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Amnesty Zwischenbericht: Wie sich die Bekämpfung der Corona-Pandemie auf Menschenrechte in Österreich auswirkt

16. April 2020

Die COVID-19 Pandemie stellt eine beispiellose Bedrohung dar, mit Auswirkungen auf alle Aspekte unseres Lebens und unvorhersehbaren Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Daher besteht auch eine umfassende Bedrohung aller unserer Menschenrechte. Amnesty International Österreich beobachtet, dokumentiert und analysiert die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus in Österreich und gibt einen Überblick über die aktuell betroffenen Menschenrechte. Dies stellt eine erste, nicht abschließende Bestandsaufnahme dar. Dafür haben wir Gesetze und Verordnungen analysiert und Berichte aus Medien und von zivilgesellschaftlichen Organisationen, sowie Beschwerden, die in den letzten Wochen an Amnesty International herangetragen wurden, berücksichtigt.

Damit möchten wir:

  • Von den verantwortlichen Akteur*innen einen menschenrechtsbasierten Ansatz zur Krisenbewältigung einfordern, der Transparenz sicherstellt, auf besonders schutzbedürftige Personen achtet und Menschen befähigt, ihre Rechte einzufordern.
  • Menschenrechtliche Risiken frühzeitig erkennen.
  • Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, um Rechenschaftspflicht sicherzustellen, zukünftigen Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen und gemeinsam aus der Krise zu lernen.

Staatliche Schutz-und Achtungspflichten

Amnesty International untersucht die Auswirkungen der Krise auf bürgerliche, politische sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Menschenrechte sind universell, unteilbar, voneinander abhängig und miteinander verbunden – wie uns die Krise derzeit deutlich zeigt – und beinhalten Schutz- sowie Achtungspflichten.

Der Staat ist zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie verpflichtet und muss unser Recht auf Leben, Gesundheit sowie andere Menschenrechte schützen und gewährleisten. Dafür müssen angemessene und erforderliche Maßnahmen getroffen werden.

Für diese Einschätzung spielt es eine Rolle, welche Informationen der Staat hinsichtlich der Gefährdung hat oder haben müsste, welche Kapazitäten zum Schutz zu Verfügung stehen, und ob die notwendige Sorgfalt angewandt wird, um eine Verletzung zu vermeiden.Zudem muss der Staat unsere Menschenrechte achten und jeder Eingriff muss gerechtfertigt sein. Dafür müssen die Maßnahmen zunächst klar rechtlich geregelt sein. Alle Menschen müssen wissen, was sie dürfen und was nicht. Sie müssen sich auf die bestehenden Gesetze verlassen und vorhersehen können, welche rechtlichen Folgen das eigene Handeln hat.

Grundsätzlich können Menschenrechtseingriffe daher nicht per Erlass (einer allgemeinen Weisung gegenüber Verwaltungsorganen) geregelt werden, sondern müssen immer auf eine gesetzliche Ermächtigung gestützt sein. So kritisierten auch Verwaltungsrichter in einer gemeinsamen Erklärung, dass bloße Erlässe kein zulässiges Mittel für Grundrechtseingriffe gegenüber Bürger*innen darstellen. Zudem müssen die Maßnahmen – nach wissenschaftlichen Erkenntnissen – geeignet und notwendig sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Das heißt, ein Eingriff darf nicht über das für die Umstände erforderliche Maß, das zum Erreichen des Ziels (Schutz der öffentlichen Gesundheit) erforderlich ist, hinausgehen. Es ist das gelindeste, am wenigsten beeinträchtigende, wirksame Mittel zu wählen.

Darüber hinaus müssen die Maßnahmen auch verhältnismäßigsein. Dies erfordert eine Abwägung zwischen dem zu erwarteten Ergebnis der Maßnahme und dem Eingriff in die Menschenrechte. Schließlich dürfen die Maßnahmen weder diskriminierend sein, noch sich diskriminierend auswirken.

Ein menschenrechtsbasierter Ansatz

Menschenrechte müssen im Mittelpunkt aller Bemühungen um Prävention, Eindämmung und Behandlung des Coronavirus stehen.Während dem Staat bei der Eindämmung der COVID-19 Pandemie ein gewisser Ermessenspielraum zukommt, muss die Regierung ihre Überlegungen und Strategien offenlegen und für alle zugänglich kommunizieren. Menschen in Österreich haben den Anspruch auf Rechtssicherheit, auf wirksamkeitsorientierte und evidenz-basierte Entscheidungen und auf eine sorgfältige Abwägung von Alternativen zu Eingriffen in unsere Menschenrechte.

Gerade in Zeiten großer Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit ist größtmögliche Transparenzüber öffentliche Entscheidungen wesentlich -nicht nur aufgrund der Prinzipien eines Rechtsstaates und einer Demokratie -sondern auch, um das Vertrauen in den Staat zu erhalten. Während die COVID-19 Pandemie und die Maßnahmen zur Bekämpfung eine Bedrohungfür unser aller Menschenrechte darstellt, sind manche Menschen davon mehr betroffen als andere.

Newsblog: Corona-Virus und Menschenrechte

Mehr dazu

Daher ist es jetzt wichtig, auf die besonders schutzbedürftigen Personen zu achten (z.B. Risikogruppen, wohnungslose Menschen, Menschen mit Behinderungen etc.) und aktive Maßnahmen zu treffen, um deren Schutz zu garantieren.Zudem müssen Menschenrechtverletzungen auch in Krisenzeiten Konsequenzen haben. In einer Zeit besonders intensiver Eingriffe, müssen wirksame Beschwerdemöglichkeiten erhalten bleiben, behördliches Fehlverhalten unabhängig untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Aus all diesen Gründen ist es jetzt besonders wichtig, staatliches Handeln zu beobachten, zu dokumentieren und zu analysieren.

Erste menschenrechtliche Einschätzungen

Gerade in den ersten Wochen waren drastische Maßnahmen wohl notwendig, um eine rasante Verbreitung des Coronavirus wie in anderen Ländern zu vermeiden. Ein Monat nach der Verabschiedung des ersten Covid19-Gesetzes zeigen die Bemühungen Erfolg und es gibt neue Erkenntnisse zu wirksamen Schutzmöglichkeiten.Das heißt auch, das Gesetze und Verordnungen, die vor einem Monat noch gerechtfertigt waren, es jetzt vielleicht nicht mehr sind. Mit jedem Tag steigt die Begründungspflicht für die umfassenden und tiefgreifenden Eingriffe in unsere Menschenrechte. Daher ist es auch wichtig, dass alle Gesetze und Verordnungen ein Ablaufdatum (sogenannte „sunset clause“) haben und die Eingriffe schrittweise, je nach Entwicklung der Ausbreitung des Virus, wieder zurückgenommen werden. Zentral ist, dass die Eindämmung der COVID-19 Pandemie den Rechtsstaat nicht unterminieren darf. Bei den Diskussionen um die staatlichen Maßnahmen geht es also darum, dass jeder Eingriff in unsere Menschenrechte klar rechtlich geregelt, notwendig und verhältnismäßig sein muss. Zudem muss jetzt auf die besonders Schutzbedürftigen geachtet werden. Vor diesem Hintergrund haben wir einige Probleme und Spielraum für Verbesserungen identifiziert. Wie erwähnt, soll diese Analyse nur als erster Schritt verstanden werden.

