Bangladesch: Alarmierende Zahl von Folter- und Todesfällen in Polizei-Gewahrsam
26. Juni 2024Trigger-Warnung: Der Text beschreibt Folter und physische Gewalt.
Die Behörden in Bangladesch müssen der Straflosigkeit für Folter und andere Misshandlungen durch Polizei und Sicherheitskräfte ein Ende setzen. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden und die Behörden müssen dafür sorgen, dass die Betroffenen Wiedergutmachung erhalten, fordert Amnesty International am heutigen Internationalen Tag zur Unterstützung der Folteropfer.
Obwohl Bangladesch bereits 1998 die UN-Antifolterkonvention ratifiziert und 2013 ein Gesetz zur Verhütung von Folter und Tod in Gewahrsam erlassen hat, gab es im vergangenen Jahrzehnt nur eine einzige Verurteilung auf der Grundlage des Antifoltergesetzes, und Polizei- und Sicherheitskräfte gehen für entsprechende Taten nach wie vor straffrei aus.
Am 2. Juni 2024 starb die 40-jährige Afroza Begum, der dem Vernehmen nach Drogenbesitz vorgeworfen wurde, in Polizeigewahrsam, nachdem sie im Subdistrikt Abhaynagar festgenommen worden war. Ihr Sohn Arif Hossain Munna berichtete Amnesty International, dass er beobachtet habe, wie zwei Polizist*innen seiner Mutter Drogen unterschoben, sie verprügelten und sie dann auf die Polizeiwache von Abhaynagar brachten. Afroza Begum starb am nächsten Morgen in Polizeigewahrsam.
„Folter und andere Misshandlungen sind verabscheuenswert und unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Die Behörden müssen sicherstellen, dass alle Vorwürfe über die weit verbreitete und fortdauernde Praxis von Folter und anderen Misshandlungen durch Ordnungskräfte gründlich, unparteiisch und unabhängig untersucht und Verdächtige in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden. Die mutmaßlich Verantwortlichen müssen bis zum Abschluss der Ermittlungen vom Amt suspendiert werden, damit sie keine weiteren Verstöße begehen können“, sagt Taqbir Huda, Regonialexperte für Südasien bei Amnesty International.
Es ist ein Armutszeugnis, dass weiterhin Straflosigkeit herrscht und es bisher unter dem Antifoltergesetz nur eine einzige Verurteilung gegeben hat, obwohl sich in den vergangenen zehn Jahren die Berichte über Todesfälle in Gewahrsam gehäuft haben. Der Tod von Afroza Begum ist ein Fall in einer erschreckend langen und immer länger werdenden Liste von Menschen, die dem Vernehmen nach in der Haft gefoltert und getötet worden sind.
Taqbir Huda, Regonialexperte für Südasien bei Amnesty International
Alarmierende Zahl von Todesfällen in Gewahrsam
Im September 2023 meldet die Regierung von Bangladesch dem UN-Menschenrechtsrat, dass bisher 24 Verfahren auf der Grundlage des Antifoltergesetzes von 2013 eingeleitet worden seien.
Die Medien in Bangladesch berichten nach wie vor mit alarmierender Häufigkeit über Todesfälle in Gewahrsam. Zwischen Januar 2013 und Mai 2024 hat die Menschenrechtsgruppe Ain o Salish Kendra 138 Todesfälle dokumentiert, die mutmaßlich auf Folter durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen waren. Die Organisation dokumentierte außerdem anhand von Medienberichten für denselben Zeitraum 923 Todesfälle in Hafteinrichtungen.
Erpressung, Schikane und Folter
Der Sohn von Afroza Begum, Arif Hossain Munna, gab an, dass seine Familie bereits lange vor dem Vorfall, der zum Tod seiner Mutter führte, von der Polizei schikaniert worden sei.
„Zwei Polizeikräfte, die uns bereits zuvor erpresst hatten, drangen um Mitternacht zusammen mit einem bekannten Drogendealer in unsere Wohnung ein. Da sie meinen Vater nicht finden konnten, durchsuchten sie meine Mutter, banden sie mit den Haaren am Ventilator fest und schlugen ununterbrochen auf sie ein“, berichtete er Amnesty International.
