Darüber hinaus müssen auch neue nationale und internationale Mechanismen in Betracht gezogen werden. Ein Beispiel dafür ist der begrüßenswerte Beschluss des Menschenrechtsrats vom März 2022, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen. Solche Mechanismen könnten das internationale Justizsystem in Bezug auf die große Zahl von Kriegsverbrechen stärken. Zu diesen gehört auch das Verbrechen der Aggression, das aufgrund der begrenzten Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) bisher nicht verfolgt werden kann.
„Wir müssen nicht nur sicherstellen, dass die richtigen Mechanismen vorhanden sind, sondern auch dafür sorgen, dass die Personen, die für völkerrechtliche Verbrechen verantwortlich sind, vor Gericht gestellt werden und die Konsequenzen für ihr skrupelloses Handeln tragen müssen. Dazu gehört auch, dass gegen hochrangige militärische Befehlshaber und zivile Führungskräfte wegen Kriegsverbrechen und des Verbrechens der Aggression nach dem Völkerrecht ermittelt wird“, so Agnès Callamard.
Die Entwicklung solcher Verfahren kann komplex sein, aber es ist unbedingt erforderlich, dass nicht nur gegen die direkt Verantwortlichen auf niedriger Ebene, sondern auch gegen die höheren Ebenen der Befehlskette ermittelt wird. Wo auch immer Gerichtsverfahren stattfinden, müssen sie den internationalen Menschenrechtsstandards und den Standards für faire Gerichtsverfahren entsprechen, wobei die Überlebenden und ihre Bedürfnisse umfassend berücksichtigt werden müssen.
„Angesichts der Kriege, die in allen Teilen der Welt wüten und unsägliches Leid unter der Zivilbevölkerung verursachen, muss dies zu einer Blaupause für alle Konflikte werden. Die erste beispiellose Reaktion der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs, sollte der Mindeststandard für die internationale Justiz sein“, sagte Agnès Callamard.
Die internationale Gemeinschaft muss faire, wirksame und unparteiische Ermittlungen unterstützen. Die Staaten sollten die Ukraine auffordern, das Römische Statut zu ratifizieren, um ihr nationales Recht mit den Rechtsstandards im Bereich der internationalen Justiz in Einklang zu bringen, und die Zusammenarbeit mit dem IStGH zu verstärken. Gerechtigkeit für die Ukraine bedeutet auch, dass die Länder mit universeller Gerichtsbarkeit prüfen, wie dieser Mechanismus für die ukrainische Bevölkerung eingesetzt werden kann.
Humanitäre Unterstützung
Bei der Bereitstellung von Unterstützung muss die internationale Gemeinschaft die besonderen Bedürfnisse von Risikogruppen – wie Frauen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Kinder – berücksichtigen. Sie muss bedenken, dass viele Menschen, darunter auch Kinder, aus der Ukraine nach Russland verschleppt oder in die von Russland besetzten Gebiete zwangsumgesiedelt wurden und nicht sicher nach Hause zurückkehren können. Diese Gruppen müssen vorrangig behandelt werden, und die gesamte humanitäre Hilfe für sie sollte auf ihre besonderen Bedürfnisse zugeschnitten sein.
Die Zusammenarbeit mit ukrainischen zivilgesellschaftlichen Organisationen ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um die Bedürfnisse der Überlebenden in den Vordergrund zu stellen und die praktische Umsetzung der wirtschaftlichen und humanitären Hilfe zu gewährleisten. Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass diese Zusammenarbeit in einer Weise erfolgt, die Transparenz, Effektivität und Sensibilität für die Betroffenen gewährleistet – und zwar während des gesamten Prozesses der humanitären Hilfe, des Wiederaufbaus, der Strafverfolgung der Verantwortlichen und der Wiedergutmachung.