
Urgent Action Venezuela: Erneut Menschenrechtlerin festgenommen
13. August 2025Am 8. August 2025 wurde die Menschenrechtsverteidigerin Martha Lía Grajales bei Protesten für die Freilassung politischer Gefangener in Caracas festgenommen. Sie wurde von mutmaßlichen Polizeibeamt*innen in einen Kleinbus gedrängt. Ihr Schicksal und ihr Verbleib waren bis zum 11. August unbekannt, sie wird weiterhin willkürlich festgehalten. Auch weitere Menschenrechtsverteidiger*innen sind nach wie vor willkürlich inhaftiert. Zu ihnen gehören Javier Tarazona, Rocío San Miguel, Kennedy Tejeda, Eduardo Torres und Carlos Julio Rojas. Letzterer hat seit dem 30. Juli keinen Kontakt mehr zur Außenwelt.
Die Menschenrechtsverteidigerin Martha Lía Grajales ist willkürlich in Haft. Vom 8. bis 11. August waren ihr Schicksal und Verbleib unbekannt, was einem kurzzeitigen Verschwindenlassen gleichkommt. Den gegen sie erhobenen Vorwürfen – Anstiftung zum Hass, Verschwörung mit einer ausländischen Regierung und Bildung einer kriminellen Vereinigung – fehlt es an Beweisen und Glaubwürdigkeit. Vielmehr werden solche Anschuldigungen häufig zur Verfolgung und Bestrafung jeder Form von tatsächlichem oder vermeintlichem Dissens eingesetzt.
Die willkürliche Inhaftierung und das Verschwindenlassen von Martha Lía Grajales stehen im Kontext von Protesten für die Freilassung politischer Gefangener. Sie wurde am 8. August von mutmaßlichen Polizeibeamt*innen festgenommen, nachdem sie an einer Protestaktion vor dem Büro der Vereinten Nationen in Caracas teilgenommen hatte. Die Aktion, an der hauptsächlich Mütter politischer Gefangener teilnahmen, sollte die Angriffe anprangern, die sie nur drei Tage zuvor während einer friedlichen Mahnwache vor dem Obersten Gerichtshof erlitten hatten. In diesem Zusammenhang griffen bewaffnete paramilitärische Gruppen die Demonstrierenden an, schlugen sie und raubten sie aus, darunter auch Martha Lía Grajales selbst. Die Art und Weise, wie diese Mütter und weitere Aktivist*innen misshandelt und erneut traumatisiert wurden wird von Amnesty International aufs Schärfste verurteilt. Das massive Vorgehen ist ein Verstoß gegen das Recht auf friedlichen Protest.
Auch weitere Menschenrechtsverteidiger*innen sind aufgrund ihrer Arbeit willkürlich inhaftiert. Zu ihnen gehören Javier Tarazona (seit 2. Juli 2021 in Haft), Rocío San Miguel, die dringend operiert werden muss (seit 9. Februar 2024 in Haft), Carlos Julio Rojas (seit 15. April 2024 in Haft), Kennedy Tejeda (seit 2. August 2024 in Haft) und Eduardo Torres (seit 9. Mai 2025 in Haft). Die aktuelle Situation von Carlos Julio Rojas gibt Anlass zu besonderer Sorge. Seit dem 30. Juli hat seine Familie keinen Kontakt mehr zu ihm. Telefonanrufe, Besuche und sogar die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten – die im Haftzentrum El Helicoide, in dem er festgehalten wird, nicht bereitgestellt werden – werden ihm verweigert.
Derzeit werden fast 900 Menschen aus politischen Gründen willkürlich in venezolanischen Gefängnissen festgehalten oder sind "verschwunden". Zu ihnen gehören Staatsangehörige aus Spanien, Kolumbien und der Ukraine sowie anderen Länder. Die meisten von ihnen sind dort weiteren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören das Verschwindenlassen und Folter, die Verweigerung einer angemessenen Verteidigung bei Strafverfahren, die Vorenthaltung medizinischer Versorgung und die Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt. Häufig werden ihnen Straftaten vorgeworfen, ohne Beweise vorzulegen. Da Verbrechen unter dem Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverletzungen in Venezuela weiterhin ungestraft bleiben, sollten sich die venezolanischen Behörden bewusst sein, dass sie von internationalen Rechenschaftsmechanismen – einschließlich der UN und des Internationalen Strafgerichtshofs – individuell und auf staatlicher Ebene überwacht und geprüft werden.
