„Das spanische Parlament muss die Definition der Straftat Aufruhr dringend überarbeiten, um zu verhindern, dass friedlicher ziviler Ungehorsam kriminalisiert wird oder friedliche Versammlungen und Meinungsäußerungen unzulässig eingeschränkt werden“, sagt Esteban Beltrán, Direktor von Amnesty International Spanien.
Verstoß gegen das Legalitätsprinzip
Die vage Definition von Aufruhr und die zu breite Auslegung des Begriffs stellen auch die Schuldsprüche wegen Aufruhr gegen die katalanischen Politiker*innen in Frage.
„Die katalanischen Politiker*innen können zwar eine Straftat begangen haben, die in Anbetracht ihrer offiziellen Ämter eine Strafverfolgung nach sich ziehen kann. Doch ihre Verurteilung wegen Aufruhr – ein zu vage definierter Straftatbestand – verstößt gegen das Legalitätsprinzip. Die spanischen Behörden müssen dringend eine angemessene Lösung für diese Situation finden“, sagt Adriana Ribas, Amnesty-Koordinatorin in Katalonien, und sagt weiter:
„Jede*r hat das Recht zu wissen, ob das eigene Verhalten eine Straftat darstellen kann. Doch dieses Urteil zeigt, dass die vage Definition von Aufruhr dazu führen kann, dass dieser Straftatbestand unverhältnismäßig herangezogen wird. Die Auslegung der Straftat durch den Obersten Gerichtshof könnte zur Folge haben, dass sich Menschen nicht mehr ohne Angst an friedlichen Protesten beteiligen.“
Kriminalisierung von gewaltlosen Aktionen
Es besteht außerdem die Gefahr, dass das Gericht die Schwere der Tat mit der „massiven oder generellen“ Opposition zur Durchsetzung eines Gerichtsbeschlusses in Verbindung bringt. Damit hat das Gericht den Behörden die Möglichkeit eröffnet, eine rechtswidrige Höchstgrenze festzulegen, wie viele Menschen gleichzeitig friedlich ihr Recht auf Protest ausüben können.
Die unklare gesetzliche Definition der Straftat „Aufruhr“ und die Auslegung des Gerichts gestatten also die Auferlegung rechtswidriger Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. In der Folge werden eine ganze Reihe von gewaltlosen direkten Aktionen fälschlicherweise kriminalisiert.
Hintergrund
Die Urteile gegen die zwölf katalanischen Führungspersönlichkeiten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Katalonien um das Referendum vom 1. Oktober 2017 wurden am 14. Oktober gefällt: Sieben katalanische Regierungsvertreter*innen und zwei Leiter zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden wegen Aufruhr zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren Gefängnis und einem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter verurteilt. Drei weitere hohe Politiker*innen wurden wegen Ungehorsams zu einer Geldstrafe und dem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter verurteilt.
Internationale Menschenrechtsnormen geben vor, dass Einschränkungen des Rechts auf friedliche Versammlung vom Gesetz abgedeckt und notwendig sein und im Verhältnis zu einem konkreten öffentlichen Interesse stehen müssen. Eine Demonstration verliert ihren friedlichen Charakter nicht dadurch, dass Rechtswidrigkeiten begangen werden oder weil einige Protestierende Gewalt einsetzen.
Da friedliches Verhalten bei der Durchführung einer Protestveranstaltung bestimmten Einschränkungen unterliegen kann, müssen diese im Gesetz genau dargelegt werden. Jeder Straftatbestand muss im Gesetz ausreichend klar definiert sein, um das eigene Verhalten dementsprechend regulieren zu können.