Brasilien: Illegale Rinderfarmen für die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes verantwortlich
26. November 2019Zusammenfassung
- Rinderfarmen sind der häufigste Grund für illegale Landnahmen im brasilianischen Amazonas-Regenwald
- Amnesty-Recherchen vor Ort zeigen: Behörden unterstützen illegale Rinderhaltung, während die Regierung Bolsonaro auf Bundesebene den Umweltschutz beschneidet; Satellitenbilder und offizielle Daten liefern Beweise für Rinderfarmen in Schutzgebieten
- Amnesty International Brasilien und Sprecher*innen indigener Gemeinschaften übergeben Petition an die Regierung Bolsonaro und fordern Maßnahmen
Ein neuer Bericht von Amnesty International dokumentiert, wie Behörden illegale Viehzucht in Schutzgebieten des Amazonas-Regenwaldes effektiv unterstützen. Sie gefährden damit nicht nur die Menschenrechte der dort lebenden Bevölkerung, sondern auch das Ökosystem unseres Planeten, sagt Richard Pearshouse, leitender Krisen- und Umweltexperte bei Amnesty International: „Während die Regierung Bolsonaro den Umweltschutz auf Bundesebene beschneidet, unterstützen einige bundesstaatliche Behörden effektiv die illegale Rinderhaltung, die Schutzgebiete des Regenwaldes zerstört."
Illegale Rinderhaltung hat den größten Anteil an der Abholzung im Amazonasgebiet. Sie stellt eine äußerst reale Gefahr dar. Nicht nur für die Menschenrechte dort lebender indigener und traditioneller Gemeinschaften, sondern auch für das gesamte Ökosystem unseres Planeten.
Richard Pearshouse, leitender Krisen- und Umweltexperte bei Amnesty International
"Der vorliegende Bericht ist Teil unserer fortlaufenden Untersuchung der menschenrechtlichen Auswirkungen von Rinderfarmen und illegaler Rodungen im brasilianischen Amazonasgebiet. Die Unternehmen in diesem Sektor sind gewarnt: Die brasilianische Rinderzucht wird in Zukunft genauer unter die Lupe genommen werden“, so Richards Pearshouse weiter.
Für den Bericht Fence off and bring cattle: Illegal cattle farming in Brazil’s Amazon besuchte das Krisenteam von Amnesty International fünf Schutzgebiete im brasilianischen Amazonasgebiet. Offizielle Daten, Satellitenbilder und Besuche von Amnesty International vor Ort zeigen, dass illegale Landnahmen, meist in Zusammenhang mit Rinderfarmen, in allen fünf Gebieten zunehmen.
Der Bericht wird parallel zur Überreichung einer weltweiten Petition von Amnesty International Brasilien und Sprecher*innen indigener Gemeinschaften aus dem Amazonasgebiet an die brasilianischen Behörden veröffentlicht. In der von 162.000 Menschen unterstützten Petition werden die Behörden aufgefordert, die illegale Landnahme in geschützten Gebieten am Amazonas zu stoppen.
Rund zwei Drittel der zwischen 1988 und 2014 abgeholzten Gebiete des Amazonas wurden abgezäunt, niedergebrannt und in Weideland umgewandelt. Mit fast 500.000 km2 ist diese Fläche fast fünfmal so groß wie Portugal.
Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Nutzfläche ist gängige Praxis
Viehzüchter*innen und grileiros – Privatpersonen, die sich illegal Land aneignen – folgen einer weit verbreiteten Vorgehensweise zur Umwandlung tropischen Regenwaldes in Weideland. Waldflächen werden gekennzeichnet, Bäume gefällt, und dann wird Feuer gelegt (oft mehrfach im gleichen Gebiet), um auf dem Brachland anschließend Weidegras für Rinder zu säen.
