
Iran: Nach Luftangriffen unmenschliche Haftbedingungen
9. Juli 2025Nach den israelischen Luftangriffen sind hunderte Gefangene, darunter viele willkürlich Inhaftierte, aus dem Teheraner Evin-Gefängnis verlegt worden und nun grausamen und unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt. Sie wurden in überfüllte Gefängnisse verlegt, nachdem die Luftangriffe am 23. Juni Teile des Evin-Gefängnisses zerstört hatten. Die iranischen Behörden verheimlichen das Schicksal bzw. den Verbleib Dutzender weiterer Gefangener. Dies könnte dem Völkerrechtsverbrechen des "Verschwindenlassens" gleichkommen. Den Verschwundenen drohen Folter und andere Misshandlungen.
Hunderte Gefangene aus dem Teheraner Evin-Gefängnis wurden in andere Gefängnisse in der Provinz Teheran verlegt, wo sie grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt sind. Diese Verlegungen erfolgten, nachdem das israelische Militär am 23. Juni durch gezielte Luftangriffe große Teile des Evin-Gefängnisses zerstört hatte. Direkte Angriffe auf zivile Objekte, wie z.B. Gefängnisse, sind schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.
Zum Zeitpunkt der Luftangriffe waren im Evin-Gefängnis Hunderte von Gefangenen untergebracht, darunter zwei Mütter mit Kleinkindern. Die Behörden ließen eine Mutter und ihr Kind frei, verlegten aber die zweite Mutter mit Kind zusammen mit den anderen etwa 70 weiblichen Gefangenen in das Shahr-e Ray-Gefängnis (auch bekannt als Gharchark-Gefängnis). Die weiblichen Gefangenen sind dort in zwei kleinen Räumen und auf einem Korridor untergebracht worden und verfügen nur über zwei Toiletten und zwei Duschen.
Rund 180 männliche Gefangene wurden in das Zentralgefängnis der Provinz Teheran (auch als Fashafouyeh-Gefängnis bekannt) verlegt und in vier Zellen mit einer maximalen Gesamtkapazität von 80 Personen untergebracht. Informierten Quellen zufolge durften viele Gefangene ihre Habseligkeiten nicht mitnehmen und wurden in Handschellen und Fußfesseln abgeführt und während der Verlegung geschlagen. Die Zustände in den genannten Gefängnissen sind katastrophal: Starke Überbelegung, die sich durch den neuen Zustrom von Gefangenen noch verschlimmert hat; schmutzige, unzureichende Sanitäranlagen, schlechte Belüftung, Insektenbefall, Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser und ein gravierender Mangel an Schlafmöglichkeiten, der die Gefangenen zwingt, auf dem Boden zu schlafen. Den Gefangenen, einschließlich älteren Menschen mit gesundheitlichen Problemen, wird eine angemessene medizinische Versorgung verweigert.
Die Behörden weigern sich auch, das Schicksal oder den Aufenthaltsort Dutzender weiterer Gefangener bekanntzugeben, die zum Zeitpunkt der Luftangriffe in den Abteilungen 2A, 209, 240 und 241 des Evin-Gefängnisses inhaftiert waren. Dieses Vorgehen könnte als Verschwindenlassen gelten, das ein Verbrechen nach dem Völkerrecht darstellt. In oben genannten Abteilungen des Evin-Gefängnisses waren Personen inhaftiert, die wegen Verstößen gegen die "nationale Sicherheit" unter Anklage standen und oder verurteilt worden waren. Familien der ehemals in diesen Gefängnisbereichen Inhaftierten befürchten, dass die Gefangenen bei den israelischen Luftangriffen getötet oder verletzt worden sein könnten bzw. jetzt einem erhöhten Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sind. Hunderte Gefangene, die von den Ereignissen seit dem 23. Juni betroffen waren, befanden sich in willkürlicher Haft. Zu ihnen gehören Menschenrechtsverteidiger*innen, Teilnehmer*innen an Demonstrationen, Dissident*innen, Angehörige der verfolgten Baha'i-Minderheit und andere Personen, die nur deshalb inhaftiert sind, weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und/oder Religionsfreiheit wahrgenommen haben, sowie Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit und ausländische Staatsangehörige und Personen, die wegen Schulden in Haft sind.
