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© Martin Barzilai

Presse © Martin Barzilai

Ausnahmezustand muss eine Ausnahme bleiben

31. Mai 2017

Frankreich: Einschränkung des Versammlungsrechts unter dem Deckmantel der „Terrorbekämpfung”

  • In der aktuellen Situation wird die Versammlungsfreiheit als potentielle Gefahr – und nicht als fundamentales Recht – dargestellt.

  • Ein aktueller Bericht von Amnesty International dokumentiert das harte Durchgreifen der Behörden gegen Demonstrant*innen

Immer wieder werden in Frankreich Befugnisse zur Terrorbekämpfung missbraucht, um friedliche Proteste einzudämmen. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht von Amnesty International.

Notstandsgesetze sollen die französische Bevölkerung von der Terrorgefahr schützen. Stattdessen werden sie dazu missbraucht, um das Recht auf friedlichen Protest auszuhöhlen.

Marko Perolini, Frankreich-Researcher bei Amnesty International

„Unter dem Deckmantel des Notstandes wurden hunderten Aktivist*innen, Umweltschützer*innen und Menschen, die sich für Arbeitsrechte einsetzen, untersagt, an Demonstrationen teilzunehmen.”

Eine ähnliche Tendenz lässt sich auch in Österreich beobachten: Immer wieder werden unter der Begründung, die Menschen zu schützen, fundamentale Rechte unverhältnismäßig eingeschränkt. Dabei scheint man zu vergessen sich zu fragen, ob nicht doch das gelindeste Mittel reicht. Menschenrechte – wie das Recht sich zu versammeln – dürfen immer nur um Notfall und unter strengsten Abwägungen eingeschränkt werden", sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich.

Vage Begründungen reichen

Ein Tag nach den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 wurde der Notstand ausgerufen – mittlerweile ist er fünf Mal erneuert worden. Seitdem sind eine Reihe an einschneidenden Maßnahmen in Kraft. Darunter fällt die Befugnis, Demonstrationen bereits mit vagen Begründungen verbieten und Menschen davon abzuhalten zu können, an Prosteten teilzunehmen. Letzte Woche deutete Präsident Macron an, dass er das Parlament bitten wird, den Notstand ein sechstes Mal zu verlängern.

Der Notstand erlaubt den Behörden, jede Art von Versammlung als Vorsichtsmaßnahme zu unterbinden – auf Basis von sehr breiten und undefinierten Gründen.

Ein Demonstrant erzählte Amnesty International: „Man bekommt den Eindruck, dass sie jedes ihnen zur Verfügung stehende Mittel ausnutzen, um die zu attackieren, die am aktivsten in der Bewegung sind.“

Charles, ein junger Student in Paris, wurde untersagt, an zwei Protesten gegen die Arbeitsrechtsreform teilzunehmen – unter der Begründung, dass er zuvor bei Protesten verhaftet wurde. Danach wurde er nicht angeklagt. Er erzählte Amnesty International: „Sie beschuldigten mich, einer von den gewalttätigen Demonstranten zu sein … Sie gaben mir das Gefühl, ein Terrorist zu sein.”

Zahlreiche Eingriffe dokumentiert

Zwischen November 2015 und 5. Mai 2017 erließen die Behörden auf Basis des Notstands 155 Dekrete, die öffentliche Versammlungen untersagten. Zudem wurden unter dem allgemeinen französischen Recht dutzende Proteste verboten. Es wurden 639 Maßnahmen ergriffen, um bestimmte Individuen davon abzuhalten, an Versammlungen teilzunehmen. Davon zielten 574 auf jene ab, die gegen geplante Arbeitsrechtsreformen protestierten. Die Behörden verhängten außerdem – laut Medienberichten – dutzende ähnliche Maßnahmen, um Menschen von Protesten davon abzuhalten, an Protesten nach der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am 7. Mai teilzunehmen.

Diese Beschränkungen verletzten den Grundsatz unter internationalem Recht, das besagt: Es muss davon ausgegangen werden, dass eine Demonstration friedlich ist, es sei denn, die Behörden können das Gegenteil beweisen.

„Während des Wahlkampfs versprach Emmanuel Macron, das Demonstrationsrecht in Frankreich zu schützen. Nun als Präsident müssen seine Worte Taten folgen. Während die Fronten bereits zwischen dem neuen Präsidenten und den Gewerkschaften gezogen wurden, muss Macron den Missbrauch von Anti-Terrorismus-Befugnissen stoppen – und die gefährliche Abwärtsspirale in Richtung eines permantenten Ausnahmezustands stoppen“, sagt Perolini.