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Amnesty: Schwedisch-iranischer Arzt wird als Geisel gehalten – drohende Hinrichtung ist Vergeltungsmaßnahme

19. Mai 2022

Angehörige der willkürlich inhaftierten österreichischen Staatsbürger sprechen ebenfalls von Geiselnahme

Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die iranischen Behörden den schwedisch-iranischen Arzt Ahmadreza Djalali, dem im Evin-Gefängnis in Teheran die unmittelbare Hinrichtung droht, als Geisel halten, so Amnesty International heute. Aufgrund von detaillierten Recherchen und Analysen hat Amnesty International Grund zur ernsthaften Annahme, dass die iranischen Behörden mit der Hinrichtung von Ahmadreza Djalali drohen, um Belgien und Schweden zu zwingen, zwei inhaftierte ehemalige iranische Beamte auszuliefern, und um sie und andere Staaten von zukünftigen Strafverfolgungen gegen iranische Beamt*innen abzuhalten.

Bei den beiden ehemaligen Beamten handelt es sich um Asadollah Asadi, ein ehemaliger iranischer Diplomat, der in Belgien eine 20-jährige Haftstrafe für seine Rolle bei einem 2018 vereitelten Bombenanschlag in Frankreich verbüßt, und Hamid Nouri, ein ehemaliger Gefängnisbeamter, der in Schweden wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an den iranischen Gefängnismassakern von 1988 (https://www.amnesty.org/en/documents/mde13/9421/2018/en/)vor Gericht steht https://www.amnesty.org/en/documents/mde13/1406/2019/en/). Das Urteil wird am 14. Juli erwartet.

Die iranischen Behörden benutzen das Leben von Ahmadreza Djalali als Spielball in einem grausamen politischen Spiel und drohen mit seiner Hinrichtung als Vergeltung für die Nichterfüllung ihrer Forderungen. Die Behörden versuchen, den Gerichtsprozess in Schweden und Belgien zu untergraben und sollten wegen Geiselnahme angeklagt werden.

Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin von Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika

Amnesty International fordert die iranischen Behörden auf, alle Pläne zur Hinrichtung von Ahmadreza Djalali aufzugeben, ihn sofort freizulassen und Wiedergutmachung für den Schaden anzubieten, den sie ihm zugefügt haben.

Verstoß gegen das Internationale Übereinkommen gegen Geiselnahme

Iran, Schweden und Belgien sind alle Vertragsparteien des Internationalen Übereinkommens gegen Geiselnahme, das jede Form von Geiselnahmen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure unter Strafe stellt. Das Übereinkommen definiert Geiselnahme als das Festhalten einer Person unter der Androhung, sie zu töten, zu verletzen oder weiter festzuhalten, um einen Dritten zur Erfüllung bestimmter Bedingungen zu zwingen.

Geiselnahme ist eine Straftat, die der internationalen Gemeinschaft große Sorge bereitet. Sollte sich herausstellen, dass die iranischen Behörden dieses Verbrechen an Ahmadreza Djalali begangen haben, müssen alle Vertragsstaaten des Übereinkommens gegen Geiselnahme dringend zusammenarbeiten, um den Iran zur Rechenschaft zu ziehen und die Verhinderung, Verfolgung und Bestrafung solcher Geiselnahmen zu gewährleisten.

Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin von Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika

Amnesty-Untersuchung: Weitere Fälle von willkürlich Inhaftieren ggf. ebenfalls Geiselnahmen

Derzeit befinden sich mindestens 17 Doppelstaatsbürger*innen aus Europa und Amerika in iranischer Gefangenschaft, darunter auch der österreichische IT-Berater Kamran Ghaderi und der Generalsekretär der Österreichisch-Iranischen Gesellschaft Massud Mossaheb. Sie wurden nach mehrmonatiger Isolationshaft, Folter und grob unfairen Gerichtsverfahren zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Trotz schwerer gesundheitlicher Probleme wird ihnen eine angemessene medizinische Versorgung von den iranischen Behörden verweigert. Ihre Angehörigen sprechen bereits seit längerem von Geiselhaft und haben erst vor kurzem gemeinsam mit anderen Betroffenen in einem offenen Brief den österreichischen Außenminister Schallenberg aufgefordert, diesbezüglich tätig zu werden.

Angesichts der aktuellen Erkenntnisse wird Amnesty International nun in weiteren Fällen untersuchen, ob es sich bei der willkürlichen Inhaftierung um einen Verstoß gegen das Übereinkommen gegen Geiselnahme handelt – u.a. bei der britisch-iranischen NGO-Mitarbeiterin Nazanin Zaghari-Ratcliffe, die Mitte März nach sechs Jahren willkürlicher Haft freigelassen wurde, nachdem die britische Regierung dem Iran 393,8 Millionen Pfund gezahlt hatte, um einen Schuldenstreit beizulegen.

