende Flüchtlinge und Migranten sterben bei dem verzweifelten Versuch, Europas Küsten zu erreichen. Ein Jahr nach den gesunkenen Flüchtlingsbooten vor der Küste Lampedusas, die im Oktober 2013 mehr als 500 Menschen das Leben kosteten und nachdem sich die EU-Chefs in tiefer Betroffenheit zeigten, kritisiert Amnesty International die beschämende Untätigkeit der Europäischen Union.

 

Der heute in Brüssel vorgestellte Bericht „Lives adrift: Refugee and migrants in peril in the central Mediterranean” dokumentiert die Ergebnisse von drei Recherchereisen im Sommer 2014 nach Italien und Malta. Dabei wurde auch ein Boot der italienischen Marine begleitet. Interviews mit Überlebenden, Experten und Behörden zeigen die Gefahren, die jene erwarten, die vor Krieg, Verfolgung und Armut über das Mittelmeer fliehen.

„Die Rechnung ‘Wenn wir nur abschreckend genug sind, dann kommt auch niemand mehr‘ geht nicht auf. Sie übersieht, dass diesen Menschen nur das nackte Überleben geblieben ist. die Abschottung der Landgrenzen im Südosten Europas treibt verzweifelte Menschen aufs Meer hinaus. Wer nichts zu verlieren hat, den werden auch desolate Boote nicht abschrecken“, sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich.

2014 haben bereits mehr als 130.000 Menschen das europäische Festland erreicht. Die meisten von ihnen wurden von der italienischen Marine gerettet, statistisch überlebt jeder 51. Flüchtling oder Migrant die Überfahrt nicht. „Mehr als 2500 Menschen sind seit Beginn des Jahres auf dem Weg von Nordafrika nach Europa ertrunken oder verschwunden. Europa darf diese Tragödie, die sich in unserem Meer abspielt, nicht ignorieren! Die Europäische Union muss mehr Such- und Rettungsaktionen für das Mittelmeer bereitstellen. Schiffe, die die Aufgabe haben Menschenleben auf hoher See zu retten und die auch entsprechend ausgerüstet sind,“ sagt Patzelt.

Der Bericht identifiziert strukturelle Schwachstellen der Seenotrettung im Mittelmeer und fordert für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, sichere und legale Wege nach Europa. Dies kann durch Resettlement-Programme, Hilfe bei Familienzusammenführung und humanitäre Aufnahmeprogramme geschehen. Weiters wird eine grundlegende Reform des Dublin Abkommens gefordert, um EU-weit wirksame Aufnahme und Verteilungsregeln sicherzustellen.

Ich kann das Meer nicht ansehen, ich habe meinen Freund Yahea verloren. Vielleicht habe ich auch meine Seele und den Verstand im Meer verloren. Ich hasse das Meer, ich kann es nicht ansehen.

Mohammed Kazinki, 22, Student aus Syrien

In Italien und Malta sprach Amnesty International mit mehr als 50 Flüchtlingen und Migrant*innen. Die meisten erzählten von Schlägen und überfüllten Booten. Mohammed, eine 20-jähriger aus Damaskus in Syrien, erzählte Amnesty International:

„Als wir Libyen verließen waren wir 400 Erwachsene und ungefähr 100 Kinder. Wir mussten zunächst auf ein Ruderboot um das größere Boot zu erreichen. Zuerst konnte ich das größere Boot nicht sehen und als ich es sah, war es furchtbar. Ich wollte nicht an Bord gehen, doch die Schlepper bedrohten mich mit einer Schusswaffe. Es hat zwei Stunden gedauert, alle an Bord des Boots zu bekommen. Um ungefähr 2 Uhr hörte ich Schüsse. Ein Boot mit bewaffneten Männern versuchte unser Boot zu stoppen. Vier Stunden versuchten sie uns aufzuhalten und schossen von allen Seiten. Als der Morgen graute, verschwanden sie. Unser beschädigtes Boot schaukelte. Wir warfen unser gesamtes Gepäck und unsere Rettungswesten ins Meer. Wir wollten doch leben!“

Bisher reagierte Italien als einziges EU Land auf das Sterben im Mittelmeer und rief die „Operation Mare Nostrum“ ins Leben. Ein bedeutender Teil der italienischen Marine wurde umfunktioniert um die Seenotrettung im Mittelmeer zu übernehmen.

„Wir brauchen endlich einen gemeinsamen europäischen Vorstoß, um die Situation gemeinsam meistern zu können. Trotz der Gefahren und der Abschottungspolitik der EU werden Migrant*innen und Flüchtlinge weiterhin ihr Leben und das Leben ihrer Kinder riskieren, um Krieg, Menschenrechtsverletzungen und Armut zu entgehen. Die EU-Staaten sind hier in der Verantwortung. Ihre Politik drängt die Menschen auf diese gefährliche Reise, wir dürfen sie nicht ihrem Schicksal überlassen“, schließt Patzelt.