Amnesty International geht davon aus, dass in Trakt 5 des Sheiban-Gefängnisses mehr als 150 Personen aus politischen Motiven festgehalten werden. Unter ihnen befinden sich auch gewaltlose politische Gefangene. Am 31. März organisierten diese Gefangenen gemeinsam mit Insassen anderer Trakte Proteste gegen die Gefahren einer Ausbreitung des Coronavirus in dem Gefängnis. Sie forderten Maßnahmen zum Schutz gegen das Virus, wie Freilassungen, Corona-Tests, Behandlungsmöglichkeiten und Hygieneprodukte. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge wandten die Sicherheitskräfte von Anfang an unnötige bzw. unverhältnismäßige Gewalt an, um die Proteste niederzuschlagen. Als die Proteste in einigen Trakten in Aufstände umschlugen und Häftlinge Dinge in Brand steckten, schossen Gefängniswärter in Kampfausrüstung unterschiedslos mit scharfer Munition, Tränengas und Metallgeschossen auf die Insassen. Dies berichteten kürzlich entlassene Häftlinge sowie Verwandte von Inhaftierten und Menschenrechtler*innen, die mit Personen innerhalb des Gefängnisses in Verbindung stehen. Diesen Berichten zufolge sind womöglich bis zu 20 Häftlinge an Erstickung, Verbrennungen oder Schussverletzungen gestorben, und Hunderte weitere wurden verletzt.
Gefangene aus Trakt 5 haben zudem angegeben, später am selben Tag von Gefängniswärtern gezwungen worden zu sein, durch einen sogenannten „Foltertunnel“ zu gehen. Hierbei wurden die Häftlinge auf dem Weg von ihren Zellen in den Hof von Gefängniswärtern, die sich auf beiden Seiten positionierten, mit Schlagstöcken und Kabeln auf den Rücken und den Kopf geschlagen. Ein kürzlich entlassener Gefangener berichtete, dass die Insassen gezwungen wurden, barfuß über einen mit Scherben übersäten Pfad zu laufen. Im Gefängnishof wurden die Häftlinge dann einzeln zu ihrer Rolle bei den Protesten befragt. Dutzende von ihnen wurden daraufhin mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht. In den darauffolgenden zwei Wochen verweigerten die Behörden jede Auskunft über das Schicksal und den Verbleib dieser Gefangenen. Die meisten von ihnen wurden am 13. April wieder in Trakt 5 des Sheiban-Gefängnisses zurückgebracht. Offenbar waren sie in der Zwischenzeit in einer Hafteinrichtung des Geheimdienstministeriums in Ahvaz festgehalten und dort verhört und gefoltert worden.
Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge laufen die meisten der Personen, die aktuell aus politischen Motiven in Trakt 5 des Sheiban-Gefängnisses inhaftiert sind, Gefahr, sich in Verbindung mit den Protesten wegen neuer Anklagen verantworten zu müssen. Manche von ihnen sind bereits seit 10-20 Jahren im Gefängnis und hätten bei einer erneuten Verurteilung nur geringe Aussichten auf Hafturlaub oder Begnadigung. Zu ihnen zählen Mohammad Ali Amouri (zwölf Jahre in Haft), Abdulemam Zayeri (15 Jahre in Haft), Ali Manbouhi (20 Jahre in Haft), Nazem Berihi (18 Jahre in Haft), Rahim Afravi (20 Jahre in Haft), Abdolzahra (Zuhair) Heleichi (15 Jahre in Haft) und Yahya Naseri (15 Jahre in Haft). Die Menschenrechtler Mohammad Ali Amouri, Jaber Alboshokeh und Mokhtar Alboshokeh sind zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil sie sich friedlich in der mittlerweile aufgelösten Gruppe Al-Hiwar (arabisch für „Dialog“), die sich für kulturelle Rechte einsetzte, engagiert hatten.
Nachdem aus einigen Gefängnissen über COVID-19-Fälle berichtet wurde, organisierten Ende März Tausende Häftlinge in mindestens acht iranischen Gefängnissen Proteste gegen die unzureichenden Schutzmaßnahmen der Behörden. Diese Proteste wurden von den Sicherheitskräften in mehreren Gefängnissen mit tödlicher Gewalt niedergeschlagen. Glaubwürdigen Quellen zufolge wurden etwa 36 Personen getötet und Hunderte weitere verletzt.
Artikel 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragsstaat der Iran ist, verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Gemäß dem Völkerrecht müssen Staaten jegliche Folter- und Misshandlungsvorwürfe umgehend unabhängig und gründlich untersuchen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und dafür sorgen, dass die Betroffenen Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf und einer Entschädigung haben; hierzu zählt auch Rehabilitation. Nach dem Völkerrecht müssen die Behörden allen Inhaftierten ohne Verzögerung Zugang zu medizinischer Versorgung gewähren. Die Behörden sind zudem verpflichtet, Häftlinge angemessen in die Lage zu versetzen, mit ihren Familien und Freund*innen zu kommunizieren und Besuch von diesen zu erhalten. Solche Besuche sind wichtige Schutzmechanismen gegen Folter und andere Misshandlungen. Die Verschleierung des Schicksals bzw. Verbleibs von Inhaftierten kommt dem Verschwindenlassen gleich und stellt ein Verbrechen nach dem Völkerrecht dar.
Die Provinz Chuzestan im Südwesten des Iran hat eine große arabische Bevölkerung, deren Angehörige sich im Allgemeinen als „Ahwazi-Araber*innen“ begreifen. Trotz eines hohen Aufkommens an natürlichen Ressourcen leidet die Provinz unter schwachen sozioökonomischen Verhältnissen und starker Luft- und Wasserverschmutzung. Die Ahwazis leben oft in ärmlichen Verhältnissen am Stadtrand und leiden unter Diskriminierung hinsichtlich Zugang zu Beschäftigung, Wohnraum, politischer Teilhabe und kulturellen, bürgerlichen und politischen Rechten. Zudem sind sie in der Verwendung ihrer eigenen Sprache eingeschränkt und dürfen sie in der Grundschulbildung nicht verwenden. Dies hat zu tiefen Ressentiments geführt.