Schutz von Leben und Gesundheit

Mit Stand 14. April sind 14.119 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden, 1.002 Menschen befinden sich aufgrund des Virus in Spitälern und 243 Menschen sogar auf einer Intensivstation. Dadurch sind direkt das Recht auf Leben (Art. 3 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - AEMR, Art. 6 Internationaler Pakt für bürgerlich und politische Rechte - IPbpR, Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) und das Recht auf Gesundheit (Art. 25 AEMR, Art. 12 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte - IPwskR, Art. 11 Europäische Sozialcharta) berührt. Für beide Rechte gilt, dass diese auch in Krisenzeiten nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Insbesondere bei wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, wie dem Recht auf Gesundheit, müssen auch stets die Kernelemente, das Nichtdiskriminierungsverbot sowie das Verbot von rückschrittlichen Maßnahmen (im Sinne der schrittweisen Realisierung von diesen Rechten) gewährleistet werden, was vor allem in Bezug auf das sogenannte „AAAQ-Framework“ von Relevanz ist. Denn anhand der Kriterien Vorhandensein (availability), Zugänglichkeit (accessability), Annehmbarkeit (acceptabilty) und Qualität (quality) können die staatlichen Verpflichtungen näher definiert werden. Demzufolge ist Österreich verpflichtet, unter Ausschöpfung all seiner verfügbaren Mittel, der Pandemie vorzubeugen und diese zu bekämpfen sowie im Rahmen der positiven Schutzpflicht, das Leben der Menschen zu schützen.

Weiters ist Österreich verpflichtet adäquate Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise flächendeckende und zweckentsprechende Testungen sowie ausreichende Intensivbetten und medizinischen Geräte, wie Beatmungsgeräte, zur Verfügung zu stellen und muss adäquate Maßnahmen ergreifen, die sicherstellen, dass Menschen - ohne Diskriminierung - unverzüglich Zugang zu Gesundheitsversorgung haben, wenn dies notwendig ist.

In diesem Zusammenhang muss auch die - in medizinischen Kreisen und Behindertenorganisationen geführte - Diskussion zu „Triage“ (d.h. Priorisierung von medizinischen Hilfeleistungen) gesehen werden. Denn selbst wenn dies in bestimmten - sich derzeit allerdings nicht abzeichnenden - Extremsituationen notwendig werden könnte, so muss diese individuell und auf rein medizinisch und ethischen Überlegungen beruhen und darf keinesfalls von staatlicher Seite geregelt werden.

Da das Recht auf Gesundheit auch die psychische Gesundheit umfasst, ist es wesentlich, dass die Bundesregierung ausreichende Mittel bereitstellt, um psychosoziale Unterstützung ohne Einschränkung  zugänglich zu machen, wie beispielsweise im Rahmen von kostenlosen Telefon Helplines.

Im Hinblick auf die bestehenden positiven Schutzpflichten des Staates wurde allerdings auch Kritik laut, dass Maßnahmen nicht schnell genug ergriffen und Informationen zu Infektionen zurückgehalten wurden, wie z.B. in Ischgl, Tirol. Es sind daher die Staatsanwaltschaft und letztlich die Gerichte gefordert, diesen geäußerten Vorwürfen sorgfältig nachzugehen und sie zu überprüfen.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem verpflichtenden Schutz des Lebens und der Gesundheit, stellt die Situation von besonders gefährdeten Personen dar, die dennoch ihrer Arbeit nachgehen müssen. Generell sollte sich niemand gezwungen oder verpflichtet fühlen, ihre*seine Arbeit durchzuführen, wenn dadurch die eigene Gesundheit unnötig gefährdet werden würde. Im Gegenteil, der Staat und auch die Unternehmen haben die positive Schutzpflicht sichere und gesunde Arbeitsbedingungen zu gewährleisten (Art. 23, 24 AEMR, Art. 7 (b) IPwskR, Art. 2, 3, 4 Europäische Sozialcharta  bzw. auch UN Guiding Principles on Business and Human Rights). Konkret bedeutet dies, dass der Staat und auch die Unternehmen adäquate Schutzmaßnahmen ergreifen müssen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen zu schützen. In Österreich wurden einige Maßnahmen diesbezüglich ergriffen, wie beispielsweise verpflichtendes Tragen von Mund-Nase-Schutzmasken, Beschränkung der Anzahl der Personen in Geschäftsräumlichkeiten, oder vereinzeltes Aufstellen von Plexiglaswänden in Supermärkten.

Vor allem mit dem dritten Covid-19 Maßnahmenpaket traten Änderungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes in Kraft, die Dienstnehmer*innen und Lehrlinge eine Freistellung mit Entgeltfortzahlung ermöglichen, wenn diese dem Arbeitgeber ein COVID-19-Risiko-Attest vorlegen und homeoffice und anderweitige Schutzmaßnahmen nicht möglich sind (§ 735 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)). Auch wenn dies eine jedenfalls notwendige Maßnahme ist, so ist die generelle Ausnahme zu dieser Freistellung höchst problematisch. Sie gilt nämlich nicht für Beschäftigte in kritischer Infrastruktur (§ 735 (4) ASVG) oder für Eltern, die ein minderjähriges und zur Risikogruppe gehörendes Kind betreuen müssen. Zudem fehlt es an einer einheitlichen Regelung für schwangere Frauen.

Es ist zwar notwendig, dass der Staat Maßnahmen setzt, um das Funktionieren der kritischen Infrastruktur aufrecht zu erhalten, eine grundsätzliche Ausnahme aller Risikogruppen, die in der kritischen Infrastruktur beschäftigt sind, scheint allerdings weder notwendig noch verhältnismäßig.

Ausgangsbeschränkungen

Das Betreten von öffentlichen Orten ist - laut der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, bis auf die in der Verordnung genannten Ausnahmen, derzeit grundsätzlich nicht erlaubt. Dies stellt einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit (Art. 12 AEMR, Art. 12 IPbpR, Art 2 4. ZPEMRK, Art 4 Staatsgrundgesetz - StGG) sowie in das Recht auf Privatsphäre (Art. 17 IPbpR, Art. 8 EMRK, Art. 10 StGG) dar.