„Dann beschlagnahmten sie 188.000 Taka (knapp 1.500 Euro) aus dem Geldschrank meiner Mutter und steckten ihr 30 Yaba-Pillen aus der Tasche des Drogendealers zu, bevor sie ihr mitteilten, dass sie wegen Drogenbesitzes festgenommen sei. Sie haben ihr vor meinen Augen die Drogen untergeschoben. Damit wollten sie verhindern, wegen Folter und Diebstahl belangt zu werden.“
Arif Hossain Munna sagte, die Polizei habe ihm nicht erlaubt, seiner Mutter Lebensmittel oder Medikamente zu übergeben, als er sie am Morgen ihres Todes auf dem Polizeirevier besuchte: „Sie starb an Folter und Grausamkeit [der Polizei].“
Zudem gab Arif Hossain Munna an, man habe seiner Familie im Fall einer Anzeige gegen die Polizei mit dem Tod gedroht: „Mein jüngerer Bruder war am 10. Juni auf dem Weg zur Schule, als der Drogendealer ihn mit den Worten bedrohte: ‚Wir werden dich töten, wie wir deine Mutter getötet haben, wenn deine Familie es wagt, Anzeige zu erstatten‘."
Erst eine einzige Verurteilung unter dem Antifoltergesetz seit 2013
Der einzige Fall von Folter, der bisher zu einer Verurteilung auf der Grundlage des Antifoltergesetzes aus dem Jahr 2013 geführt hat, betraf Ishtiaque Hossain Johnny und seinen Bruder Imtiaz Hossain Rocky, die auf dem Polizeirevier Pallabi in Dhaka von Polizeikräften gefoltert wurden, nachdem sie am 9. Februar 2014 willkürlich festgenommen worden waren. Die Polizist*innen forderten von den Brüdern Geld und versetzten ihnen auf Anweisung von Unterinspektor Jahidur Rahman Stockhiebe und Tritte.
Während Imtiaz Hossain Rocky sich wieder von seinen Verletzungen erholte, erlag sein älterer Bruder Ishtiaque Hossain Johnny am Tag nach der Festnahme seinen Verletzungen. Imtiaz Hossain Rocky und seine Familie trugen gegen alle Widrigkeiten einen Rechtsstreit aus, um Gerechtigkeit gemäß dem Antifoltergesetz zu erhalten. Sie widerstanden zahlreichen Drohungen, Einschüchterungsversuchen und Angeboten für informelle außergerichtliche Schlichtungen, wie z. B. die Zahlung einer großen Geldsumme im Austausch für das Fallenlassen der Anzeige. Im September 2020 verurteilte ein Gericht in Dhaka Jahidur Rahman sowie zwei stellvertretende Unterinspektoren wegen des Todes von Ishtiaque Hossain Johnny zu lebenslanger Haft und ordnete an, dass die Männer jeweils 200.000 Taka (gut 1.500 Euro) als Entschädigung an die Familie zahlen müssen.
Obwohl zwei der Verurteilten die Summe bereits hinterlegt haben, haben Imtiaz Hossain Rocky und seine Familie noch keinen Cent erhalten, da der Oberste Gerichtshof die Entschädigungsleistung vorerst ausgesetzt hat, während ein Berufungsverfahren läuft.
Der in dem Fall verurteilte Unterinspektor Jahidur Rahman wurde darüber hinaus im Juli 2014 beschuldigt, den Händler Mahbubur Rahman Sujon zu Tode gefoltert zu haben. Laut der von Mahbubur Rahman Sujons Familie erhobenen Anzeige drang Jahidur Rahman zusammen mit anderen Sicherheitskräften gewaltsam in die Wohnung der Familie ein, stahl Bargeld und andere Wertsachen und folterte Mahbubur Rahman Sujon. Auch die Frau und der fünfjährige Sohn des Händlers wurden verletzt. Mahbubur Rahman Sujon wurde dann unter einem konstruierten Waffenvorwurf verhaftet und zur Polizeistation Mirpur Model in Dhaka gebracht, wo er weiter gefoltert wurde. Seine Frau und sein Sohn waren ebenfalls auf der Polizeiwache inhaftiert und appellierten an die Polizist*innen, die Misshandlungen zu stoppen.
Laut einem Meldebericht, den die Mutter von Mahbubur Rahman Sujon bei der Polizei einreichte, wurde ihr eine hohe Geldsumme angeboten, damit sie die Anzeige gegen die Verantwortlichen zurückzieht. Die Polizei warf ihr später Drogendelikte vor und nahm sie im Februar 2019 sechs Monate lang in Gewahrsam, bevor sie gegen Kaution freigelassen wurde. Das Verfahren, das auf Grundlage des Antifoltergesetzes nach dem Tod von Mahbubur Rahman Shujon eingeleitet wurde, ist nach wie vor anhängig.
„Es ist nicht zu verantworten, dass für diese grausamen Verbrechen immer noch niemand zur Rechenschaft gezogen worden ist. Angesichts des quälend langen Wegs hin zu Gerechtigkeit für die Folteropfer und ihre Familien muss Bangladesch einen Entschädigungsfonds für Folteropfer einrichten. Außerdem muss das Land das Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention ratifizieren, damit sich die Betroffenen bei fortdauernder Straflosigkeit direkt an den UN-Ausschuss gegen Folter wenden können“, so Taqbir Huda.