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Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes

5. März 2013

Stellungnahme zum vorliegenden Entwurf

Amnesty International bezieht zu Gesetzesentwürfen nur im Rahmen ihres Mandats, sohin nur insoweit Stellung, als menschenrechtliche Implikationen gegeben sind.

Amnesty International begrüßt grundsätzlich die in der geplanten Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes enthaltenen Verbesserungen, bedauert jedoch, dass es sich dabei hauptsächlich um unzureichende Korrekturen, jedoch keine echte Reform handelt und etlichen Personen mit dauerhaftem österreichischen Lebensmittelpunkt der Weg zur Staatsbürgerschaft nach wie vor verwehrt bleiben wird.

Staatsbürgerschaft bedeutet Zugang zur Demokratie und vollen Integration. In Österreich sind derzeit ca. 12 % der Bevölkerung, darunter viele Personen, die schon in Österreich geboren wurden oder sehr lange hier leben, von der Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Nach Ansicht von Amnesty International wird der vorliegende Entwurf an dieser Situation kaum etwas ändern.

Grundsätzlich gilt, dass niemand nur aufgrund seiner/ihrer Herkunft, seines/ihres Glaubens, seines/ihres Geschlechts oder seiner/ihrer sozialen Stellung diskriminiert werden darf. Der vorliegende Entwurf des Staatsbürgerschaftsgesetzes ändert jedoch nichts daran, dass sozial schwächere Personen, AlleinerzieherInnen, Flüchtlinge im Pensionsalter und Personen mit intellektuellen Einschränkungen etc. nach wie vor vom Zugang zur Staatsbürgerschaft und damit auch von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen werden.

§ 10 Abs 5 StbG (neu) sieht nunmehr eine Ausnahmebestimmung für die fehlende oder nicht ausreichende Teilnahme am Erwerbsleben durch Fremde vor, insbesondere wenn diese auf Behinderung, die jedenfalls durch ein Gutachten des Bundessozialamtes festgestellt wurde oder auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit, die jedenfalls durch ein amtsärztliches Gutachten festgestellt wurde, beruht. Dies verhindert jedoch nicht, dass z. B. AlleinerzieherInnen, Personen, die nur vorübergehend erkrankt sind oder sozial benachteiligten der Zugang zur Staatsbürgerschaft nach wie vor verwehrt bleibt. Amnesty International empfiehlt in diesem Zusammenhang den Ausnahmetatbestand einer unverschuldeten Notlage, wie dieser bis zur Novelle 2005 bestanden hat, wieder einzuführen.

Die neue Regelung, nach der nach sechs Jahren die Staatsbürgerschaft erlangt werden kann, wird nur sehr wenige Menschen betreffen. Es hat den Anschein, dass – außer im Fall, dass jemand über sehr hohe Sprachkompetenz verfügt und so den geforderten B2-Level erreicht – die frühere Erlangung der Staatsbürgerschaft nur über den Weg des Zwangs zur „Freiwilligenarbeit“ oder durch die Arbeit in bestimmten beruflichen Sparten (z. B. im Pflegebereich, wo Bedarf besteht) möglich ist. Es ist evident, dass an „Noch-Nicht-ÖsterreicherInnen“ wesentlich höhere Anforderungen an „sozialem Dienen“ gestellt werden, als an jene, die von Geburt an die österreichische Staatsbürgerschaft innehaben.

Wie aus dem ersten Freiwilligenbericht des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom Juni 2009 hervorgeht, kann Freiwilligenengagement den Prozess der sozialen Integration unterstützen. Der Zugang dazu wird jedoch durch die gesellschaftliche Randposition vieler MigrantInnen erheblich eingeschränkt. Einerseits bestehen institutionelle Schwellen hinsichtlich des Zugangs zur Freiwilligenarbeit in etablierten ehrenamtlichen Organisationen und andererseits sind MigrantInnen selbst in traditionellen Verbänden, Interessensvertretungen und Selbsthilfegruppen an sich wenig vertreten. Als Hemmgründe der Teilnahme an Freiwilligenarbeit gelten u. a. eine prekäre berufliche und materielle Situation, Bildungsferne oder auch eine sozial benachteiligte Lage. Ehrenamtliche Aktivitäten im Bereich der migrantischen Bevölkerung entfalten sich eher im informellen Bereich, z. B. in der Nachbarschaftshilfe.

