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Ärztliche Schweigepflicht und Jugendschutz – die letzten Tabus fallen

15. Mai 2018

Amnesty-Stellungnahme zur geplanten Fremdenrechtsnovelle

Die Regierung zerstückelt und verschärft das Fremdenrecht zum wiederholten Mal – auf Kosten jener Menschen, die in Österreich Schutz suchen. Gleichzeitig erreicht sie mit dem geplanten Eingriff in die ärztliche Schweigepflicht sowie mit Einschnitten in die Rechte von Kindern und Jugendlichen einen noch nie dagewesenen, traurigen Tiefpunkt in der Asylgesetzgebung. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International Österreich in einer aktuellen Stellungnahme zu den geplanten Änderungen im Fremdenrecht, deren Begutachtungsfrist morgen endet.

"Es war zu erwarten, dass eine erneute Gesetzesänderung im Fremdenrecht keine substantielle Verbesserung für Schutzsuchende bringen wird", sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Dass die Regierung nun sogar die ärztliche Schweigepflicht und Kinderrechte angreift, zeigt, dass jedes Mittel recht ist, um Asylwerber*innen schlechterzustellen. Das ist einem Rechtsstaat wie Österreich unwürdig.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

„Diese Novelle hat einen perfiden roten Faden, der lautet: Asylwerber*innen würden lügen, betrügen und zu Unrecht einen Asylantrag stellen“, sagt Schlack.

„Die Regierung will Österreich für Asylwerber*innen möglichst unattraktiv machen und treibt mit dieser Novelle den menschenrechtlichen Abwärtstrend im Asylbereich weiter voran. Sie macht Schutzsuchende per Gesetz zu Menschen zweiter Klasse und tut so, als ob diese Menschen nicht die gleichen Grundrechte hätten wie alle anderen. Das verstößt klar gegen das Prinzip, zu dem sich Österreich verpflichtet hat: Jeden Menschen, egal woher er kommt und wer er ist, gleich zu behandeln.“

Schutz von Kindern und Jugendlichen wird angegriffen

Kinder und Jugendliche sollen im Fall einer strafrechtlichen Verurteilung im Asylgesetz mit Erwachsenen gleichgestellt werden – das sieht ein neuer Abschnitt „Rechtsfolgen einer Jugendstraftat (§ 2 Abs 4 AsylG)“ vor. Konkret geht es um den Fall, wenn etwa der Aufenthaltstitel von subsidiär Schutzberechtigten – z. B. wegen einer Straftat – aberkannt wird. Diese Regelung stellt eine vollkommene Missachtung des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern dar, kritisiert Amnesty.

„Alle Jugendliche und Kinder haben im Strafverfahren einen besonderen Schutz, damit ihr ganzes Leben nicht wegen einer einzigen Straftat zerstört wird, damit sie eine Zukunft haben. Doch im Asylbereich wird nun von diesem jahrzehntealten Grundsatz abgegangen“, sagt Schlack.

Anstatt Jugendlichen dabei zu helfen, dass sie sich nach einer Strafe resozialisieren können, wirft man ihnen weitere Prügel vor die Füße. Das ist zutiefst unmenschlich.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Auslesen von Handydaten: völlig unverhältnismäßig

Künftig sollen die Behörden Handydaten von Menschen, die in Österreich einen Asylantrag stellen, auslesen dürfen. Diese Neuerung lehnt Amnesty aus zwei Gründen in dieser Form ab: Erstens ist nicht geregelt, welche Daten die Behörden abgreifen dürfen – ein Zugriff auf alle Handydaten wäre jedenfalls völlig unverhältnismäßig und ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen. Zudem ist nicht geklärt, wann die Behörden die Daten löschen oder zerstören müssen. Hier fordert Amnesty eine grundlegende Überarbeitung und eine klare Einschränkung. „Es ist verständlich, dass die Behörden Beweismittel sammeln, um Asylanträge zu prüfen“, sagt Schlack. „Doch Handydaten sind kein Allheilmittel: Ihr Beweiswert ist umstritten, denn man weiß nicht, wem das Gerät vorher gehört bzw. wer es verwendet hat. Außerdem schafft die zügellose Sammlung jeglicher Daten keinen Mehrwert. Dass die Behörden Zugang auf höchstpersönliche Details von Asylsuchenden bekommen sollen – ohne Maß und Ziel –, ist nicht gerechtfertigt“, sagt Schlack.

Bargeldabnahme – reine Schikane & Mehraufwand für Behörden

Als völlig unverhältnismäßig und nicht zielführend kritisiert Amnesty den Vorschlag, Asylwerber*innen künftig bis zu 840 Euro abzunehmen, um die Kosten für die Grundversorgung zu decken. Mit dieser Maßnahme würde die Regierung in das Recht auf Eigentum eingreifen – ein Novum im Vergleich zu früheren Gesetzesnovellen. „Die Regierung nimmt mit dieser populistischen Maßnahme jenen Menschen, die ohnehin schon alles verloren haben, den Notgroschen weg,“, sagt Schlack. Selbst unbegleiteten Minderjährigen und Kindern könnten die Behörden Bargeld abnehmen. „Das ist reine Schikane und bringt auch den Behörden nur Mehraufwand“, sagt Schlack. Denn schon jetzt wurden nur mittellose Asylwerber*innen in die Grundversorgung aufgenommen. Die Bargeldabnahme wäre zudem mit erhöhtem Verwaltungsaufwand verbunden – es ist somit fraglich, ob die Behörden mit der neuen Regelung überhaupt Kosten decken oder sogar nicht noch mehr Kosten verursachen würden.

Wichtige Klarstellung geschaffen

Positiv ist, dass die Gesetzesnovelle in zwei Bereichen Klarheit schafft: Personen, denen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und die eine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eingebracht haben, sind künftig von der Anordnung zur Unterkunftnahme und Wohnsitzbeschränkung ausgenommen. Auch die Frage der Gebührenbefreiung im Beschwerdeverfahren ist nun eindeutig geregelt: Das Asylverfahren und auch Beschwerdeverfahren sind und bleiben gebührenfrei – eine wichtige Klarstellung nicht nur für jene, die einen Antrag stellen bzw. eine Beschwerde einreichen, sondern auch für die Behörden, die andernfalls wohl unzählige Anträge auf Verfahrenshilfe zu bewältigen hätten. Amnesty findet diese Änderungen wichtig und begrüßenswert.

Hintergrund

Amnesty International fordert ein menschenrechtskonformes Asyl- und Fremdenrecht, das so gestaltet ist, dass jeder Mensch sein Recht auf ein faires Asylverfahren unter möglichst geringer Beeinträchtigung seines Rechts auf Privatleben in Anspruch nehmen kann. Einige der im aktuellen Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Regelungen entsprechen nicht dem menschenrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. verstoßen gegen grundlegende Rechte der Betroffenen. Daher fordert Amnesty, dass von der Verabschiedung dieser Regelungen Abstand genommen wird bzw. dass diese im Sinne der Verhältnismäßigkeit grundlegend überarbeitet werden.

Amnesty International Österreich ruft unter www.restartyourheart.at alle Menschen in Österreich dazu auf, zusammenzustehen und ermutigende Nachrichten an ihnen unbekannten Menschen zu schreiben. „Denn der soziale Kitt der Gesellschaft ist die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und ein menschenwürdiges Leben in Sicherheit – für alle Menschen in Österreich“, sagt Schlack.

Download Stellungnahme Fremdenrechtsnovelle 2018

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