© Sebastien Thibault/agoodson.com
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Wir kritiseren Facebook und Google, obwohl wir sie brauchen. Genau das ist das Problem.

22. November 2019

Von Osama Bhutta, Direktor Marketing und Kommunikation von Amnesty International

Marketingfachleute werden bei ihrer Arbeit mit allen möglichen Problemen konfrontiert. Teil einer Plattform zu sein, die auf Menschenrechtsverletzungen aufbaut, zählt normalerweise nicht dazu.

Genau das ist unserer Branche passiert, die auf Facebook und Google angewiesen ist, wie der neueste Bericht von Amnesty International Surveillance Giants zeigt.

Facebook und Google ermöglichen es den Menschen, sie vermeintlich kostenlos zu nutzen, aber anstatt ihnen eine Gebühr zu verrechnen, verlangen sie, dass die Menschen ihre personenbezogenen Daten offenlegen. Diese werden dann analysiert, um Menschen zu Gruppen zusammenzufassen und Vorhersagen über ihre Interessen und Eigenschaften zu treffen – vor allem, damit die Plattformen diese Erkenntnisse zur Generierung von Werbeeinnahmen nutzen können. Der Bericht zeigt, dass das Ausmaß der Erhebung und Monetarisierung personenbezogener Daten durch die Plattformen mit dem Menschenrecht auf Privatsphäre unvereinbar ist.

Auch wenn die wichtigsten Forderungen des Berichts den Regierungen gelten und ihrer Verantwortung, die Branche zu regulieren, ist es an uns allen, uns unsere eigene Rolle anzusehen, die wir in all dem spielen.

Genau wie große Firmen, politische Parteien und lokale Unternehmen sind wir bei Amnesty von den Plattformen abhängig, um unsere Zielgruppen zu erreichen, zu binden und zu erweitern. Die allgegenwärtige Macht der Plattformen ist genau der Grund, warum Amnesty einen Bericht über sie veröffentlicht hat.

Welche Möglichkeiten haben wir? Wir können diese virtuellen Räume nicht verlassen. Sie sind nicht mehr nur der öffentliche Platz. Sie sind die Hauptstraße und das Geschäftsviertel. Sie könnten die Praxis Ihres Arztes und Ihre Bank werden. Sie sind die ganze verflixte Stadt und das ganze Dorf.

Unsere Arbeit jetzt von Facebook und Google zu entfernen, wäre daher schlecht für die Menschenrechte. Ein solcher Schritt würde unsere Fähigkeit, unsere Anliegen zu verbreiten, beeinträchtigen. Es gibt einfach keine andere praktikable Alternative, um die Öffentlichkeit zu erreichen.

Vorerst ist die ethischste Option, die wir haben, offen über unser Dilemma zu sprechen und darüber, wie wir damit umgehen. Wir werden weiterhin mit unseren Zielgruppen zu diesen Fragen in Dialog bleiben.

Osama Bhutta, Direktor Marketing und Kommunikation von Amnesty International

Ich habe Leute in der Werbebranche sagen hören, dass angesichts der Hegemonie von Facebook und Google keine Alternativen zu den Plattformen entstehen können. Sie ignorieren dabei, dass das Silicon Valley auf der romantischen Vorstellung von Unternehmern, die in ihren Werkstätten beginnen, aufgebaut ist. Vor allem, wenn die Regierungen das richtige Umfeld dafür schaffen, können in den kommenden Monaten und Jahren sehr wohl Alternativen zu den Plattformen entwickelt werden.

Das sollte ein Ansporn zur Reform für die Technologieriesen sein. Sie waren einst Beschleuniger für die Freiheit und spielten eine wichtige Rolle beim Sturz von Diktator*innen. Sie spielten lange Zeit mit dem Image der Emporkömmlinge. Heute werden sie als Teil eines Nexus großer unternehmerischer und politischer Interessen angesehen. Das wird ihnen kurzfristig Geld einbringen, eröffnet aber auch die Möglichkeit für Neueinsteiger.