Hintergrund
Die langjährige Repressionspolitik der Regierung von Nicolás Maduro, mit der jede Form von tatsächlichem oder vermeintlichem Dissens zum Schweigen gebracht werden soll, erreichte nach den Wahlen vom 28. Juli 2024 einen historischen Höhepunkt. Mehr als 2.000 Personen wurden aus politischen Gründen willkürlich inhaftiert, viele von ihnen wegen offenbar unbegründeter Vorwürfe von Terrorismus und der Aufstachelung zum Hass, darunter auch gefährdete Gruppen wie Kinder und Menschen mit Behinderungen. Nach Angaben der lokalen NGO Foro Penal wurden bis zum 5. August 2025 mindestens 807 Personen aus politischen Gründen willkürlich inhaftiert, darunter 95 Frauen, vier Jugendliche und 44 Personen, deren Schicksal und Verbleib unbekannt ist.
In dem kürzlich erschienenen Bericht "Detentions Without a Trace" (Inhaftierungen ohne Spur) stellt Amnesty International 15 Personen vor, deren Geschichten belegen, wie breit in Venezuela das Verschwindenlassen eingesetzt wird, insbesondere zwischen August 2024 und Juni 2025. Bis zum 11. August 2025 waren acht dieser Personen weiterhin "verschwunden": Andrés Martínez (spanische Staatsbürgerschaft), Damián Rojas, Danner Barajas (kolumbianische Staatsbürgerschaft), Eudi Andrade, Jorgen Guanares, Jose María Basoa (spanische Staatsbürgerschaft), Rory Branker und Yevhenii Petrovich Trush (ukrainische Staatsbürgerschaft). Der Aufenthaltsort von Alfredo Díaz, Dennis Lepaje, Eduardo Torres, Raymar Pérez und Rosa Chirinos wurde zwar ermittelt, aber sie werden weiterhin willkürlich festgehalten.
Im Rahmen dieser Repressionspolitik fährt die Regierung eine repressive und auf Schikane, Strafverfolgung und Zensur beruhende Linie gegen Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Rechte der Venezolaner*innen einsetzen. In Venezuela herrscht derweil eine komplexe humanitäre und menschenrechtliche Krise, die dazu geführt hat, dass so viele Menschen wie nie zuvor das Land verlassen haben, um im Ausland Schutz zu suchen. Ihre Zahl belief sich im Mai 2025 bereits auf 7,9 Millionen.
Amnesty International hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Menschenrechtsverteidiger*innen in Venezuela ständig der Gefahr von Schikanen, Angriffen und Inhaftierung ausgesetzt sind. Die Regierung von Nicolás Maduro verfolgt derzeit mehrere Initiativen, um Menschenrechtsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft zu kontrollieren und zum Schweigen zu bringen. Der im August 2024 verabschiedete Gesetzentwurf mit dem Titel "Gesetz zur Prüfung, Regulierung, Tätigkeit und Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und verwandten Organisationen", das so genannte "Anti-NGO-Gesetz", sieht strenge Kontrollen vor, zu denen die Aushändigung von Listen von Mitgliedern und Mitarbeiter*innen, deren Vermögenswerten, von Spender*innen sowie die Registrierung von Finanztransaktionen gehören. Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften könnte zur Schließung zivilgesellschaftlicher Organisationen und möglicherweise zu ihrer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Bestimmungen des Gesetzes traten im Februar 2025 in Kraft.
Seit 2020 konnte die unabhängige internationale Ermittlungsmission für die Bolivarische Republik Venezuela in mehreren Berichten zahlreiche seit 2014 begangene Menschenrechtsverletzungen ausführlich dokumentieren. Darunter sind außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen sowie Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafen. Die Berichte kommen zu dem Schluss, dass die Regierung das Rechtssystem als Instrument der Unterdrückung missbraucht und dass manche der dadurch begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen könnten. Insbesondere im Jahr 2024 kam die Ermittlungsmission zu dem Schluss, hinreichende Gründe für die Annahme zu haben, dass "während des von ihrem Mandat abgedeckten Zeitraums das Verbrechen der Verfolgung aus politischen Gründen begangen wurde".
Seit November 2021 führt die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs eine strafrechtliche Untersuchung der Situation in Venezuela durch, insbesondere im Hinblick auf "Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Freiheitsberaubung oder andere schwere Formen des Entzugs der körperlichen Freiheit (...), Folter (...), Vergewaltigung und/oder andere Formen sexualisierter Gewalt von vergleichbarer Schwere (...) und der politisch motivierten Verfolgung von inhaftierten Personen (...), die mindestens seit April 2017 von Angehörigen der Sicherheitskräfte, zivilen Behörden und regierungsnahen Personen (oder Gruppen, die 'Kollektive' genannt werden) begangen wurden."
Bitte bis Ende Jänner 2026 unterschreiben.