Daran sollten wir denken, wenn wir behaupten, niemanden zurücklassen zu wollen. Migrant*innen – ebenso wie Obdachlose, Frauen und Kindern in Haushalten, in denen es zu Missbrauch kommt, Gefängnisinsass*innen und andere – sind in dieser Krise stärker gefährdet. Die Krise zeigt, wie sehr unsere Gesellschaften auf „gering qualifizierte“, zum großen Teil von Migrant*innen verrichtete Arbeit angewiesen ist, und sollte Anlass geben, die Art und Weise zu überdenken, wie wir Mobilität künftig regeln wollen, sobald die Beschränkungen gelockert werden.
sichere Wege, Zugang zu Grundlegenden Sozialleistungen
COVID-19 schränkt unseren Bewegungsspielraum seit ein paar Wochen ein, aber erst mit der Zeit wird sich zeigen, ob es langfristig Folgen für die Migrationsmuster nach und in Europa gibt. Wenn die Beschränkungen länger gelten und die Arbeitslosenraten drastisch steigen, können wir mit einem geringeren Bewegungsaufkommen rechnen. Die Hauptfaktoren von Migration wie extreme Ungleichheit und das menschliche Verlangen nach einer Verbesserung der eigenen Lebensumstände werden jedoch nicht so bald verschwinden. Und aufgrund der Segmentierung des Arbeitsmarktes wird selbst in einem weniger wohlhabenden Europa immer noch Arbeitskräftemangel herrschen.
So hat beispielsweise die Erntesaison mit einem Mangel an Erntehelfer*innen auf den Feldern begonnen, weil die osteuropäischen Saisonarbeiter*innen nicht reisen können. Jetzt müssen sie ohne Einkommen in Ländern bleiben, deren soziales Netz wesentlich schwächer ist. Aber auch den landwirtschaftlichen Betrieben bleibt nichts anderes übrig, als an die Regierungen zu appellieren, Migrant*innen ohne gültige Papiere, die in ihrem Land sind, einen legalen Status zu verleihen. Doch auch wenn die Legalisierung vorübergehend helfen kann, sind langfristig systemische Lösungen erforderlich. Wenn wir wollen, dass die Menschen sich auf sicheren, regulären – und nicht irregulären – Wegen bewegen können, müssen wir dafür sorgen, dass es diese sicheren Wege gibt.
Dass Regierungen nur dann an Migrant*innen denken, wenn sie diese brauchen, zeugt im Grunde von einem beschämenden Mangel an Einfühlungsvermögen für Menschen, die während der Pandemie besonders gefährdet sind. Wenn zumindest vorübergehende Legalisierungen notwendig sind, dann in erster Linie, um sicherzustellen, dass Menschen Zugang zu grundlegenden Sozialleistungen erhalten, ohne Angst haben zu müssen.
Ein ähnlicher Mangel an Empathie herrscht auch an den europäischen Grenzen, an denen Tausende von Menschen wegen der europäischen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 unter unerträglichen Bedingungen festsitzen.
Griechenland: Schützt Geflüchtete vor COVID-19!
Stellt dir vor, du bist einer von 34.000 Asylsuchenden, darunter ältere Menschen, Schwangere und Kinder, auf griechischen Inseln in Lager eingepfercht, die eigentlich nur für 6.000 Personen gedacht sind. Es liegt auf der Hand, dass die griechischen Behörden Asylsuchende auf das Festland überstellen und andere EU-Länder Aufnahmeplätze anbieten sollten. Dass einige unbegleitete Minderjährige in andere EU-Staaten gebracht werden, ist zwar positiv, doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.