Die Rechtmäßigkeit der Verordnung ist jedoch fraglich. Die Verordnung verbietet das Betreten von öffentlichen Orten und stützt sich dabei auf § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetz. Das Gesetz hingegen ermächtigt jedoch nur zu einer Regelung, die das Betreten von bestimmten Orten und nicht von öffentlichen Orten betrifft. Die gesetzliche Deckung der Verordnung bezweifeln auch Verfassungs- und Menschenrechtssexpert*innen.

Ungeachtet der seit 14. April 2020 geltenden Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen die im Wesentlichen das Einkaufen in weiteren Geschäften - beispielsweise Baumärkten – erlaubt, sieht die Verordnung des Gesundheitsministers Ausnahmen vom Verbots des Betretens von öffentlichen Orten für folgende Zwecke vor (§2 Ziffer 1-4): Gefahr im Verzug, Hilfeleistung, Deckung notwendiger Grundbedürfnisse und berufliche Zwecke. Zudem ist das Betreten von öffentlichen Orten im Freien generell und ohne das Vorliegen von bestimmten Zwecken erlaubt, sofern man zu Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, einen Meter Abstand hält (§2 Ziffer 5).

Die Einhaltung der Ausgangsbeschränkungen wird von der Polizei kontrolliert. Im Fall einer Polizeikontrolle sind Gründe glaubhaft zu machen, warum eine Betretung zulässig ist. Ein Glaubhaftmachen kann sich jedoch nur auf die genannten Ausnahmen beziehen, die einen Zweck für eine Betretung vorsehen (§2 Z1-4), nicht jedoch auf die generelle Ausnahme in §2 Z5, die an keinen bestimmten Zweck gebunden ist. Problematisch war in den vergangenen Wochen daher jedenfalls, dass die Regelung von Seiten der Bundesregierung, aber auch von manchen Medien, missverständlich oder irrtümlich als „Spaziergangerlaubnis“ interpretiert wurde. §2 Z5 der Verordnung sieht aber gerade keine Einschränkung auf einen bestimmten Zweck vor und erlaubt es auch, den ganzen Tag im Freien zu verbringen. Das lässt darauf schließen, dass die Rechtsgrundlage aufgrund der unklaren Formulierung nicht für ausreichend Rechtssicherheit gesorgt hat. Die Deutung der Bundesregierung, wonach nur Spazierengehen erlaubt sei, stellt in jedem Fall eine unzulässige, weil über die Rechtsgrundlage hinausgehende Einschränkung dar. Die Ausnahmeregelung der Verordnung ist zudem kritikwürdig, da der Polizei dadurch ein sehr weiter Ermessenspielraum zugestanden wird (siehe auch epicenter.works).

Die schnell erlassenen Verordnungen und deren teils missverständlicher Inhalt stellen auch die Polizei bei der Vollziehung vor Herausforderungen. In den vergangenen Wochen hat sich die Polizeipräsenz auf den Straßen stark erhöht und es sind zahlreiche Beschwerden laut geworden, wonach Menschen, die sich draußen bewegt haben, z.B. zum Einkaufen, auf dem Weg zur Arbeit oder beim Sitzen auf einer Parkbank, von der Polizei verwarnt worden seien oder Strafen erhalten haben sollen. Dies zeigt nicht nur die Problematik des weiten Ermessenspielraumes sondern ist wohl auch, mangels gültiger Rechtsgrundlage, unrechtmäßig.

Schließlich darf auch kritisch hinterfragt werden, ob die Ausgangsbeschränkungen das gelindeste Mittel darstellen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Während dem Staat ein weiter Ermessensspielraum zusteht, müssen dennoch Alternativen zu diesem intensiven Eingriff in die Menschenrechte in Betracht gezogen werden. Mit jedem weiteren Tag der Einschränkung wächst die Rechtfertigungspflicht der Bundesregierung. Zudem ist es geboten, dass der Staat auf die Bedürfnisse von Personen eingeht, die von den Ausgangsbeschränkungen besonders betroffen sind. Dazu zählen zum Beispiel Menschen mit psychischen Krankheiten oder Behinderungen, für die eine Isolation besondere Leiden hervorruft. Für solche Menschen sollten Ausnahmen geschaffen und der notwendige Schutz gewährt werden.

Zudem wurde im sogenannten Ostererlass versucht, das Betreten von privaten Wohnungen zu regeln. Es ist zu begrüßen, dass der Erlass innerhalb von kurzer Zeit wieder zurückgenommen wurde, da er einen wohl unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellt, der zudem nicht per Erlass geregelt werden kann.

Der Staat ist aufgefordert, die unklare und unzureichende Rechtsgrundlage für die Ausgangsbeschränkungen nachzubessern und über diese Regelung klar und unmissverständlich zu informieren. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit können weder per Erlass noch über Pressekommunikation vorgenommen werden. Zudem ist darauf zu achten, dass die Polizei ihre Befugnisse stets rechtskonform und verhältnismäßig ausübt.

Schließung von Kulturstätten und Ausübung der Religionsfreiheit

Die in § 2 des Covid-19 Maßnahmengesetzes vorgesehene rechtliche Grundlage für das Betretungsverbot hatte auch die Schließung von Museen, Theater, Kinos, Kirchen, Moscheen und Gebetshäuser zur Folge - auch wenn beispielsweise Katholische Kirchen für das individuelle Gebet weiterhin geöffnet bleiben. Dies berührt direkt die Kunstfreiheit (Art. 19(2) IPzpR, Art. 10 EMRK, Art. 17a StGG) und das Recht auf Religionsausübung (Art. 19 IPzpR, Art. 9 EMRK, Art. 15 StGG). Auch hier gilt, dass Alternativen zur totalen Schließung von der Bundesregierung in Betracht gezogen werden müssen und jegliche Diskriminierung vermieden werden muss.

Verbot von Versammlungen und eingeschränkte politische Teilhabe

Von den derzeit geltenden Ausgangsbeschränkungen ist auch das Recht der Versammlungsfreiheit (Art. 10 AEMR, Art. 21 IPbpR, Art. 11 EMRK, Art. 12 StGG) betroffen. Die Ausübung des Versammlungsrechtes ist insbesondere in Krisenzeiten von besonderer Bedeutung, um Unzufriedenheit gegenüber der Politik zum Ausdruck zu bringen - vor allem auch weil die politische Teilhabe der Bevölkerung stark eingeschränkt ist. So fanden in Österreich politische Wahlen aufgrund der COVID-19 Pandemie - wie bisher die Gemeinderatswahlen in der Steiermark und in Vorarlberg - nicht statt, sondern wurden aufgrund der Pandemie verschoben.