Der Bau neuer Straßen und das Auftauchen von Waldarbeiter*innen-Camps im Schutzwald sind erste Anzeichen dafür, dass dieser Prozess begonnen hat. Amnesty International hat das hohe Aufkommen derartiger Aktivitäten im indigenen Gebiet Uru-Eu-Wau-Wau in Rondônia dokumentiert. Große Teile dieses Gebiets liegen im Nationalpark Pacaás Novos. Einem Angehörigen des brasilianischen Umweltministeriums zufolge sind dort seit 2017 mehr als 40 km an neuen Straßen entstanden.
Ein weiteres Anzeichen dafür, dass illegal operierende Farmer*innen und grileiros versuchen, Land zu vereinnahmen, ist das Absperren und Niederbrennen großer Teile des Waldes. Amnesty International hat am 23. August Drohnenaufnahmen entsprechender Aktivitäten im indigenen Gebiet der Manoki in Mato Grosso aufgenommen.
Wie die Manoki Amnesty International erklärten, waren diese Aktivitäten Teil verstärkter Bemühungen seitens der Viehzüchter*innen, geschützten Wald zu vernichten und das Land in Weideland umzuwandeln. Amnesty International konnte an mindestens sechs verschiedenen Orten auf Manoki-Gebiet weidende Rinder beobachten.
Die Analyse von Satellitenbildern und per Fernerkundung erfasster Branddaten ergab ein klares Muster: In zahlreichen Fällen zeigten die Satellitenbilder, dass die Gebiete, in denen es zu Landnahmen und Bränden gekommen war, neben Gebieten lagen, in denen Rinder sich offensichtlich frei auf geschütztem Land bewegten. In einigen Fällen waren Pfade erkennbar, auf denen Rinder offenbar durch vor kurzem abgebrannte Bereiche gelaufen waren.
Einschüchterung durch bewaffnete Eindringlinge
Angehörige der indigenen Gemeinschaften und traditionellen Gemeinden in vier der fünf Schutzgebiete berichteten Amnesty International, dass dieses neue Vorgehen oft von Gewalt, Drohungen und Einschüchterungsversuchen begleitet wurde. Am fünften Ort, dem Reservat Rio Jacy-Paraná, wurden inzwischen praktisch alle ursprünglichen Bewohner*innen vertrieben. Sie trauen sich nicht zurückzukehren, weil auf ihrem Land jetzt bewaffnete Eindringlinge aus der Rinderzucht leben. Auch für den Schutz der Reservate zuständige Behörden sind ins Visier illegaler Viehzüchter*innen geraten.
In einigen Gegenden, darunter auch im indigenen Gebiet Uru-Eu-Wau-Wau, war die Gefahr bewaffneter Gewalt gegen indigene Bevölkerung und Umweltschutzbeauftragte so groß, dass die Streitkräfte und die Bundespolizei eingreifen mussten.
Hintergrund
Amnesty International hat 2019 fünf Schutzgebiete im brasilianischen Amazonasgebiet besucht: die indigenen Gebiete Karipuna und Uru-Eu-Wau-Wau, die Reservate Rio Ouro Preto und Rio Jacy-Paraná (im Bundesstaat Rondônia) und das Gebiet der indigenen Manoki (im Bundesstaat Mato Grosso).
Amnesty International hat im Rahmen der Informationsfreiheit bei den bundesstaatlichen Behörden in Rondônia und Mato Grosso Anträge auf Zugang zu Daten über die Zahl der in Schutzgebieten weidenden Rinder und über deren Bewegungen gestellt. Die Tiergesundheitsbehörde von Rondônia lieferte jedoch nur unvollständige Daten. In Mato Gross lehnten die Behörden trotz fünf verschiedener Anträge eine Weitergabe von Daten ganz ab. Die Daten, die Amnesty International für Rondônia erhalten hat, zeigen, dass sich zum besagten Zeitpunkt in diesem Bundesstaat über 295.000 Rinder in indigenen Gebieten und Naturschutzgebieten befanden.
Reservate sind Gebiete, die für den Schutz der Umwelt sowie der Lebensgrundlagen und der Kultur ihrer traditionellen Bevölkerung einschließlich der nachhaltigen Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen bestimmt sind. Ebenso wie die indigenen Gebiete sind auch sie durch brasilianisches Recht und internationale Abkommen geschützt.