Zudem besteht hinsichtlich jeglicher Form von Überwachung ein erhöhtes öffentliches Interesse an einer Offenlegung der Funktionsweisen der Algorithmen. Die Tatsache, dass nicht einmal das Innenministerium (BMI) über diese Informationen verfügt, untergräbt das Recht auf Information und führt dazu, dass die zugrunde liegende Technologie keiner Rechenschaftspflicht unterzogen werden kann. In Österreich wird die Gesichtserkennungstechnologie von staatlicher Seite in der Strafverfolgung zur Identifizierung von Personen eingesetzt. Derzeit sind in Österreich potenziell ca. 600.000 Personen vom Einsatz betroffen, nämlich diejenigen Personen, die in der „Zentralen erkennungsdienstlichen Evidenz“ gespeichert sind. Laut Innenministerium werden mithilfe der Software Gesichtsbilder von Personen mit jenen in der erkennungsdienstlichen Evidenz abgeglichen. Als Bild kann hier beispielsweise ein Standbild eines Videos (zum Beispiel aus einer Überwachungskamera auf einem Bahnhof) oder ein Foto verwendet werden. Mithilfe des Abgleichs soll eine Person aus der Datenbank identifiziert werden.
Der Einsatz der Technologie in der Strafverfolgung wird in Österreich laut BMI auf § 75 SPG („Zentrale erkennungsdienstliche Evidenz“) gestützt. Bei der Einführung dieser gesetzlichen Bestimmung hatte der Gesetzgeber jedoch keine derartige Software und vor allem nicht deren Risiken vor Augen. Daher ist diese Bestimmung ungeeignet, eine derartige Technologie – vor allem in Hinblick auf ihre menschenrechtlichen Risken – ausreichend zu regeln. Auch ein späterer gesetzlicher Versuch der Anpassung des § 75 SPG im Jahr 2016 änderte daran nichts: das Gesetz enthält auch weiterhin keine explizite und ausreichende Regelung zum Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie. Es besteht die Gefahr, dass es auch in Österreich zu einer schrittweisen Ausweitung des Einsatzes der Gesichtserkennungstechnologie kommt, wie beispielsweise eine Ausweitung auf den sogenannten Echtzeit-Abgleich, die Erweiterung der eingesetzten Datenbanken oder die Ausweitung des Einsatzes auf weitere Datenbanken, wie beispielsweise auf einen Abgleich mit dem Pass- oder Führerscheinregister. Es ist wichtig, zukünftige Einsatzmöglichkeiten zur Massenüberwachung beispielsweise durch Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen frühzeitig hintanzuhalten.
So wird Gesichtserkennungstechnologie in anderen Staaten verwendet oder verboten
Am Berliner Bahnhof Südkreuz in Deutschland wurde ein Echtzeit-Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie durch Strafverfolgungsbehörden getestet. Dieses und andere Vorhaben zur Überwachung deutscher Flughäfen und Bahnhöfe und im Rahmen einer Reform des Bundespolizeigesetzes wurden – nach viel Kritik – bis auf weiteres eingestellt.
In der Volksrepublik China wird Gesichtserkennungstechnologie zur Überwachung von Angehörigen der muslimischen Minderheit der Uigur*innen eingesetzt. Ihr allgegenwärtiger Einsatz wurde vor allem in der Region Xinjiang umfassend dokumentiert.
Mehr als 117 Millionen Erwachsene in den Vereinigte Staaten befinden sich in einer Gesichtserkennungsdatenbank von Strafverfolgungsbehörden. In Australien wird versucht, eine nationale Gesichtsdatenbank für den staatlichen Gebrauch aufzubauen, die Pläne umfassen auch die Nutzung durch Strafverfolgungsbehörden. In mindestens zehn EU-Mitgliedstaaten wird Gesichtserkennungstechnologie von der Polizei eingesetzt.
Im Mai 2019 hat die Stadt San Francisco wegen massiver Missbrauchsbedenken die Verwendung der Technologie durch die Polizei und andere Behörden verboten. Als Folge der Black Lives Matter-Proteste kam es in weiteren Städten in den Vereinigten Staaten zu einem Verbot des Einsatzes von Gesichtserkennungssoftware.
Insbesondere aufgrund hoher Fehlerquoten haben kürzlich Unternehmen wie Amazon, Microsoft und IBM, die Gesichtserkennungssoftware entwickeln, den Einsatz ihrer Produkte zur Strafverfolgung eingeschränkt.
Im April 2021 hat die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag präsentiert, wonach bestimmte Verwendungen von künstlicher Intelligenz verboten werden sollen. Darunter fällt auch die Verwendung von biometrischer Gesichtserkennung zur Strafverfolgung im öffentlichen Raum. Allerdings entspricht aus Sicht von Amnesty International der Vorschlag der EU-Kommission bei weitem nicht den Anforderungen, die zur Minderung des enormen Missbrauchspotenzials von Gesichtserkennungstechnologien erforderlich sind. Der Vorschlag verbietet die Verwendung von Gesichtserkennungstechnologie zur Echtzeit-Erkennung durch Strafverfolgungsbehörden im öffentlichen Raum, jedoch sollen unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen für dieses Verbot gelten. Zudem ist der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware durch Strafverfolgungsbehörden – aus Bildmaterial von öffentlichen Videokameras – grundsätzlich auch weiterhin möglich, sofern der Abgleich nicht in Echtzeit stattfindet.