Das Recht auf Versammlungsfreiheit darf jedoch nur soweit eingeschränkt werden, wie dies zum Schutz der Gesundheit auch notwendig ist. Eine gelindere Form der Einschränkung zum derzeit de facto geltenden Versammlungsverbot könnte sein, Versammlungen unter bestimmten Bedingungen - beispielsweise, durch Abstandgebote und das verpflichtende Tragen eines Mund-Nase-Schutzes - zu erlauben.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Untersagung einer von der Österreichischen Hochschülerschaft Wien (ÖH Uni Wien) angezeigten Demonstration mit vier Teilnehmer*innen kritisch gesehen werden. Denn, obwohl dem Staat ein grundsätzlicher Ermessenspielraum hinsichtlich des erforderlichen Mittel zukommt, um die öffentliche Gesundheit zu schützen, so muss dieses stets das Gelindeste sein. Es ist daher fraglich, ob die gänzliche Untersagung der Versammlung tatsächlich notwendig und verhältnismäßig war, insbesondere da von der Veranstalterin ein Mindestabstand von zwei Metern und das Tragen von Mund-Nase-Schutzmasken sowie Handschuhen vorgesehen war. Es ist jedenfalls unumgänglich, dass die zuständige Behörde bei der Überprüfung von Versammlungsanzeigen - auch in Zeiten der COVID-19 Pandemie - im konkreten Fall zu überprüfen hat, ob ein derart gravierender Grundrechtseingriff - wie ein Verbot der Versammlung - notwendig und verhältnismäßig ist.

Zudem ist kritisch zu hinterfragen, warum beispielsweise Ansammlungen zur Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Tätigkeiten (wie z.B. für Arbeiten auf Baustellen) – unter Einhaltung eines Abstandgebotes von einem Meter - gestattet sind, die Ausübung des Versammlungsrechts jedoch grundsätzlich nicht ermöglicht wird. Jedenfalls ist spätestens mit einer Lockerung der Einschränkungen für das Geschäftsleben somit auch eine schrittweise Wiederherstellung des Versammlungsrechtes geboten.

Freiheitsentzug

Nach einer neuen Verordnung sind alle Menschen, die nach Österreich einreisen,angewiesen, sich 14 Tage in Quarantäne zu begeben, die nur durch Vorlage eines Negativtests beendet werden kann. Für jene Menschen, für die Heimquarantäne nicht möglich ist, ist eine angeordnete Anstalts-Quarantäne unter staatlicher Überwachung vorgesehen. Wie der UN Unterausschuss zur Verhütung von Folter (SPT) in einer Anfrage klarstellt, gilt jede Form von Quarantäne, die eine Person nicht nach Belieben verlassen darf, als Freiheitsentzug ( und somit als Eingriff in das Recht auf Freiheit (Art. 9 IPbpR, Art. 5 EMRK ). Freiheitsentzug stellt einen sehr schweren Eingriff dar, der auch eine Einschränkung weiterer Menschenrechte mit sich zieht und ist nur in Ausnahmefällen, aber wohl nicht automatisch und ohne Verdacht auf eine Infizierung mit dem Coronavirus, rechtfertigbar. Daher wird der Staat aufgefordert, das Testen von Verdachtsfällen als Alternative zu Freiheitsentzug stets vorzuziehen, um verpflichtende Quarantäne möglichst kurz zu halten oder gänzlich zu vermeiden. Daher ist der Staat verpflichtet, seine Anstrengungen zu erhöhen, um die Testkapazitäten zu erhöhen.

Zudem, muss Österreich auch sicherstellen, dass auch in Quarantäne, alle Verfahrensrechte im Freiheitsentzug aufrechterhalten werden, z.B. Zugang zu verständlichen Informationen, zu Rechtsbeistand und zu einer medizinischen Untersuchung.

Des Weiteren darf Freiheitsentzug nie zu unmenschlicher Behandlung (Art. 7 IPbpR, Art. 3 EMRK) führen. Diesbezüglich ist zu beachten, dass manche Menschen in Quarantäne besonders gefährdet sind (z.B. Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suizidgefährdete Personen, Menschen mit Behinderungen, Opfer häuslicher Gewalt). Daher ist der Staat aufgefordert, die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen, auch wenn sich Menschen nicht unter direkter staatlicher Kontrolle befinden.

Menschen in Gefängnissen sind in einer besonders verletzlichen Situation und zur Gänze auf den Schutz der Behörden angewiesen. Schutzmaßnahmen, die in der Gesellschaft getroffen werden, wie Isolation und „social distancing“, sind in Haft in der Regel so nicht möglich. Die Haftbedingungen und erheblicher Personalmangel in Justizanstalten waren bereits in den letzten Jahren Gegenstand heftiger Kritik und es ist zu erwarten, dass sich die Situation während der COVID-19 Pandemie noch verschlechtert. In Medien und von Insass*innen und Angehörigen wurde von großer Angst und Verunsicherung in den Anstalten berichtet und es gibt auch schon erste infizierte Insass*innen und Bedienstete. Besonders besorgniserregend ist die Situation für Personen mit einer psychischen oder körperlichen Erkrankung (das trifft vor allem auf den - international auch stark kritisierten - Maßnahmenvollzug zu) oder Ausländer*innen (deren Anteil in Österreich sehr hoch ist). Vor allem die empfindlichen Einschränkungen des Kontaktes zur Außenwelt führen zu großer Unsicherheit in Haft und die alternativen Kontaktmöglichkeiten (z.B. über Video-Telefonie) sind derzeit, laut Berichten, nicht zu bewerkstelligen. Auch die Einschränkung des Ausgangsverbots ist ein schwerer Eingriff in die Rechte von Insass*innen und droht dadurch die Situation in Haft dramatisch zu verschlechtern. Besonders problematisch ist die Ankündigung der Isolation aller Neuankömmlinge für 14 Tage, wenn in dieser Zeit keine sinnvollen menschlichen Kontakte angeboten werden, da dies, laut Expert*innen, eine schwere Misshandlung darstellen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kommissionen der Volksanwaltschaft ihre Monitoring Besuche bis auf weiteres ausgesetzt haben und damit derzeit keine unabhängige Kontrolle der Justizanstalt stattfindet.

Zu beachten ist, dass das Verbot der unmenschlichen Behandlung absolut, d.h. ohne Beschränkungen, gilt und dass der Staat bei der Verpflichtung zu menschenwürdigen Haftbedingungen Ressourcenknappheit nicht geltend machen kann.

