Trümmer im Krankenhaus des Evin-Gefängnisses, das im Juni bei israelischen Luftangriffen beschädigt wurde © AFP / Picturedesk
Trümmer im Krankenhaus des Evin-Gefängnisses, das im Juni bei israelischen Luftangriffen beschädigt wurde © AFP / Picturedesk
presse

Iran: Gezielter israelischer Angriff auf Evin-Gefängnis muss als Kriegsverbrechen untersucht werden

22. Juli 2025

Die absichtlichen Luftangriffe des israelischen Militärs auf das Evin-Gefängnis in Teheran am 23. Juni 2025 stellen eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts dar und müssen als Kriegsverbrechen strafrechtlich untersucht werden, erklärte Amnesty International heute nach einer eingehenden Untersuchung.  

Während der Eskalation der Feindseligkeiten zwischen Israel und Iran wurden nach Angaben der iranischen Stiftung für Märtyrer- und Veteranenangelegenheiten mindestens 1.100 Menschen im Iran getötet, darunter 132 Frauen und 45 Kinder. In Israel wurden nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums mindestens 29 Menschen, darunter Frauen und Kinder, getötet.  

Im Rahmen der laufenden Untersuchungen von Amnesty International über Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und andere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Eskalation der Feindseligkeiten zwischen Israel und dem Iran wird die Organisation auch Erkenntnisse über Angriffe der iranischen Behörden auf Israel veröffentlichen. 

Verifiziertes Videomaterial, Satellitenbilder und Interviews mit Augenzeug*innen, Familienangehörigen von Gefangenen und Menschenrechtsverteidiger*innen zeigen, dass das israelische Militär mehrere Luftangriffe auf das Evin-Gefängnis geflogen hat. Bei diesen Angriffen wurden zahlreiche Zivilist*innen getötet und verletzt und an mindestens sechs Stellen des Gefängniskomplexes umfangreiche Schäden und Zerstörungen verursacht. Die Angriffe fanden unter der Woche statt, zu einer Zeit, als viele Teile des Gefängnisses voller Zivilist*innen waren. Stunden später bestätigte das israelische Militär, dass es das Gefängnis angegriffen hatte, und hochrangige israelische Beamt*innen brüsteten sich in den sozialen Medien damit. Nach Angaben der iranischen Behörden wurden mindestens 80 Zivilist*innen – 79 Männer und Frauen sowie ein fünfjähriger Junge – getötet. 

Nach dem humanitären Völkerrecht gilt ein Gefängnis oder ein Ort der Inhaftierung als ziviles Objekt. Es gibt in diesem Fall keine glaubwürdigen Beweise dafür, dass das Evin-Gefängnis ein rechtmäßiges militärisches Ziel war. 

Die Beweise geben Grund zu der Annahme, dass das israelische Militär dreist und absichtlich zivile Gebäude angegriffen hat. Angriffe auf zivile Objekte sind nach dem humanitären Völkerrecht streng verboten. Die wissentliche und vorsätzliche Durchführung solcher Angriffe stellt ein Kriegsverbrechen dar.

Erika Guevara Rosas, Leitende Direktorin für Forschung, Advocacy, Politik und Kampagnen

Man geht davon aus, dass im Evin-Gefängnis zum Zeitpunkt des Anschlags etwa 1.500 bis 2.000 Gefangene inhaftiert waren, darunter willkürlich inhaftierte Menschenrechtsaktivist*innen, Demonstrant*innen, politische Dissident*innen, Angehörige verfolgter religiöser Minderheiten sowie Doppelstaatsangehörige und ausländische Staatsangehörige, die häufig als diplomatisches Druckmittel eingesetzt werden. Zu jener Zeit hielten sich außerdem Hunderte von Zivilist*innen in dem Gefängniskomplex auf. Der Angriff fand während der Besuchszeiten des Gefängnisses statt.  

