"In einigen Fällen werden sie von den Eltern zu Verwandten in Polen geschickt. In einem Fall reiste eine 11-Jährige mit ihrem Onkel, der jedoch an der Grenze aufgehalten wurde, so dass sie allein weiterreiste“, sagte Irena Dawid-Olczyk, Vorsitzende der NRO La Strada.
Karolina Wierzbińska von Homo Faber berichtete der Polizei, dass eine Frau Frauen und Kinder ansprach, die am Bahnhof von Lublin ankamen, und ihnen Geld anbot, wenn sie ihr ihre Pässe aushändigten. Mitarbeiter ihrer Organisation haben auch beobachtet, dass Männer in Lublin aggressiv auf Frauen zugehen, die aus der Ukraine kommen, und ihnen Transport und Unterkunft anbieten.
Amnesty International fordert die Einführung eines standardisierten, institutionellen Registrierungssystems für den Aufenthaltsort, die Familienzusammensetzung und das Reiseziel der Flüchtenden sowie für die Identität der Personen, die ihnen Transport oder Unterkunft anbieten
Diskriminierungen auf der Flucht
Das ukrainische Kriegsrecht verbietet es Männern zwischen 18 und 60 Jahren, das Land zu verlassen. Bei den Menschen, die die Ukraine verlassen, handelt es sich daher überwiegend um Frauen und Kinder. Das Ausreiseverbot hat besonders problematische Auswirkungen auf behinderte Männer und Männer, die die alleinige Verantwortung für ihre Kinder tragen. Einigen behinderten Männern, die im Besitz bestimmter Dokumente sind, wurde die Ausreise gestattet. In der Praxis ist dies jedoch nicht immer der Fall.
„Mein Sohn hat in dem früheren Konfliktgebiet einen Arm und sein Gehör verloren. Wir waren mit ihm und meinem Mann im selben Auto, aber die ukrainischen Grenzbeamten ließen nur Frauen durch. Mein Sohn ist offiziell als Kriegsversehrter anerkannt, er kann nicht arbeiten, und trotzdem haben sie ihn nicht durchgelassen“, erzählt Sofia, eine Friseurin aus Dnipro. Sie und zwei Frauen, die mit ihr reisten, berichteten von vielen anderen Männern, die von ukrainischen Grenzbeamten aufgehalten wurden. „Ein Mann reiste mit seinen beiden Kindern, vielleicht fünf und ein Jahr alt, und wurde zurückgewiesen. Er sah aus, als ob er keine Frau hätte, vielleicht war er Witwer. Die ukrainischen Grenzbeamten sagten, sie [die Grenzbeamten] könnten die Kinder mitnehmen, aber nicht ihn.“
Amnesty International sprach mit 27 nicht-ukrainischen Staatsangehörigen, die nach der russischen Invasion aus der Ukraine geflohen waren, darunter viele internationale Studierende und Menschen, die seit bis zu 20 Jahren in der Ukraine lebten. Menschen mit anderer Hautfarbe, insbesondere Schwarze, berichteten von Diskriminierung und Gewalt durch die ukrainischen Streitkräfte, als sie versuchten, das Land zu verlassen. Viele berichteten von diskriminierender Behandlung beim Einsteigen in Züge oder Busse und an den Grenzkontrollstellen, einige auch von körperlichen und verbalen Übergriffen durch ukrainische Sicherheitskräfte und Freiwillige.
Menschen mit Migrationshintergrund aus mehreren Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und Südasiens berichteten, wie ukrainische Streitkräfte und Mitarbeiter*innen sie wiederholt daran hinderten, im Bahnhof von Lemberg in Züge nach Polen einzusteigen. Es wurde ihnen gesagt, dass Frauen und Kinder Vorrang haben müssten, aber auch afrikanische und südasiatische Frauen durften Berichten zufolge in einigen Fällen nicht in die Züge einsteigen.