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Drastische Anti-Terrorgesetze: Schweiz plant präventiven Freiheitsentzug

16. Jänner 2020

Zusammenfassung

  • Selbst Kinder ab 12 Jahren könnten von polizeilichen Maßnahmen betroffen sein – fehlende Schutzmechanismen könnten zu willkürlicher und diskriminierender Anwendung führen, warnt Amnesty International
  • Der geplante „präventive Hausarrest“ zeigt Parallelen zur angekündigten Sicherungshaft in Österreich
  • Amnesty International fordert Rechtskommission des Ständerats in der Schweiz auf, die Pläne zurückzuweisen

In der Schweiz sind drastische Anti-Terrorgesetze geplant, die der Polizei weitreichende Befugnisse einräumen, um „potentielle terroristische Straftäter*innen“ – einschließlich Kinder im Alter von nur 12 Jahren – ins Visier zu nehmen. Die Rechtskommission des Ständerats prüft heute den Entwurf erstmals und gibt ihre Empfehlung ab. Amnesty International fordert vor der wichtigen Sitzung die Rechtskommission dringend auf, die Pläne zurückzuweisen.

Mit der neuen Anti-Terrorismus-Gesetzgebung soll eine Person in der Schweiz einzig aufgrund der vagen Annahme, dass sie – in der Zukunft – eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen könnte, mit einschneidenden Maßnahmen belegt werden können. Ihre Bewegungs-, Meinungsäußerung- und Vereinigungsfreiheit, ihr Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und ihr Recht auf Arbeit könnten so eingeschränkt werden. Die Polizei könnte beispielsweise Hausarrest, Reiseverbote und elektronische Überwachung anordnen – mit wenig bis gar keinem Schutz vor Missbrauch.

„Wenn die Polizei glaubt, dass eine Person eine Bedrohung darstellt, soll sie gegen den Verdächtigen ermitteln und ihn im Rahmen eines fairen gerichtlichen Verfahrens anklagen und strafrechtlich verfolgen. So funktioniert das Strafrecht“, sagte Julia Hall, Expertin von Amnesty International für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte in Europa, und sagt weiter:

 

Wenn man den Behörden die Macht gibt, die Freiheiten einer Person drastisch einzuschränken, nicht aufgrund dessen, was sie getan hat, sondern aufgrund dessen, was sie in Zukunft tun könnte, öffnet man dem Missbrauch Tür und Tor.

Julia Hall, Expertin von Amnesty International für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte in Europa

„Die Maßnahmen, die teils bereits für Kinder im Alter von 12 Jahren gelten, beinhalten keine angemessenen Schutzmechanismen, was zu willkürlicher und diskriminierender Anwendung führen könnte", sagt Julia Hall.

Amnesty International hat zusammen mit der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, einem Zusammenschluss von über 80 Nichtregierungsorganisationen, die vom Bundesrat präsentierten Gesetzesentwürfe scharf kritisiert.

Parallelen zur geplanten Sicherungshaft in Österreich

Auch wenn zur Ausgestaltung der geplanten Sicherungshaft der neuen Regierung in Österreich noch viele Fragen offen sind, erscheint die geplante Regelung in der Schweiz zumindest in Grundzügen damit vergleichbar: Nach den Plänen der österreichischen Regierung soll eine Person aufgrund der Annahme, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden könnte, verhaftet werden können. Wie in der Schweiz soll daher die Möglichkeit eines präventiven Freiheitsentzugs geschaffen werden.

Amnesty International lehnt diese Sicherungshaft ab. Sie ist insbesondere nicht mit dem österreichischen Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit vereinbar:

 

Kein Mensch darf willkürlich weggesperrt werden. Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Freiheit.

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich

„In Österreich gibt es bereits zahlreiche Arten von Freiheitsbeschränkungen, von der Untersuchungshaft bis zur Unterbringung. Es gibt hier keine Lücke, die zu schließen wäre, die unser Leben sicherer machen würde.“

„Die Bedrohung, die von terroristischen Anschlägen ausgeht ist real und muss entschieden bekämpft werden. Das steht außer Frage. Die Lösungen, die dafür gefunden werden, müssen aber mit den Grund- und Menschenrechten vereinbar sein. Die Rolle des Staates besteht darin, den Menschen Sicherheit zu bieten, damit sie ihre Rechte in Anspruch nehmen können. Und nicht darin, die Rechte der Menschen im Namen der Sicherheit einzuschränken“, sagt Heinz Patzelt.

Hintergrund: Die geplanten Regelungen in der Schweiz im Detail

Das vorgeschlagene Bundesgesetz über die polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (PMT) sieht u. a. neben anderen Maßnahmen auch einen präventiven Hausarrest vor, der nach dem letzten Stand des Gesetzesprojekts sogar auf unbestimmte Zeit verlängert werden könnte. Der präventive Hausarrest soll bereits für Menschen ab 15 Jahren gelten, andere, in dem Gesetz vorgesehene Maßnahmen sogar für Kinder ab 12 Jahren.

Das Bundesamt für Polizei fedpol könnte Maßnahmen gegen potentiell Verdächtige gemäß dem neuen Gesetz weitgehend nach freiem Ermessen anordnen. In den meisten Fällen bräuchte die Behörde keine vorherige richterliche Genehmigung, sondern könnte den Entscheid lediglich auf vage Vermutungen stützen, die darauf hindeuten, dass eine Person zu einem späteren Zeitpunkt eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen könnte. Diese Schwelle ist viel zu niedrig angesetzt. Sie garantiert keine Rechtssicherheit und sie birgt die Gefahr missbräuchlicher Anwendung.

Ein solcher Ermessensspielraum benachteiligt eine betroffene Person klar – in Verbindung mit dem beinahe gänzlichen Fehlen prozessualer Garantien wie des Rechts auf eine kontradiktorische Anhörung vor einem Gericht, die das Bestreiten der Verdachtsmomente ermöglichen und den für eine wirksame Anfechtung der Maßnahme erforderlichen Zugang zu den notwendigen Dokumenten gewährleisten würde. Die Gesetzesvorlage setzt sich über den Grundsatz der „Waffengleichheit“ für den Verdächtigten hinweg.

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