Am 7. Mai 2021 erließ die Staatsanwaltschaft im Warschauer Stadtteil Praga einen Befehl zur Beschlagnahme mehrerer Gegenstände aus Justyna Wydrzyńskas Wohnung, darunter auch aller "Telekommunikationsmittel". Zuvor war sie über die Beteiligung von Justyna Wydrzyńska an der Unterstützung einer schwangeren Frau informiert worden, die zu Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 Hilfe bei der Beschaffung von Tabletten für einen selbst durchgeführten Schwangerschaftsabbruch gesucht hatte. Am 1. Juni 2021 führte die Polizei eine Hausdurchsuchung bei Justyna Wydrzyńska durch, bei der sie Tabletten, einen Computer, USB-Sticks und Mobiltelefone von ihr und ihren beiden Kindern beschlagnahmte. Am 22. November 2021 erhob die Staatsanwaltschaft gegen Justyna Wydrzyńska Anklage wegen Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch (Artikel 152, Absatz 2 Strafgesetzbuch) sowie wegen des Besitzes von Arzneimitteln ohne Zulassung zum Zwecke des Inverkehrbringens (Artikel 124 Arzneimittelgesetzbuch). In den von der Polizei in Justyna Wydrzyńskas Wohnung beschlagnahmten Tabletten befanden sich die Arzneistoffe Mifepriston und Misoprostol, die auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen. Doch laut Staatsanwaltschaft seien zwei der beschlagnahmten Arzneimittel in Polen nicht zugelassen. Die erste gerichtliche Anhörung ist für den 8. April in Warschau vorgesehen.
Justyna Wydrzyńska ist eine Aktivistin und Doula, die Menschen bei Schwangerschaftsabbrüchen begleitet. Sie ist eine der vier Gründerinnen des Aktivist*innenkollektivs Aborcyjny Dream Team, das sich gegen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen einsetzt und Schulungen sowie unvoreingenommene Beratungen für den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen anbietet. Seit 2019 ist Aborcyjny Dream Team Teil von Abortion Without Borders, einem feministischen Basisnetzwerk, das aus sechs Organisationen aus Polen und anderen Ländern Europas besteht. Das Netzwerk bietet Informationen, Beratung sowie finanzielle und praktische Unterstützung für Menschen in Polen, die einen Schwangerschaftsabbruch im Ausland benötigen, oder Zugang zu zuverlässigen Onlinequellen für Abtreibungsmedikamente, die einen sicheren, selbst eingeleiteten Schwangerschaftsabbruch zu Hause ermöglichen, da es in Polen nicht verboten ist, einen Schwangerschaftsabbruch selbst durchzuführen. Die polnischen Behörden haben die Aktivitäten von Aborcyjny Dream Team schon sind seit einigen Jahren im Visier. Angesichts eines zunehmend feindseligeren Umfelds sind die Aktivistinnen zudem frauenfeindlichen und verleumderischen Kampagnen ausgesetzt.
Polens Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen gehört zu den restriktivsten in ganz Europa. Am 22. Oktober 2020 entschied das polnische Verfassungsgericht, dass ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer tödlichen oder schweren Schädigung des Fötus verfassungswidrig ist, und strich damit einen der wenigen verbleibenden legalen Gründe für eine Abtreibung. Vor dem Inkrafttreten des Urteils am 27. Januar 2021 waren über 90 Prozent der jährlich rund 1.000 legalen Schwangerschaftsabbrüche im polnischen Gesundheitswesen aus diesem Grund erfolgt.
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