Höchste Zeit für Polizeireformen
In mehreren US-Bundesstaaten und auf kommunaler Ebene wurden nach Beginn der Proteste Teilreformen angestoßen. Dazu zählt auch die Einstellung des Einsatzes bestimmter Waffen gegen Demonstrierende wie Tränengas. In Minneapolis sprach sich eine Mehrheit des Stadtrats dafür aus, die örtliche Polizei aufzulösen und durch wirksamere Institutionen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit zu ersetzen.
„Polizeireformen auf allen Ebenen sind erforderlich, damit sich die Menschen im ganzen Land sicher fühlen, auf die Straße zu gehen und frei und friedlich ihre Meinung zu äußern, ohne Beamt*innen fürchten zu müssen, die geschworen haben, sie zu beschützen. Das ist ein in der Verfassung verankertes Recht und spiegelt sich in internationalen Menschenrechtsnormen. Dieses Recht mit Gewalt, Tränengas und Pfefferspray zu verweigern, ist ein unverkennbares Zeichen für Unterdrückung“, sagt Brian Griffey, Nordamerika-Experte bei Amnesty International.
Informationen aus frei verfügbaren Quellen
Um die Vorfälle während der Black Lives Matter-Demonstrationen bewerten zu können, trug das Crisis Evidence Lab von Amnesty International fast 500 Videos und Fotos der Proteste aus den sozialen Netzwerken zusammen.
Diese Inhalte wurden dann von Fachleuten mit entsprechender Expertise in den Bereichen Waffen, Polizeitaktik sowie internationales und US-amerikanisches Recht in puncto polizeilicher Gewaltanwendung überprüft, örtlich zugeordnet und analysiert. In einigen Fällen konnten auch Betroffene befragt und das Verhalten von Polizeikräften durch Erkundigung bei den örtlichen Polizeibehörden verifiziert werden.
Polizeigewalt in 40 Bundesstaaten
Die interaktive Karte von Amnesty International mit Videos von brutalen Polizeiübergriffen belegt ein verstörendes Ausmaß an Verstößen: Achtzig Prozent der US-Bundesstaaten sind betroffen. Bei einem Vorfall am 1. Juni beispielsweise verübten Sicherheitskräfte verschiedener Bundesbehörden (National Park Police, Bureau of Prisons und DC National Guard) auf dem Lafayette Square in Washington, DC eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen gegen dort demonstrierende Personen. Sie stießen Protestierende und Medienschaffende mit Schutzschilden zur Seite, brachten missbräuchlich unterschiedliche Reizstoffe zum Einsatz und warfen Stinger Ball-Granaten, die Pfefferspray sowie Blitz-Knall-Sätze enthalten und nicht zielgenau Gummipellets abschießen.
Der Angriff stand im Zusammenhang mit einem Fototermin von Präsident Trump vor einer nahe gelegenen Kirche und war ein großes Thema in den Medien. Die Washington Post berichtete mit einer ausführlichen Video-Zeitleiste, für die Amnesty International Hintergrundinformationen zu Bewaffnung und Taktik der Polizei beisteuerte.
Die Verstöße waren nicht auf die größeren Städte beschränkt. Auch die kommunalen Polizeibehörden kleinerer Orte setzen in exzessiver Weise Tränengas gegen friedliche Demonstrant*innen ein, zum Beispiel in Louisville, Kentucky; Murfreesboro, Tennessee; Sioux Falls, South Dakota und Albuquerque, New Mexico. Am 30. Mai verlor ein Journalist in Fort Wayne, Indiana, ein Auge, als ein Polizist ihm eine Tränengasgranate ins Gesicht feuerte.
REchtliche Analyse zur Gewaltanwendung
Unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegen friedliche Demonstrant*innen verstößt sowohl gegen die US-Verfassung als auch gegen internationale Menschenrechtsnormen.
Strafverfolgungsbehörden aller Ebenen sind verpflichtet, friedliche Versammlungen zu respektieren, zu schützen und deren Durchführung zu gewährleisten.
Während die Mehrheit der Protestierenden friedlich war, griffen einige zu gewalttätigen Mitteln. In vielen Fällen haben die Sicherheitskräfte jedoch nicht auf einzelne Verstöße reagiert, sondern unverhältnismäßig und willkürlich Gewalt gegen ganze Demonstrationen angewendet.
Die Sicherheitskräfte dürfen bei öffentlichen Versammlungen nur dann auf Gewalt zurückgreifen, wenn diese absolut notwendig und verhältnismäßig ist, um auf schwerwiegende Gewalt zu reagieren, die das Leben oder die Rechte anderer bedroht. Aber selbst dann müssen Behörden streng zwischen friedlichen Demonstrant*innen sowie Passant*innen einerseits und aktiv an der Gewalt beteiligten Personen andererseits unterscheiden. Die Gewalttaten Einzelner rechtfertigen niemals die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gegen friedliche Demonstrant*innen als Gruppe. Zudem ist der Einsatz von Gewalt nur solange zulässig, bis die unmittelbare Bedrohung anderer eingedämmt ist.
Bei Einschränkungen öffentlicher Versammlungen darf es nicht zu Diskriminierungen aufgrund von Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit, politischer Ideologien oder anderer sozialer Kriterien kommen.