„Die israelischen Streitkräfte hätten wissen müssen, dass Luftangriffe auf das Evin-Gefängnis zu erheblichen Schäden an der Zivilbevölkerung führen können. Die Strafverfolgungsbehörden in aller Welt müssen sicherstellen, dass alle für diesen tödlichen Angriff Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden, auch durch Anwendung des Grundsatzes der universellen Gerichtsbarkeit („Weltrechtsprinzip“). Die iranischen Behörden müssen außerdem dem Internationalen Strafgerichtshof die Zuständigkeit für alle Verbrechen nach dem Römischen Statut übertragen, die auf ihrem Hoheitsgebiet begangen oder von dort aus verübt wurden“, so Erika Guevara Rosas. 

Iran Evinprison Overview Strikes

Ein Überblick über das Evin-Gefängnis, wobei die Außenmauern in Orange markiert sind. Die sechs gelben Kreise markieren die am stärksten zerstörten Bereiche, d. h. die Orte, an denen die Bomben einschlugen. Die Explosionen und die daraus resultierenden Schäden gingen über diese sechs Bereiche hinaus. 

Iran Evinprison Overview Detaillabels

Eine Karte des Evin-Gefängnisses mit Namen und Funktionen der Gebäude, die auf der Grundlage von Interviews von Amnesty International mit ehemaligen Gefangenen erstellt wurden. 

Zahlreiche getötete und verletzte Zivilist*innen  

 

Am 23. Juni 2025 zwischen 11 und 12 Uhr Teheraner Zeit schlugen israelische Luftangriffe in einem Abstand von mehr als 500 Metern an mehreren Stellen innerhalb des Evin-Gefängnisses ein und zerstörten oder beschädigten zahlreiche Gebäude und andere Einrichtungen innerhalb des Gefängniskomplexes sowie nahe gelegene Wohngebäude außerhalb des Komplexes.   

Das Evin-Gefängnis befindet sich in einem bewohnten Gebiet mit Wohngebäuden im Osten und Süden des Gefängnisses. Ein Anwohner beschrieb Amnesty International die Szene nach dem Angriff:  

 

Ich hörte plötzlich ein schreckliches Geräusch. Ich schaute aus dem Fenster und sah, dass Rauch und Staub aus dem Evin-Gefängnis aufstiegen. Sowohl das Geräusch der Explosion als auch das Auftreten von Staub und Rauch waren entsetzlich... Ich hatte geglaubt, unser Haus sei sicher, weil wir in der Nähe eines Gefängnisses wohnen... Ich konnte es nicht glauben.

Die Behörden haben bisher die Namen von 57 Zivilist*innen genannt, die bei dem Angriff getötet wurden, darunter fünf Sozialarbeiter*innen, 13 junge Männer, die ihren Pflichtdienst als Gefängniswärter oder -verwalter ableisteten, sowie 36 weitere Gefängnismitarbeiter*innen – 30 Männer und sechs Frauen – und das Kind eines Sozialarbeiters. Nachdem die Behörden öffentlich kritisiert worden waren, weil sie die Identität der getöteten Gefangenen, ihrer Angehörigen und der Anwohner*innen nicht bekannt gegeben hatten, veröffentlichten sie am 14. Juli 2025 einen Bericht, in dem zwei Namen genannt wurden: Mehrangiz Imanpour, ein Anwohner, und Hasti Mohammadi, eine Frau, die ehrenamtlich Spenden für verschuldete Gefangene sammelte. Amnesty International hatte bereits den Namen von Mehrangiz Imanpour sowie die Namen eines Gefangenen, Masoud Behbahani, einer Verwandten des Gefangenen, Leila Jafarzadeh, und eines Passanten, Aliasghar Pazouki, die ebenfalls getötet wurden, überprüft.

Selbstbeschuldigende Eingeständnisse israelischer Beamt*innen 

 

Innerhalb weniger Stunden nach dem Angriff brüsteten sich hochrangige israelische Beamt*innen in den sozialen Medien damit und bezeichneten ihn als „gezielten Schlag“ gegen ein „Symbol der Unterdrückung des iranischen Volkes“. Israels Verteidigungsminister Israel Katz erklärte auf X, dass die israelischen Streitkräfte mit „noch nie dagewesener Gewalt Ziele des Regimes und staatliche Repressionsorgane im Herzen Teherans, einschließlich des Evin-Gefängnisses“ angriffen. 

