Najet Laabidi ist Verteidigerin in mehreren Folterprozessen in Tunesien, darunter auch in dem Verfahren „Barakat Al-Sahel“. Darin geht es um die Folter von 244 Soldat_innen, denen vorgeworfen wird, 1991 einen Putschversuch gegen den ehemaligen Präsidenten Ben Ali geplant zu haben. Die Soldat*innen erstatteten 2011 Anzeige gegen den ehemaligen Präsidenten Ben Ali, den ehemaligen Innenminister, die ehemalige Leitung der nationalen Sicherheit und ehemalige hochrangige Angehörige der Staatssicherheit. Sie werfen ihnen vor, ihre Macht missbraucht und Menschen so schwer gefoltert zu haben, dass sie starben oder bleibende Einschränkungen davontrugen.
Najet Laabidi wurde zunächst vom erstinstanzlichen Gericht in Tunis zu sechs Monaten Haft verurteilt, weil sie einer Staatsbeamtin Straftaten vorgeworfen habe, für die sie keine Beweise habe (Paragraf 128 des tunesischen Strafgesetzbuches). Ein Video dieser Erklärung wurde auf YouTube hochgeladen und auch zahlreich auf Facebook geteilt. Najet Laabidi erfuhr von ihrem Urteil erst am 24. April 2017. Sie legte sofort Rechtsmittel dagegen ein. Am 10. Mai 2017 wurde das Urteil in ihrer Abwesenheit bestätigt.
Der Fall von Najet Laabidi ist nur ein Beispiel für die zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Tunesien. Amnesty International hat mehrere Fälle dokumentiert, in denen Menschen nur deshalb strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie Meinungen geäußert hatten, die als kritisch gegenüber Behörden angesehen wurden. Die strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die sich gegenüber Regierungsorganisationen kritisch äußern, ist nicht vereinbar mit Tunesiens Verpflichtung, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu achten. Dieses Recht ist in Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und in Tunesiens Verfassung festgeschrieben. Mehrere Paragrafen im Strafgesetzbuch, im Telekommunikationsgesetz, im Pressegesetz, im Militärjustizgesetz und im Antiterrorgesetz gestatten in Tunesien die strafrechtliche Verfolgung bei der Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Ähnlich ist der Fall des Abgeordneten und Bloggers Yassine Ayari. Er wurde im März 2018 von einem Militärgericht in Abwesenheit zu 16 Tagen Haft verurteilt. Er hatte am 27. Februar 2017 einen Post auf Facebook geteilt, in dem er sich über die Ernennung eines ranghohen Militärkommandanten lustig machte.
Seit 2011 wurden mindestens zehn Zivilpersonen in Verbindung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung vor Militärgerichte gestellt. Meistens hatten die Angeklagten das Militär oder Staatsbeamt*innen kritisiert. Im September 2016 wurde der Journalist Jamel Arfaoui von der Militärstaatsanwaltschaft angeklagt. Ihm wurde vorgeworfen, in einem Artikel auf einer Nachrichten-Website, den Ruf des Militärs untergraben zu haben.