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Aus dem Magazin © Amnesty International

"Es ist die Wut, die mich antreibt": Interview mit der Aktivistin gegen Wohnungslosigkeit Regina Amer

12. Mai 2022

Aus dem Amnesty Magazin 1/2022


Regina Amer
ist 62 Jahre alt und Aktivistin im Bereich Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Nach ihren eigenen Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit, schloss sie sich 2018 dem Netzwerk HOPE (Homeless in Europe) an und gründete gemeinsam mit ihrer Tochter HOPE Austria. Im Interview erzählt Regina Amer von ihren eigenen Erfahrungen, den Herausforderungen, vor denen vor allem obdach- und wohnungslose Frauen stehen und darüber, was sie in ihrer Arbeit als Aktivistin motiviert.

Können Sie uns zu Beginn ein bisschen von Ihrer eigenen Geschichte erzählen?

Ich habe im Jahr 2015 meine Wohnung verloren, weil ich meinen Freund, der im Sterben lag, betreut habe. Damals habe ich mich nicht um meine eigene finanzielle Situation gekümmert, sondern um ihn und darum, dass er hat, was er braucht. Im Jahr 2017 habe ich dann vom Wohnungslosentreffen in Deutschland erfahren und dort den Chef von HOPE kennengelernt. Er meinte damals zu mir: „Wenn dich das stört, was da mit den Menschen passiert, dann tu was.“ Ein Jahr später habe ich gemeinsam mit meiner Tochter den Verein HOPE Austria gegründet.

Haben Sie damals, als Sie Ihre Wohnung verloren haben, die Unterstützung bekommen, die Sie gebraucht haben?

Unterstützung hatte ich keine. Die meisten haben sich zurückgezogen, als sie merkten, dass ich aus meiner Wohnung raus muss. Damals war nicht klar, wie lange ich wirklich warten muss, bis ich in eine neue Wohnung ziehen kann und da waren auf einmal alle Kontakte weg. Das war schlimm.

Wie hätten Sie besser unterstützt werden können?

Es wäre schön gewesen, wenn all die Menschen, denen ich all die Jahre davor geholfen habe, sich revanchiert und gesagt hätten: „Okay, für die zwei, drei Wochen kannst du bei mir wohnen, bis du deine Wohnung hast.“
Ein großes Problem ist außerdem, dass es schwierig ist, an Informationen zu kommen. Man wird immer wieder darauf verwiesen: „Schauen Sie sich das online an.“ Aber man kann nicht davon ausgehen, dass jede*r ein Online-Futzi ist und unbegrenzten Zugang zum Internet hat. Informationen und Flyer müssen dort angeboten und ausgelegt werden, wo Leute hingehen.

Können Sie uns erzählen, wie es für Sie als Frau war, als Sie wohnungslos waren?

Als Frau wohnungslos zu sein, ist echt nicht lustig, weil man immer wieder Angebote von Männern bekommt, die meinen: „Ich hab eh schon lange keine Frau gehabt, dann zieh doch zu mir.“ Oder man wird abgezockt, weil sie meinen: „Wenn du zahlst, kannst du bei mir wohnen“ und sobald die Kohle aus ist, wird man auf die Straße gesetzt.

Wohnen ist ein grundlegendes Menschenrecht, genauso wie das Recht auf Meinungsfreiheit. Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum das nicht einklagbar ist.

Aus welchen Gründen werden Frauen obdach- oder wohnungslos?

Ganz oft sind es Frauen, die aus einer Beziehung gehen. Oft sind es auch Frauen, die sich lange Gewalt gefallen lassen und daher irgendwann gehen und wohnungs- oder obdachlos werden. Oder es sind Frauen, die Betreuungspflichten haben, so wie ich, und sich dann nicht um die Miete kümmern können und dadurch auf der Straße sind. Die Gründe sind sehr unterschiedlich.

Vor welchen Herausforderungen stehen vor allem Frauen in der Wohnungs- und Obdachlosigkeit?

Es gibt wesentlich mehr Einrichtungen für Männer, weil man nicht weiß, wie viele Frauen es gibt. Frauen schweigen lieber und ziehen vom Franz zum Hans und wohin auch immer. Das nennt man „Couch Surfing“, wenn man immer von einer*einem zur*zum anderen zieht und überall so lange wie möglich bleibt. Ob sie dabei zu einer Frau oder zu einem Mann ziehen, ist egal. Sie haben keine eigene Wohnung und damit haben sie auch nicht die Chance, dass sie irgendwann eine bekommen. Denn in Wien eine Wohnung zu finden, die leistbar ist, das gibt es für jemanden, der kein Geld hat, nicht. Solange Frauen ökonomisch abhängig von Männern sind, solange sie so wenig verdienen, dass sie es sich nicht leisten können, sich eine Wohnung selbst zu finanzieren, werden wir das Problem weiterhin haben. Frauen müssen einfach finanziell unabhängig sein.

Sie haben 2018 zusammen mit Ihrer Tochter den Verein HOPE Austria gegründet. Was ist die Vision, das Ziel Ihrer Arbeit?

Es wird immer über Obdach- und Wohnungslosigkeit gesprochen, aber nicht mit den Menschen, die davon betroffen sind. Bei Hope geht’s darum, dass man eine Stimme für diese Menschen ist, weil sie nicht gehört werden.

Was ist Ihre persönliche Motivation in Ihrer Arbeit?

Die Wut. Die Wut, dass Menschen in so reichen Ländern wie Österreich auf der Straße leben müssen.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?

Wenn ich mir was wünschen darf, dann eine größere Wohnung mit zwei, drei Zimmern. Damit ich Menschen, die ganz dringend eine Wohnung brauchen, bis zur Klärung, wie es weitergeht, bei mir aufnehmen kann. Und für HOPE wünsche ich mir, dass wir in Zukunft nicht mehr notwendig sind, weil es Obdach- und Wohnungslosigkeit nicht mehr gibt. Aber ich fürchte, wir sind die nächsten 30 Jahre beschäftigt.

Wohnen ist (d)ein Menschenrecht

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