 

Minuten später postete Außenminister Gideon Sa'ar auf X: „Wir haben den Iran immer wieder gewarnt: Hört auf, Zivilist*innen anzugreifen! Sie haben weitergemacht, auch heute Morgen. Unsere Antwort: [Es lebe die Freiheit...].“ Neben diesem Beitrag war ein Video zu sehen, das angeblich Überwachungskamera-Aufnahmen der Bombardierung des Gefängnistors zeigt. Eine Analyse des Videos durch Amnesty International zeigt, dass das Material digital manipuliert wurde, wahrscheinlich unter Verwendung eines alten Fotos des Gefängnistors. Das Video wurde zuerst auf persischsprachigen Telegram-Kanälen gepostet, aber Amnesty International konnte seine ursprüngliche Quelle nicht ausfindig machen. 

 

Später am selben Tag bestätigte das israelische Militär in einer Erklärung, dass es einen „gezielten Angriff“ auf „das berüchtigte Evin-Gefängnis“ durchgeführt habe. Die Erklärung schien den Angriff damit zu rechtfertigen, dass dort „Feinde des Regimes“ festgehalten und gefoltert würden und dass in dem Gefängnis „Geheimdienstoperationen gegen den Staat Israel, einschließlich Gegenspionage“ durchgeführt würden. Das Verhör von Gefangenen, die der Spionage für Israel beschuldigt werden, oder die Anwesenheit von Geheimdienstmitarbeiter*innen auf dem Gelände des Gefängnisses machen die Strafvollzugseinrichtung selbst jedoch nicht zu einem legitimen militärischen Ziel im Sinne des humanitären Völkerrechts.

 

Eingangstor und Staatsanwaltschaft im Süden  

Vor und nach dem 10. April 2025 und dem 30. Juni 2025 aufgenommene Falschfarben-Satellitenbilder in Nahinfrarot zeigen die Zerstörung an vier verschiedenen Stellen im Süden und im Zentrum des Evin-Gefängnisses, wo wahrscheinlich Munition gelandet ist (dargestellt mit gelben Kreisen) und in vielen Bereichen Brandspuren (im Nahinfrarot in dunkelschwarzen Farbtönen sichtbar) zu sehen sind, die wahrscheinlich von Fahrzeugen stammen, die Feuer fingen und auf Gebäude in der Umgebung übergriffen.    © Amnesty International
Vor und nach dem 10. April 2025 und dem 30. Juni 2025 aufgenommene Falschfarben-Satellitenbilder in Nahinfrarot zeigen die Zerstörung an vier verschiedenen Stellen im Süden und im Zentrum des Evin-Gefängnisses, wo wahrscheinlich Munition gelandet ist (dargestellt mit gelben Kreisen) und in vielen Bereichen Brandspuren (im Nahinfrarot in dunkelschwarzen Farbtönen sichtbar) zu sehen sind, die wahrscheinlich von Fahrzeugen stammen, die Feuer fingen und auf Gebäude in der Umgebung übergriffen. © Amnesty International
Im Süden des Gefängnisses wurde das Haupteingangstor zusammen mit der angrenzenden Mauer und dem östlich des Tors gelegenen Gebäude der Besucherinformation zerstört. Das Gebäude westlich des Tors und das angrenzende Büro der Staatsanwaltschaft Shahid Moghaddas wurden erheblich beschädigt. Im südlichen Teil des Gefängnisses wurden der Parkplatz und ein Gebäude neben der Quarantänestation beschädigt.  © Amnesty International
Im Süden des Gefängnisses wurde das Haupteingangstor zusammen mit der angrenzenden Mauer und dem östlich des Tors gelegenen Gebäude der Besucherinformation zerstört. Das Gebäude westlich des Tors und das angrenzende Büro der Staatsanwaltschaft Shahid Moghaddas wurden erheblich beschädigt. Im südlichen Teil des Gefängnisses wurden der Parkplatz und ein Gebäude neben der Quarantänestation beschädigt. © Amnesty International

Eine Quelle teilte Amnesty International mit, dass eine Frau namens Leila Jafarzadeh, 35, getötet wurde, als sie die Staatsanwaltschaft besuchte, um eine Kaution für die Freilassung ihres inhaftierten Ehemanns zu hinterlegen. Die Zerstörung des Eingangstors und seiner Umgebung wurde in einem verifizierten Video festgehalten, auf dem zu sehen ist, wie Rettungskräfte mindestens einen Verletzten auf einer Bahre inmitten von Zerstörungen und großen Trümmern auf dem Boden transportieren.  