Daher sind die Ankündigungen des Bundesministeriums für Justiz, die Justizanstalten, z.B. durch Aufschub des Strafantritts, zu entlasten, zu begrüßen. Von zahlreichen Expert*innen (z.B des Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und IRKS) wurde allerdings gefordert, dass weitere Alternativen zur Haft zu prüfen sind.

Darüber hinaus wird es aber sicher zusätzliche Überlegungen zu Alternativen in Haft benötigen, um Gefängnisse signifikant zu entlasten. Dies gilt insbesondere für Untersuchungshäftlinge, für die zudem die Unschuldsvermutung gilt. Die Inhaftnahme von Angeklagten, die keine Bedrohung für die Bevölkerung darstellen, ist unter den derzeitigen Umständen nicht zu rechtfertigen.

Auch die weitreichenden Ein- und Ausgangsbeschränkungen in den meisten Alters- und Pflegeheimen sind menschenrechtlich in diesem Kontext des Freiheitsentzugs zu bewerten. Dies insbesondere, als uns mehrfach von möglichen Pflege- und Betreuungsmängeln durch die massive Überlastung des Betreuungspersonals (Ausfälle aufgrund von Personalinfektion, Mangel an Schutzausrüstung, Mehraufwand durch arbeitsaufwändige Isolationsmaßnahmen) berichtet wurde. Die Beschränkungen scheinen unter der Perspektive des Schutzes der Gesundheit und des Lebens auch menschenrechtlich in den allermeisten Fällen und Umsetzungsvarianten nachvollziehbar. Darüber hinaus sind aber die zugehörigen menschenrechtlichen Standardsicherungsmaßnahmen während solcher tief eingreifenden Maßnahmen besonders wichtig. Dazu zählen die Sicherstellung von pflegerisch unterstütztem telefonischen Kontakt zu und von Angehörigen oder auch Beratungs- und Kontrollbesuche durch die Bewohnervertreter*innen nach HeimAufG, die NPM-Kommissionen der Volksanwaltschaft sowie - wo zuständig - der Patient*innenanwält*innen nach UbG. Es ist dringend geboten, dass diese Maßnahmen umgehend wiederaufgenommen und verstärkt werden. Weiters sind die in diesem Bereich tätigen Organe dringend mit der notwendigen Schutzausrüstung auszustatten, um ein aktives und passives Infektionsrisiko hintan zu halten. Da der besondere Schutz von Pflegeheimen noch lange geboten sein wird - selbst wenn die Einschränkungen in der Bevölkerung bereits gelockert werden - ist der Staat aufgefordert, die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um unnötige Leiden zu vermeiden und ein Leben der Betroffenen in Würde sicherzustellen.

Schließlich ist es gerade bei eingeschränktem Kontakt zur Außenwelt besonders wichtig, dass alle Orte des Freiheitsentzuges weiter von der Volksanwaltschaft überprüft werden. Dazu gehören ausdrücklich auch Orte, in denen Menschen unter verpflichtende Quarantäne gestellt werden. Derzeit führt die Volksanwaltschaft aus Sicherheitsgründen keine Besuche durch. Es ist zu hoffen, dass rasch Möglichkeiten gefunden werden, diese wiederaufzunehmen und dass Alternativen zu Besuchen gefunden werden, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und Beschwerdemöglichkeiten zu erhalten.

Diskriminierung

Vor allem in Krisenzeiten, wie der COVID-19 Pandemie, ist es unumgänglich, dass alle Menschen in Österreich gleichermaßen Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung, zu Schutzmaßnahmen, zu relevanten Informationen über die Pandemie, oder zu Sozialhilfeleistungen - kurz zu ihren Rechten - haben.

Das Verbot der Diskriminierung bzw. der Gleichheitsgrundsatz sind wesentliche Eckpfeiler des Menschenrechtsschutzes, die in allen internationalen und regionalen Konventionen (Art. 2 AEMR, Art. 2 IPbpR, Art. 2 IPwskR, Art. 14 EMRK) und auch im österreichischen Recht (Art. 2 StGG sowie in zahlreichen Bundes- und Landesgesetzen) fest verankert sind. Es ist daher wichtig, dass keine Maßnahme zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie – direkt oder indirekt – diskriminierend ist. Der Staat hat einerseits die Verpflichtung, niemanden unmittelbar oder mittelbar zu diskriminieren, andererseits aber auch die Pflicht Menschen, vor allem besonders schutzwürdige Gruppen, vor Diskriminierung durch Dritte zu schützen.

Bei der Frage, ob es bereits zu Diskriminierungen in Österreich, aufgrund der getroffenen Maßnahmen gekommen ist, muss jede Maßnahme einzeln und für sich genau, untersucht werden. Beispielsweise muss überprüft werden, ob bei social-distancing auch die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, die auf Unterstützung angewiesen sind, oder von älteren Menschen, berücksichtigt wurden, ob home schooling möglicherweise Kinder benachteiligt, die einen Migrationshintergrund haben oder Frauen unverhältnismäßig stark betrifft.

Zudem wurden, bereits vor dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie, Menschen in Österreich aufgrund ihrer Hautfarbe, Sprache oder ethnischen Zugehörigkeit von der Polizei angehalten (sogenanntes „racial / ethnic profiling“). In den sozialen Medien kursieren nun auch Beschwerden über racial profiling im Zusammenhang mit den zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie getroffenen Maßnahmen. Es ist grundlegend, dass Polizeibeamte stets den Grundsatz der Nichtdiskriminierung in ihrer Arbeit einhalten. Das umfasst auch die Kontrolle der Einhaltung der ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie.

Die derzeitige Krise ist auch geeignet, bereits vorhandene Stigmatisierung von Menschen, wie bei wohnungslosen Menschen, noch zu verstärken. Das kann sich wiederrum negativ auf die Gesundheit und das Leben vieler Menschen auswirken, vor allem dann, wenn Menschen aus Angst vor Stigmatisierung eine Erkrankung am Coronavirus verschweigen.

Meinungs-und Pressefreiheit

Seit Beginn der COVID-19 Pandemie ist ein Trend zu beobachten, kritische Stimmen zu den Regierungsmaßnahmen anzugreifen. Das betrifft insbesondere Journalist*innen und kann eine abschreckende Wirkung (sogenannter „chilling effect‘) auf die freie Meinungsäußerung haben und als solche die wichtige Berufsausübung von Journalist*innen stören.