Ich wünschte, wir wären durch den Raketenangriff gestorben, anstatt so zu leben.
Fariba Kamalabadi, Angehörige der verfolgten religiösen Minderheit der Bahai über das Shahr-e Ray-Gefängnis
Das Shahr-e Rey-Gefängnis in Varamin, Provinz Teheran, ist seit langem durch grausame und unmenschliche Bedingungen gekennzeichnet. Es handelt sich um eine stillgelegte Hühnerfarm, in der weibliche Gefangene unter extrem überfüllten und unhygienischen Bedingungen festgehalten werden, ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser, angemessener Nahrung, Medizin oder frischer Luft. Amnesty International dokumentiert seit Jahren, dass Gefangene über mit Urin verschmutzte Fußböden, schmutzige Duschen und Toiletten, einen gravierenden Mangel an Schlafstätten und keinen Schutz vor ansteckenden Krankheiten sowie über minderwertiges Essen, das Gesteinspartikel enthält, und salziges, nicht trinkbares Wasser berichten. Am 25. Juni 2025 wurde auf dem Instagram-Account von Sayeh Seydal, einer weiblichen Gefangenen, die aus dem Evin-Gefängnis in das Shahr-e Rey-Gefängnis verlegt wurde, eine Audioaufnahme von ihr aus dem Gefängnis nach ihrer Verlegung veröffentlicht. In der Aufnahme sagte sie: "[Nachdem] die amerikanischen und israelischen Bomben uns nicht getötet haben, haben sie [die iranischen Behörden] uns an einen Ort gebracht, an dem sie uns praktisch töten. Ein Ort, an dem kein Mensch leben sollte. Es [wird] ein langsamer Tod [für uns] sein. Sie haben uns alle in einem Quarantäne-Bereich untergebracht... Es stinkt überall... Es ist, als ob [die iranischen Behörden] mit dieser Behandlung von uns politischen Gefangenen Rache an Israel und den USA nehmen wollen." In einem Medieninterview am 30. Juni berichtete Elhan Taifi, die Tochter von Fariba Kamalabadi, die der verfolgten religiösen Minderheit der Bahai angehört, dass die weiblichen Gefangenen nach ihrer Verlegung aus dem Evin-Gefängnis zwei Tage lang keinen Kontakt zu ihren Familien aufnehmen konnten. Sie erklärte, dass das Gefängnispersonal den Frauen mitteilte, dass sie aufgrund der Überbelegung auf unbestimmte Zeit in der Quarantänestation festgehalten würden, einem Bereich, der in der Regel nur für ein oder zwei Tage genutzt wird, bevor die Gefangenen in andere Abteilungen verlegt werden. Sie wies auch auf schwerwiegende sanitäre Mängel hin, darunter überlaufendes Abwasser in einem Raum, zudem seien die Räume klein und unhygienisch. Diese unmenschlichen Bedingungen im Shahr-e Rey-Gefängnis haben das furchtbare Lage der ehemaligen Evin-Gefangenen weiter verschärft. Mit Blick auf den unerträglichen Druck, der auf den Gefangenen lastet, zitierte Elhan Taifi ihre Mutter mit den Worten: "Ich wünschte, wir wären durch den Raketenangriff gestorben, anstatt so zu leben."