Hintergrund

Die Recherchen von Amnesty International zeigen, dass sich die Situation von Ahmadreza Djalali, unabhängig von den ursprünglichen Beweggründen der iranischen Behörden für seine willkürliche Inhaftierung im April 2016, spätestens Ende 2020 in eine Geiselnahme verwandelt hat, als der Prozess von Asadollah Asadi in Belgien begann.

So hat Amnesty International aus mehreren glaubwürdigen Quellen erfahren, dass iranische Beamt*innen mindestens einmal gegenüber Ahmadreza Djalali im Gefängnis und bei mehreren Gelegenheiten gegenüber denjenigen, die sich für ihn einsetzen, angedeutet haben, dass sie Ahmadreza Djalali gegen Asadollah Asadi und/oder Hamid Nouri austauschen wollen.
Auch öffentliche Äußerungen belgischer Beamter*innen von Anfang 2021 und März 2022, deuten darauf hin, dass die iranischen Behörden einen "Deal" anstreben, um Ahmadreza Djalali gegen Asadollah Asadi auszutauschen.

Die veränderten Umstände der Haft lassen ebenfalls den Schluss zu, dass Ahmadreza Djalali mittlerweile als Geisel gehalten wird. So wurde er am 24. November 2020 in Einzelhaft verlegt und ihm wurde mitgeteilt, dass seine Hinrichtung in einer Woche vollzogen werden würde, nur wenige Tage vor dem Beginn des Prozesses gegen Asadollah Asadi in Belgien am 27. November 2020. Nach weltweiten Interventionen wurde die Hinrichtung von Ahmadreza Djalali am 2. Dezember 2020 aufgeschoben.

Am 4. Mai 2022, wenige Tage nachdem die schwedischen Strafverfolgungsbehörden eine lebenslange Haftstrafe für Hamid Nouri gefordert hatten, warnten iranische Staatsmedien vor der drohenden Hinrichtung von Ahmadreza Djalali.

In den Berichten hieß es weiter: "Mit der Vollstreckung des Todesurteils gegen Ahmadreza Djalali wird die iranische Regierung ... die schwedische Regierung daran hindern, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die mit der Inhaftierung von Hamid Nouri vergleichbar sind."

Laut der Ehefrau von Ahmadreza Djalali teilten Justizbeamt*innen seinen Anwält*innen am 7. Mai 2022 mit, dass sie in "gutem Glauben" gehandelt hätten, indem sie seine Hinrichtung einmal im Dezember 2020 verschoben hätten. Die Beamt*innen fügten jedoch hinzu, dass Schweden sich durch die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Hamid Nouri mit den "Feinden" des Iran verbündet und dem System der Islamischen Republik "Schwierigkeiten" bereitet habe, sodass der Iran "keine andere Wahl" habe, als die Hinrichtung durchzuführen. Diese Äußerungen sowie am 4. Mai 2022 veröffentlichte Artikel in den staatlichen Medien liefern überzeugende Beweise dafür, dass Ahmadreza Djalali von der Vollstreckung der Todesstrafe als Vergeltungsmaßnahme bedroht ist, die von den iranischen Behörden offenbar auch als notwendig erachtet wird, um weitere Verhaftungen und Strafverfolgungen iranischer Beamter außerhalb des Irans zu verhindern.

Vor seiner Verhaftung lebte Ahmadreza Djalali mit seiner Familie in Schweden und war außerdem Gastprofessor für Katastrophenmedizin an der Vrije Universiteit Brüssel in Belgien.

Wie der UN-Sonderberichterstatter für die Lage der Menschenrechte im Iran und die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen hervorgehoben haben, setzen die iranischen Behörden schon seit langem willkürlich inhaftierte Doppelstaatsbürger*innen und Staatsbürger*innen anderer Staaten als Druckmittel ein.

Amnesty International fordert die Einleitung einer wirksamen, transparenten und unabhängigen Untersuchung der Situation von Ahmadreza Djalali in Übereinstimmung mit dem Internationalen Übereinkommen gegen Geiselnahme, um Beweise zu untersuchen, die auf eine Geiselnahme hindeuten. In Anbetracht des vorherrschenden Klimas der Straflosigkeit im Iran sollte eine solche Untersuchung entweder gemeinsam oder getrennt von Schweden und Belgien als den Staaten, gegen die Zwang ausgeübt oder auszuüben versucht wurde, durchgeführt werden.