Gerade in Zeiten der Krise sind kritische Beobachtung und Analyse extrem wichtig, um eine Einhaltung von Menschenrechten zu garantieren. Meinungsfreiheit bildet den "Grundstein für jede freie und demokratische Gesellschaft“ (Art. 19 AEMR, Art. 19 IPbpR, Art. 10 EMRK, Art. 13 StGG). Der Staat hat die Verpflichtung, ein Umfeld zu schaffen, dass freie und kritische Meinungsäußerung ermöglicht und fördert - dies gilt insbesondere für Journalist*innen in der Ausübung ihres Berufes. Das bedeutet auch, dass Journalist*innen und Medienvertreter*innen Zugang zu Informationen erhalten müssen, auf deren Grundlage sie ihre wichtige Funktion in einer pluralistischen Gesellschaft erfüllen können. Zutrittsbeschränkungen zu Pressekonferenzen, wie sie von der Bundesregierung anfangs geplant waren oder von der Tiroler Landesregierung auch angewendet wurden, sind daher nicht geeignet, dies zu erfüllen. Auch kann der Ausschluss von bestimmten Journalist*innen, Verleger*innen oder Medienunternehmer*innen von Pressekonferenzen, mit der Begründung der fehlenden technischen Möglichkeiten, niemals als eine notwendige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit angesehen werden, insbesondere auch dann nicht, wenn es dazu führen würde, dass kritische Fragen von Journalist*innen unterbleiben oder nicht beantwortet werden.

Im vierten Covid-19-Maßnahmenpaket wurden auch Gesetzesänderungen beschlossen, die eine finanzielle Sonderunterstützung für Medien regeln (zB § 12b Presseförderungsgesetz, § 45 Gesetz über die Errichtung einer Kommunikationsbehörde Austria). Auch wenn diese Maßnahmen notwendig sind, so sollte kritisch hinterfragt werden, weshalb die finanzielle Sonderunterstützung auf die Auflagenstärke des Mediums abstellt und somit als Bevorzugung der Boulevardpresse gesehen werden kann und digitale Medien nicht anspruchsberechtigt sind (siehe dazu auch Reporter ohne Grenzen; Presseclub Concordia). Es ist daher wesentlich, dass der Staat sicherstellt, dass finanzielle Sonderunterstützungen in Zeiten der Krise keinesfalls dazu führen, dass die Meinungsäußerungsfreiheit beeinträchtigt wird, indem die Medienvielfalt auf längere Sicht eingeschränkt wird.

Einsatz von neuen Technologien

Seit Beginn der COVID-19 Pandemie ist weltweit ein verstärkter Einsatz von neuen Technologien zur Überwachung der Einhaltung der ergriffenen Maßnahmen zu verzeichnen. So auch in Österreich, wo die Verwendung von Big Data immer öfter ins Treffen geführt wird, wenn es um die Eindämmung der COVID-19 Pandemie geht. Darüber hinaus gab es Berichte, wonach Telekomanbieter*innen die Bewegungsdaten ihrer Nutzer*innen an die Bundesregierung weitergeben und Drohnen zum Einsatz kommen, um Menschenansammlungen zu entdecken. Außerdem wurde die gesetzliche Grundlage für ein sogenanntes „Warnsystem“ durch Telekommunikationsanbieter*innen verabschiedet (§ 98a Telekommunikationsgesetz; siehe dazu auch Analyse von epicenter works) und die Stopp-Corona App des Roten Kreuz der Öffentlichkeit präsentiert (siehe dazu auch Analyse von epicenter works).

Die mit dem Einsatz von neuen Technologien und Big Data verbunden Risiken für die Menschenrechte liegen auf der Hand: Eingriffe in das Recht auf Privatsphäre (Art. 17 IPbpR, Art. 8 EMRK, Art. 10 StGG), in den Datenschutz und eine mögliche abschreckende Wirkung (sogenannter „chilling effect“) auf andere Rechte, wie beispielsweise Meinungsäußerungsfreiheit.

Vor allem ist es wichtig über die COVID-19 Pandemie hinauszublicken und technologische Möglichkeiten zur Eindämmung der Pandemie vor dem Hintergrund zu sehen, was diese für die Zukunft bedeuten könnten. Denn wie uns auch andere Beispiele zeigen (z.B. Antiterrormaßnahmen), besteht eine tatsächliche Gefahr, dass solche Maßnahmen dauerhaft werden. Daher sollten auch sogenannte contact-tracing Apps kritisch betrachtet werden, vor allem dann, wenn die - derzeitige - freiwillige und informierte Verwendung solcher Apps sich in eine Verpflichtung umwandelt, oder an die Lockerung von Ausgangsbeschränkungen geknüpft wird. Dies wäre nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht überaus bedenklich, sondern würde auch eine indirekte Benachteiligung bestimmter, besonders schutzbedürftige Gruppen darstellen, die beispielsweise nicht über die notwendige Technologie verfügen oder mit ihrem Umgang nicht vertraut sind.

In diesem Zusammenhang ist es auch bedenklich, dass es nun vermehrt Menschen gibt, die andere Menschen, die sich ihrer Meinung nach nicht rechtmäßig verhalten, in den sozialen Medien anprangern oder gar die Polizei rufen.

Darüber hinaus nutzen seit dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie Cyberkriminelle die aufkommenden Schwachstellen in IT-Systemen zu ihrem eigenen Vorteil. So werden gefälschte Arzneimittel und Schutzkleidung über das Internet verkauft, Computerdaten von Kriminellen verschlüsselt, um Personen zu Zahlungen zu nötigen oder Falschnachrichten verbreitet.

Die Bundesregierung hat die Errichtung eines digitalen Krisenstabs im Bundeskanzleramt angekündigt, um auch gegen Falschnachrichten in Verbindung mit der COVID-19 Pandemie vorzugehen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass dieses Vorgehen nicht zu einer Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit führen darf. Daher ist es wesentlich, dass die Bundesregierung Berichte zur Löschung von Falschnachrichten für die Öffentlichkeit zugänglich macht und auch Maßnahmen ergreift, um Menschen vor Cyberkriminalität und Hassreden im Internet schützen. Dazu zählen auch bewusstseinsbildende Maßnahmen für die Bevölkerung und Informationen, wie man sich selbst schützen kann.

Arbeitslosigkeit, soziale Sicherheit

Aufgrund der Betretungsverbote von Lokalen und Geschäften oder der Schließungen von Hotels, haben bereits mehr als 170.000 Menschen ihre Arbeit verloren, oder sind massiven wirtschaftlichen Einbußen ausgesetzt. Rund 400.000 Menschen sind in Kurzarbeit und mehr als 100.000 Kleinunternehmer*innen haben Anträge beim Härtefallfonds gestellt.