Von staatlichen Medien veröffentlichte und von Amnesty International überprüfte Aufnahmen zeigen auch strukturelle Schäden an den Wänden und dem Gerüst der Staatsanwaltschaft, was darauf hindeutet, dass die Wucht der Explosion tief in das Gebäude eingedrungen ist. 

Satellitenbilder vom 30. Juni 2025 zeigen eine Stelle (mit einem gelben Kreis dargestellt), an der wahrscheinlich Munition gelandet ist. Bodenbilder (rechts), die nördlich und südlich des südlichen Eingangstors aufgenommen wurden, zeigen große Zerstörungen.  © Amnesty International
Satellitenbilder vom 30. Juni 2025 zeigen eine Stelle (mit einem gelben Kreis dargestellt), an der wahrscheinlich Munition gelandet ist. Bodenbilder (rechts), die nördlich und südlich des südlichen Eingangstors aufgenommen wurden, zeigen große Zerstörungen. © Amnesty International

Verwaltungsgebäude und Quarantänebereich mit Gefangenen 

 

Tiefer im südlichen Bereich des Gefängnisses wurden das Verwaltungsgebäude und ein kleineres Nebengebäude, in dem sich nach Angaben eines ehemaligen Häftlings ein Büro der Sicherheitskräfte des Gefängnisses, der so genannten Schutzkohorte, befand, erheblich in Mitleidenschaft gezogen, während mehrere benachbarte Gebäude zerstört wurden. 

 

Die Satellitenbilder vom 30. Juni 2025 zeigen erhebliche Schäden an einem Teil des Daches auf der Westseite des Gebäudes der Schutzkohorte. Die Satellitenbilder zeigen außerdem, dass östlich des Gebäudes ein Innentor, eine Umfassungsmauer und zwei kleine Strukturen – wahrscheinlich Wachposten – bei dem Angriff zerstört wurden. Die beiden identifizierten Orte stimmen mit der Analyse von Videomaterial und den Informationen der beiden ehemaligen politischen Gefangenen Atena Daemi und Hossein Razagh überein. 

Die verifizierten Videos zeigen auch zerstörte Fenster, eingestürzte Wände und umfangreiche Trümmer auf der West- und Ostseite des Verwaltungsgebäudes. Das erste Stockwerk scheint weitgehend zerstört zu sein, und in mehreren Abschnitten sind fehlende Strukturwände zu sehen. 

 

Ein von staatlichen Medien veröffentlichtes und von Amnesty International überprüftes Bild zeigt einen scheinbaren Krater in der Westseite des Verwaltungsgebäudes, der darauf hindeutet, dass das erste Stockwerk nach unten eingestürzt ist.  

 

Einem Bericht staatlicher Medien vom 6. Juli 2025 zufolge wurden in dem Verwaltungsgebäude mindestens neun Frauen, ein Mann und ein Kind getötet. Shargh Daily und Hammihan, zwei bekannte iranische Zeitungen, nannten drei der Opfer in Berichten, die am 25. Juni bzw. 1. Juli 2025 veröffentlicht wurden. Dabei handelte es sich um die Sozialarbeiterin Zahra Ebadi, 52, die zusammen mit ihrem fünfjährigen Sohn Mehrad Kheiri getötet wurde, und den Verwaltungsangestellten Hamid Ranjbari, 40. 