In der Realität werden nur sehr wenige von diesen Änderungen profitieren. Die Bestimmung geht folglich klar an menschenrechtlichen und sozialen Bedürfnissen vorbei. Darüber hinaus ist unklar, was der Begriff „integrationsrelevanter Mehrwert für seine Integration in Österreich“ ausdrücken will. Ein derartig unbestimmter Begriff entspricht nicht der verfassungsrechtlich gebotenen Determinierungspflicht und verletzt damit das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 18 B-VG.

Nach Ansicht von Amnesty International sind die im Entwurf vorgesehenen Regelungen zur Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern im Rahmen des Staatsbürgerschaftserwerbes durch Abstammung nach wie vor diskriminierend: Während
im Fall, dass der Vater das Kind vor der Geburt anerkennt, ein automatischer Erwerb der Staatsbürgerschaft möglich ist, fallen Kinder, bei denen eine Vaterschaftsfeststellung erst nach Geburt erfolgt, unter die Bestimmung des § 12 Abs 2 StbG (neu) und müssen damit besondere Voraussetzungen erfüllen. Dies bedeutet in der Praxis, dass die von einem österreichischen Mann gewollten Kinder als staatsbürgerschaftswürdiger angesehen werden, als jene die ungeplant und ungewollt gezeugt werden. Dies ist eine Unterscheidung, die jeglicher menschenrechtlicher Nachvollziehbarkeit entbehrt und sowohl die betroffenen Kinder als auch deren Mütter in ihrer sozialen Stellung dramatisch diskriminiert. Die allein vom Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung abhängigen unterschiedlichen Verfahrensweisen verwirklichen eine unsachliche Ungleichbehandlung von Fremden untereinander und befinden sich im Widerspruch mit der Judikatur des EGMR.

In diesem Kontext verweist Amnesty International auf die UNHCR-Leitlinien zur Staatenlosigkeit Nr. 4. Diese betonen, dass die in Art 1 Abs 1 und Art 1 Abs 2 des Übereinkommens zur Verminderung von Staatenlosigkeit von 1961 enthaltenen Bestimmungen im Lichte späterer Menschenrechtsabkommen angewandt werden müssen, die das Recht jedes Kindes auf Erwerb einer Staatsangehörigkeit (Art 7 KRK) anerkennen. Im Zusammenhang mit dem Prinzip des Kindeswohls gem. Art 3 KRK erfolgt daraus, dass Staaten Kindern, die in ihrem Staatsgebiet geboren werden und andernfalls staatenlos wären, die Staatsangehörigkeit entweder automatisch bei der Geburt oder auf Antrag kurz nach der Geburt gewähren sollten, um eine lange Staatenlosigkeit des Kindes zu verhindern. Amnesty International empfiehlt, das Staatsbürgerschaftsgesetz in diesem Sinne anzupassen.

Amnesty International begrüßt grundsätzlich die Einführung einer Regelung für PutativösterreicherInnen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass für den Erwerb der Staatsbürgerschaft beinahe alle Voraussetzungen zu erfüllen sind, die auch im sonstigen Staatsbürgerschaftsverfahren vorliegen müssen. Folglich erscheint auch die 6-Monats-Frist „ab Kenntnis der fälschlichen Behandlung gemäß Abs 1“, innerhalb derer eine Anzeige gem. § 57 Abs 2 einzubringen ist, andernfalls eine Verfristung eintritt, als sachlich nicht gerechtfertigt. Diese Ungleichbehandlung, die in den Erläuternden Bemerkungen mit der Notwendigkeit der „Rechtssicherheit“ begründet wird, ist angesichts der Tatsache, dass sich PutativösterreicherInnen und Behörden (aufgrund deren Fehlers) über viele Jahre im Irrtum über die Staatsangehörigkeit der betreffenden Person befunden haben, nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang erinnert Amnesty International an die aus dem von Österreich 2008 ratifizierten Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen fließenden Verpflichtungen Österreichs, alle Maßnahmen zu ergreifen, Staatenlosigkeit zu reduzieren und die Menschenrechte der betroffenen Personen in vollem Ausmaß zu schützen. Die vorliegende Bestimmung ist nach Ansicht von Amnesty International nicht ausreichend, um diesen Verpflichtungen zu entsprechen.

Amnesty International Stellungnahme Staatsbürgerschaftsgesetz 2013