Dies hat direkte Auswirkungen auf das Recht auf Arbeit (Art. 23 AEMR, Art. 6 IPwskR), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 11 IPwskR) und das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 22 AEMR, Art. 9 IPwskR, Art. 12 Europäische Sozialcharta), deren Kernelemente auch in Krisenzeiten, ohne Diskriminierung, erfüllt werden müssen.

Letzterem zufolge ist Österreich dazu verpflichtet, Zugang zu Sozialhilfeleistungen, insbesondere bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Elternschaft - ohne Diskriminierung - bereitzustellen. In Österreich wurden nun, speziell um die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie abzufedern, unter anderem das Corona-Kurzarbeitsmodell und der Härtefall-Fonds für Selbstständige oder auch der COVID-19 Fonds beim Künstlersozialversicherungs-Fonds geschaffen. Das sind wichtige Maßnahmen, um das Recht auf soziale Sicherheit zu erfüllen und zu fördern. Wesentlich dabei ist, dass der Zugang zu diesen Unterstützungsleistungen nicht diskriminierend ist. Vor allem Menschen in prekären und a-typischen Beschäftigungsverhältnissen  (das sind insbesondere Asylwerber*innen, geflüchtete Menschen und Geringverdiener*innen) , oder im informellen Sektor, wie in der Gig-Economy, müssen Zugang zu Unterstützungsleistungen bekommen. Denn gerade diese Menschen sind unverhältnismäßig stark und als erste von Kündigungswellen betroffen und daher besonders schutzwürdig.

Vor allem die Regelung, welche Geschäfte geschlossen haben und welche nicht, sowie die Möglichkeit, für Supermärkte auch Artikel zu verkaufen, die nicht der Grundversorgung dienen, wurde vielerorts als unverhältnismäßig und als Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes kritisiert. Des Weiteren wurde auch kritisch hinterfragt, ob die komplette Schließung gegenüber der Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nase-Schutzmasken und Beschränkungen der Anzahl von Kund*innen, nicht von Anfang an das gelindere Mittel gewesen wären. Daher sollten die verantwortlichen Akteur*innen bei den jetzt angekündigten Lockerungen darauf achten, eine Differenzierung von Geschäften stets gut zu begründen und Alternativen in Betracht zu ziehen. Außerdem müssen bei jeder dieser Maßnahmen stets auch die Auswirkungen auf den Lebensunterhalt der Menschen mitbedacht werden und - soweit möglich - negative Auswirkungen durch gezielte Maßnahmen abgeschwächt oder gelindere Mittel bevorzugt werden.

Wohnungslosigkeit

Gerade in Zeiten, in denen die vorrangige Devise „Bleiben Sie zuhause!“ lautet, ist es besonders wichtig, auf die Menschen zu achten, für die dies nicht möglich ist, weil es kein Zuhause für sie gibt, sie aufgrund der COVID-19 Pandemie ihre Arbeit verloren haben, oder weil sie armutsgefährdet sind und nun nicht wissen, wie sie ihre Miete für den nächsten Monat zahlen können. Vor allem Menschen, die auf Wohnungslosenhilfe angewiesen sind, sehen sich in Zeiten der Coronakrise Hindernissen ausgesetzt, da aufgrund der Ausgangsbeschränkungen der Zutritt zu Tageszentren stärker reglementiert oder beschränkt ist. Dies kann letztendlich dazu führen, dass diese Menschen keine Möglichkeit mehr haben, die notwendigen Informationen über die COVID-19 Pandemie oder warmes Essen zu bekommen, sich weder waschen noch ausruhen können und keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung bekommen.

Das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 22, 25 AEMR, Art. 11 IPwskR) verpflichtet Österreich dazu, Wohnungslosigkeit vorzubeugen, Menschen, die keine Unterkunft haben, Zugang zu Unterkünften zu ermöglichen und Menschen vor ungerechtfertigten Eingriffe durch Dritte, wie beispielsweise Vermieter*innen, zu schützen. Daher war es auch notwendig, dass Österreich nun im vierten Corona-Maßnahmenpaket, eine gesetzliche Grundlage verabschiedet hat, die eine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Mietrückständen für die Monate April, Mai und Juni aufgrund der COVID-19 Pandemie ausschließt (§ 1 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz).

Vor allem die für die Wohnungslosenbetreuung essentiellen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe, Hilfswerk und andere Initiativen, haben ernste Schwierigkeiten, ihre Dienste aufrechtzuerhalten, da viele freiwillige Unterstützer*innen nun ausbleiben (als Beispiel siehe Gruft und Kochgruppen), oder weil zu wenige Plätze zur Verfügung stehen, um wohnungslose Menschen, im Falle einer Erkrankung am Coronavirus, zu versorgen und zu isolieren (so gibt es beispielsweise in einer Einrichtung in Feldkirch eines von acht Betten zur Isolation). Es ist die vorrangige Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass es ausreichend Notquartiere und Betten für wohnungslose Menschen gibt, damit sie sich - wenn notwendig - selbst isolieren können. Im Sinne des Grundsatzes der Verwendung aller verfügbaren staatlichen Mitteln, sollten daher die Anstrengungen erhöht und auch kollaborative Möglichkeiten mit dem Privatsektor (z.B. Hotelbetriebe) eruiert werden. Weiters ist es Aufgabe des Staates, mobile Toiletten und Waschgelegenheiten - wenn notwendig - zur Verfügung zu stellen, damit auch wohnungslose Menschen die maßgeblichen Hygienevorschriften zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie einhalten können, sowie für diese Menschen einen Zugang zu den notwendigen Informationen über die Pandemie sicherzustellen.

Home schooling und Zugang zu Bildung

Mit dem ersten COVID-19-Maßnahmenpaket wurden Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche geschlossen, außer deren Eltern arbeiten in systemrelevanten Bereichen oder können, aufgrund anderer persönlicher Gründe, der Betreuung zuhause nicht nachkommen (§18 Epidemiegesetz, Erlass des Bundesministers betreffend Kindergärten). De facto bedeutet das, dass der Großteil der Kinder und Jugendlichen nun zuhause ist und dort lernt. Vor allem Kinder, die die Volksschule, NMS oder AHS Unterstufe besuchen, sind dabei auf Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

Das sogenannte home schooling berührt das im internationalen Menschenrechtsschutz und in der österreichischen Verfassung verankerte Recht auf Bildung (Artikel 13, 14 IPwskR, Artikel 28 Kinderrechtskonvention - KRK, Artikel 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kinder) und muss dem besten Interesse des Kindes dienen (Artikel 3 KRK).