Vor den israelischen Luftangriffen hatten die Gefangenen und ihre Familien Sorge über den mangelnden Schutz der Gefangenen während des Konflikts geäußert und ihre Freilassung gefordert. In einem offenen Brief vom 18. Juni 2025 forderten acht willkürlich inhaftierte Gefangene im Evin-Gefängnis die Oberste Justizautorität auf, das Leben der Gefangenen zu schützen, unter anderem durch die Umsetzung eines Beschlusses des Obersten Justizrats, der die bedingte Freilassung von Gefangenen in Kriegsnotfällen erlaubt. Sie beriefen sich auch auf die iranischen Strafvollzugsvorschriften, in denen es heißt, dass bei Überschreitung einer "inakzeptablen Insassenzahl" (mehr als das Doppelte der Kapazität) oder in "Krisenzeiten wie Naturkatastrophen, unvorhersehbaren Zwischenfällen oder dem Ausbruch gefährlicher Infektionskrankheiten" geeignete Maßnahmen ergriffen werden müssen, bis die Notsituation behoben ist. Am 17. Juni 2025 berichtete der persische Dienst der Deutschen Welle, dass der Journalist Abdolreza (Reza) Valizadeh, der willkürlich in der Abteilung 8 des Evin-Gefängnisses inhaftiert war, in einer Nachricht an die Deutsche Welle ähnliche Sorgen äußerte. In seiner Nachricht warnte er, dass ein Luftangriff auf die Abteilung 8 des Gefängnisses Menschenleben gefährden würde, da es dort keine Nottreppe und keine Feuerlöscher gibt. Informierte Quellen berichteten Amnesty International, dass die Abteilung 8 bei den Luftangriffen beschädigt wurde. Die iranischen Behörden haben bekannt gegeben, dass bei den israelischen Luftangriffen auf das Evin-Gefängnis mindestens 79 Menschen getötet wurden, darunter Gefangene, Familienangehörige von Gefangenen und Personal der Gefängnisverwaltung. Ein fünfjähriges Kind wurde zusammen mit seiner Mutter, die im Gefängnis arbeitete, ebenfalls getötet.
Auch im Fashafouyeh-Gefängnis herrschen seit langem grausame und unmenschliche Bedingungen. Seit Jahren berichten die Gefangenen von schwerer Überbelegung und der Verweigerung medizinischer Versorgung. Ein schockierendes Video mit Aufnahmen aus dem Inneren des südlich von Teheran gelegenen Gefängnisses, das der persische Dienst der BBC am 1. Juli 2025 veröffentlichte, zeigt ehemalige Evin-Häftlinge, die auf dem Boden in einem überfüllten Raum schlafen. Als Zeichen der Verzweiflung der Familien, Informationen über ihre Angehörigen zu erhalten, posteten Angehörige von Gefangenen, die noch immer keinen Kontakt zu ihren Familienmitgliedern im Gefängnis hatten, in den Sozialen Medien, dass sie sie in den veröffentlichten Aufnahmen nicht finden konnten. Das Gefängnis trennt nicht zwischen Gefangenen, die wegen gewaltfreier Straftaten schuldig gesprochen wurden, und solchen, die wegen Gewaltdelikten verurteilt wurden, was gegen internationales Recht verstößt, das vorschreibt, dass verschiedene Kategorien von Gefangenen in getrennten Einrichtungen oder Teilen von Einrichtungen untergebracht werden müssen. Am 30. Juni 2025 wurde ein bewegender Brief des Menschenrechtsverteidigers Reza Khandan, eines ehemaligen Evin-Gefangenen, der jetzt im Fashafouyeh-Gefängnis einsitzt, online veröffentlicht. In dem Brief beschreibt er die gewaltsame Verlegung der Gefangenen und die schlimmen Bedingungen in ihrem neuen Gefängnis: "Keiner der verletzten Gefangenen ... wurde in ein Krankenhaus gebracht. Anstatt uns Ruhe, Sicherheit und Heilung zu bringen, ketteten sie [bewaffnete Wärter] uns paarweise aneinander... Sie waren nicht in der Lage, für die grundlegendsten Bedürfnisse der Gefangenen zu sorgen, aber in nur wenigen Stunden hatten sie Tausende von Handschellen, Fußeisen und Mittel zum Fesseln zusammengetragen... Gefangene, die Stunden zuvor noch Verwundete gerettet hatten, wurden nun von Sicherheitskräften mit auf ihren Kopf gerichteten Gewehren ins Visier genommen. Wir haben über 24 Stunden nicht geschlafen und neun Stunden lang hatten wir nicht einmal etwas zu trinken. Seit unserer Ankunft sind nun schon einige Tage vergangen. Noch immer unter dem Trauma des Bombenanschlags und unserer schrecklichen Verlegung leidend, wurden wir mit den harten, chaotischen Bedingungen dieses neuen Gefängnisses konfrontiert. Die Überbelegung, die Unordnung, die mangelnde Hygiene und die Insekten, von denen es in den überfüllten Zellen wimmelt, machen auch den kleinsten Moment der Ruhe unmöglich ...".
Bitte bis 4. Okt. 2025 unterschreiben.