Amnesty-Stellungnahme: Gesetz gegen „staatsfeindliche Bewegungen“
3. April 2017Geplantes Gesetz muss ersatzlos gestrichen werden
Der Staat darf Menschen nicht wegen ideologischer Haltungen oder Ideen strafrechtlich verfolgen.
- Amnesty fordert, das geplante Gesetz gegen „staatsfeindliche Bewegungen“ ersatzlos zu streichen, bestehende Regelungen sind ausreichend
- Der neue Paragraph birgt erhebliches Missbrauchspotential und sieht Freiheitsstrafen vor, die aus verfassungs- und menschenrechtlicher Sicht völlig unverhältnismäßig sind
- Amnesty hat das geplante Gesetz grundrechtlich geprüft: Stellungnahme Gesetz gegen „staatsfeindliche Bewegungen“
Der Staat hat selbstverständlich die Aufgabe und Pflicht, nicht nur die Bevölkerung, sondern auch exponierte Beamten und Sicherheitskräfte vor Nötigung, Drohung oder Angriffen zu schützen. Dafür reichen aber die bisherigen Regelungen im österreichischen Strafgesetz.
Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich
„Gesinnungstatbestände, so wie sie in dem neuen Gesetz vorgesehen sind, führen in eine hochproblematische menschenrechtliche Sackgasse: Wir müssen Menschen an ihren Taten beurteilen und nicht an ihren ideologischen Ideen – auch wenn uns diese manchmal bizarr erscheinen mögen“, so Patzelt.
Amnesty appelliert an das Justizministerium, das geplante Gesetz gegen sogenannte „staatsfeindliche Bewegungen“ ersatzlos zu streichen. Der neue Paragraph (§ 246a StGB) zielt darauf ab, Bewegungen oder Einzelpersonen zu verfolgen, die den österreichischen Staat, die österreichischen Gesetze, Gerichte oder generell staatliche Institutionen ablehnen. Eine weitere Ausbreitung „dieser gefährlichen Gedankengebilde“ soll damit verhindert werden.
Amnesty erkennt an, dass ideologische Ausrichtungen wie zum Beispiel „Reichsbürger“, „Freeman“ oder „OPPT“ mühsam sind und die Auseinandersetzung mit ihnen nervenaufreibend erscheint. Das geplante Gesetz ist jedoch nicht geeignet, um solchen Phänomenen wirksam zu begegnen.
Hohes Missbrauchspotential
Amnesty lehnt die geplante Regelung aus inhaltlichen, aber auch formalen Gründen entschieden ab: Erstens ist völlig unklar, was mit dem Begriff „Bewegung“ gemeint ist und welche Eigenschaften eine solche „Bewegung“ aufweisen soll. Dadurch besteht die Gefahr, dass bereits kleine, lose organisierte zivilgesellschaftliche Initiativen in den Fokus von Ermittlungen geraten könnten – sogar Lesekreise, Kaffeekränzchen oder engagierte Elterngruppen.
Unverhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte
Außerdem sieht dieser Paragraph eine Vorverlagerung der Strafbarkeit vor. Das bedeutet, dass bestimmte Handlungen künftig strafrechtliche Konsequenzen haben, die normalerweise lediglich eine Verwaltungsstrafe nach sich ziehen. Ein Sitzstreik in Kombination mit kritischen Äußerungen gegen Polizistinnen und Polizisten könnte nach der geplanten Bestimmung als „staatsfeindliche Bewegung“ interpretiert werden. Demnach würde zivilgesellschaftliches Engagement – wie etwa die Bewegung zur Rettung der Hainburger Au oder die „Uni-Brennt-Bewegung“ – völlig unverhältnismäßige Konsequenzen haben.
Amnesty warnt davor, eine Strafnorm einzuführen, die zivilgesellschaftliches Engagement beeinträchtigen oder sogar behindern könnte. Der Staat muss sich Kritik gefallen lassen – und auch kleine und informelle Gruppen müssen in der Lage sein, ihre Aktivitäten auszuüben.
Der geplante Paragraf gegen „staatsfeindliche Bewegungen“ schafft ein Gewissensdelikt, das eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorsieht. Das ist nicht nur demokratiepolitisch höchst bedenklich, sondern auch aus verfassungs- und menschenrechtlicher Sicht vollkommen unverhältnismäßig.
Verschärfungen ohne Grundlage
Zeitgleich zum neuen Gesetz gegen „staatsfeindliche Bewegungen“ sollen künftig auch Angriffe auf Beamte härter sanktioniert werden – und zwar mit bis zu zwei Jahren Haft. Das ist viermal höher als die bisher vorgesehene Strafe. Hier stellt sich die Frage, worauf eine derart drastische Verschärfung basiert. Amnesty kritisiert, dass den Gesetzesentwürfen wiederholt keine faktenbasierten Erläuterungen angehängt wurden, die den Änderungen eine nachvollziehbare Grundlage geben.
Auch die Ausweitung des Tatbestandes „Tätlicher Angriff auf ein mit der Kontrolle oder Lenkung eines Massenbeförderungsmittels betrautes Organ“ (§ 270a) lehnt Amnesty ab: Auch wenn in den letzten Monaten mehr Angriffe auf Busfahrer oder Schaffnerinnen passiert sind, besteht hier die Gefahr, dass eine Spirale der überschießenden Gesetzgebung losgetreten wird. Letztendlich könnten alle Berufsgruppen, die viel mit Menschen zu tun haben, so argumentieren – etwa AMS-Betreuer oder Sozialarbeiterinnen. Der Gesetzgeber würde mit einer derartigen Gesetzesänderung langfristig deshalb vor allem eines tun: Weiteren Strafverschärfungen Tür und Tor öffnen.
Strafrecht – als schärfstes Steuerungsinstrument des Staates – darf immer nur als äußerstes Mittel eingesetzt werden. Und dann auch nur, wenn dieser Eingriff verhältnismäßig, angemessen und folglich menschenrechtskonform ist.