Das bedeutet, dass auch im home schooling jedes Kind die Möglichkeit haben muss, am Unterricht teilzunehmen bzw. die zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialen zu nutzen. Das setzt allerdings voraus, dass jedes Kind die notwendige technische Infrastruktur (z.B. Laptop, Internetzugang, allenfalls Drucker / Scanner) und auch Unterstützung (wenn bspw Aufgabenstellungen unklar) zuhause vorfindet. Die vom Bildungsminister gemachte Zusage, die technischen Mitteln für 12.000 Schüler*innen der AHS Unter- und Oberstufe sowie der BMHS zur Verfügung zu stellen, ist zwar begrüßenswert, benachteiligt allerdings Kinder, die eine Volksschule oder NMS besuchen. Daher ist diese Maßnahme nicht geeignet, allen Kindern einen Zugang zu Bildung zu ermöglichen und es bleibt dringend notwendig, dass Österreich - unabhängig von föderalen Strukturen und privaten Sachspenden - adäquate Lösungen findet, damit alle Schüler*innen, unabhängig von der Schulstufe oder ihrer sozialen Herkunft, am Unterricht teilnehmen können.

Grundsätzlich kann home schooling negative Auswirkungen auf die Chancengleichheit von Kindern haben. Vor allem Kinder, die von Armut betroffen sind, die kein stabiles Familienumfeld haben, die eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene schulische Betreuung benötigen, oder die einen Migrationshintergrund haben, sind davon besonders stark betroffen. Bereits jetzt können 6,8 Prozent der Kinder zwischen sechs und 14 Jahren, nicht mehr von ihren Lehrer*innen erreicht werden. Auch sind genderspezifische Aspekte in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen, da beispielsweise Mädchen unter Umständen sich nun vermehrt auch um jüngere Geschwister kümmern, oder Aufgaben im Haushalt übernehmen müssen, und dadurch in ihrer bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung eingeschränkt werden. Das könnte vor allem dann relevant werden, wenn der Handel wieder schrittweise öffnet, aber Schulen und Kindergärten noch weitgehend geschlossen bleiben und Betreuungsangebote an Schulen und Kindergärten nicht ausgedehnt werden.

Es ist daher Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass alle Kinder - auch in Zeiten von home schooling - Zugang zu Bildung haben und die dafür notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt ist, wenn diese nicht vorhanden ist. Der Staat muss außerdem eine Politik verfolgen, die im besten Interesse des Kindes ist und sicherstellen, dass jedes Kind eine zugängliche und angemessene Bildung bekommt. Das umfasst neben einer klaren Kommunikation, die Adaptierung des Schulkalenders, inklusive Schularbeiten, Prüfungen, so dass keinem Kind aufgrund der Schulschließungen kurzfristige oder langfristige Nachteile erwachsen. Zudem müssen die Betreuungspflichten in der Schule ausgeweitet werden vor allem, wenn Kinder für Pädagogen*innen nicht mehr erreichbar sind, oder die Eltern ihre Arbeit wieder aufnehmen müssen und dadurch ihre Kinder nicht mehr zuhause betreuen können (dies betrifft insbesondere Frauen). Daher muss rasch ein konkreter Plan für die Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs vorgelegt werden.

Häusliche Gewalt und Fristunterbrechung bei Gericht

Durch Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen steigt das Risiko für Frauen und Kinder, Opfer häuslicher Gewalt zu werden. Staaten sind daher in dieser Zeit noch stärker in der Pflicht, angemessene Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 7 IPbpR, Art. 2 und Art. 3 EMRK,) zu ergreifen. So sind beispielsweise eine ausreichende Anzahl an Plätzen in Frauenhäusern, für alle von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen, sicherzustellen und Frauennotrufnummern ausreichend zu finanzieren.

Klar ist jedoch, häusliche Gewalt ist kein Phänomen der Krise. Bereits vor der COVID-19 Pandemie galt: jede fünfte Frau in Österreich ist physischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt, meist durch ihren Partner oder Ex-Partner. Die Anzahl an ermordeten Frauen ist in Österreich zudem besonders hoch und ist in den letzten Jahr stark gestiegen. So wurden im Jahr 2018, 41 Frauen ermordet; im Jahr 2014 waren es 19. Auch gab es in Österreich bereits zuvor keine ausreichende Anzahl an Plätzen in Frauenhäusern, weshalb Amnesty International fortwährend und unabhängig von der derzeitigen Situation, den uneingeschränkten Zugang zu Frauenhäusern für alle von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern und hierfür die Bereitstellung von ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen fordert.

Auch können die verfahrensrechtlichen Fristunterbrechungen von gerichtlichen Verfahren Auswirkungen auf von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder haben. So gilt im Zivil- und Zivilverfahrensrecht grundsätzlich eine generelle Fristunterbrechung aller verfahrensrechtlichen Fristen bis 30. April 2020. Bei den Fristen betreffend eine einstweilige Verfügung (§§ 382b, 382e Exekutionsordnung), haben Richter*innen die Möglichkeit zu entscheiden, diese nicht zu unterbrechen. Allerdings hat die generelle Fristunterbrechung jedenfalls Auswirkungen auf anhängige Scheidungsverfahren. Dies ist vor allem im Hinblick auf die ohnehin schwierige Situation für von Gewalt betroffene Frauen besorgniserregend.

Schutz vor Verfolgung -Situation von Asylwerber*innen

Seit der Coronakrise gelten auch in Österreich Einreisebeschränkungen für Drittstaatsangehörige und EU-Bürger*innen. Für Asylsuchende muss es jedoch weiterhin möglich sein, einen Asylantrag in Österreich auch tatsächlich stellen zu können.

Asylwerber*innen die Einreise nach Österreich zu verweigern, wenn sie kein Gesundheitszeugnis vorweisen können, ist menschenrechtswidrig. Da ein Gesundheitszeugnis schwer oder gar nicht zu bekommen ist, werden Asylsuchenden de facto daran gehindert, einen Asylantrag in Österreich zu stellen. Österreich hat auch weiterhin die Aufgabe, Asylanträge zu prüfen (Art. 14 AEMR) und kein Mensch darf in ein Land zurückgeschoben werden, wenn ihm dort ein ernsthaftes Risiko der Verfolgung oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen (sogenanntes “non-refoulement-Verbot“, Art. 7 IPbpR, Art. 3 EMRK, Art. 3 Anti-Folterkonvention, Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention).

Der unlängst kolportierte Erlass des Innenministeriums, wonach eine Einreise für Asylwerber*innen an das Vorweisen eines Gesundheitszeugnisses geknüpft sein soll, verstößt zudem gegen eine einfachgesetzliche Regelung. Gemäß § 17 Asylgesetz kann ein Asylantrag bei jedem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gestellt werden. Dies ist auch weiterhin geltendes Recht in Österreich und somit müssen auch weiterhin Asylanträge an der Grenze gestellt werden können (siehe asylkoordination).

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