   Satellitenbilder (links) vom 30. Juni 2025 zeigen zwei Stellen (mit gelben Kreisen dargestellt), an denen wahrscheinlich Munition gelandet ist. Bilder vom Boden (rechts) zeigen umfangreiche Schäden am Verwaltungsgebäude.    Die Analyse einer verifizierten Videoaufnahme zeigt auch, dass die Quarantänestation, in der neu aufgenommene Gefangene untergebracht sind und die sich in der Nähe des Verwaltungsgebäudes befindet, ebenfalls Schäden erlitten hat.  © Amnesty International
Satellitenbilder (links) vom 30. Juni 2025 zeigen zwei Stellen (mit gelben Kreisen dargestellt), an denen wahrscheinlich Munition gelandet ist. Bilder vom Boden (rechts) zeigen umfangreiche Schäden am Verwaltungsgebäude. Die Analyse einer verifizierten Videoaufnahme zeigt auch, dass die Quarantänestation, in der neu aufgenommene Gefangene untergebracht sind und die sich in der Nähe des Verwaltungsgebäudes befindet, ebenfalls Schäden erlitten hat. © Amnesty International

Medizinische Klinik, Küche und Gefangenentrakte im Zentralteil

 

Im zentralen Teil des Gefängnisses wurden die medizinische Klinik, die Zentralküche, die Abteilung 4, in der männliche Gefangene untergebracht sind, die Abteilung 209, die aus Einzelhaftzellen besteht, in denen weibliche und männliche Gefangene vom Geheimdienstminister festgehalten werden, und die Frauenabteilung erheblich beschädigt. 

Satellitenbilder zeigen erhebliche Schäden an Gebäuden in der Nähe der Klinik, während verifizierte Videos die Schäden an der Klinik durch die Explosion und brennende Autos zeigen.

Ein verifiziertes Video zeigt das Äußere der Klinik, das mit schwarzem Ruß bedeckt ist, und schwarzen Rauch, der aus den Fenstern aufsteigt. Ein weiteres Video zeigt erhebliche Zerstörungen im Inneren der Klinik mit zerbrochenen Fenstern, umgestürzten Betten und medizinischen Geräten sowie umfangreichen Trümmern. 

Satellitenbilder (links) vom 30. Juni 2025 zeigen zwei Stellen (mit gelben Kreisen dargestellt), an denen wahrscheinlich Munition gelandet ist. Geolokalisierte Fotos und Videos (rechts) zeigen, dass das Fahrzeug-Einfahrtstor eingestürzt ist. Das Innere der Klinik wurde erheblich beschädigt, wobei Wände und Fenster herausgesprengt wurden, während das Äußere schwere Brandschäden und Rauch aufweist.  © Amnesty International
Satellitenbilder (links) vom 30. Juni 2025 zeigen zwei Stellen (mit gelben Kreisen dargestellt), an denen wahrscheinlich Munition gelandet ist. Geolokalisierte Fotos und Videos (rechts) zeigen, dass das Fahrzeug-Einfahrtstor eingestürzt ist. Das Innere der Klinik wurde erheblich beschädigt, wobei Wände und Fenster herausgesprengt wurden, während das Äußere schwere Brandschäden und Rauch aufweist. © Amnesty International

Die verifizierten Videobeweise stützen die Berichte der Menschenrechtsverteidigerinnen Narges Mohammadi und Sepideh Gholian, die beide im Iran leben und Amnesty International berichteten, dass mehrere Augenzeug*innen im Evin-Gefängnis ihnen gegenüber die erheblichen Schäden an der medizinischen Klinik beschrieben hatten. Narges Mohammadi teilte mit, dass männliche Gefangene in Abteilung 4, die sich gegenüber der medizinischen Klinik befindet, ihr mitgeteilt hatten, dass der Krankenwagen des Gefängnisses zerstört worden sei, ein Bericht, der durch ein Video untermauert wurde, auf dem Fahrzeug-Wrackteile zu sind. Sie sagte auch, die Gefangenen hätten ihr berichtet, sie hätten gesehen, wie eine Person mit schweren Verbrennungen am Körper aus der medizinischen Klinik kam und auf dem Boden zusammenbrach. 

 

Zwei Gefangene – Abolfazl Ghodiani und Mehdi Mahmoudian – die den Angriff auf das Evin-Gefängnis überlebt haben und in das Großgefängnis von Teheran verlegt wurden, schrieben in einem Brief aus dem Gefängnis, der am 1. Juli 2025 online veröffentlicht wurde.

Das Evin-Gefängnis wurde durch mehrere aufeinanderfolgende Explosionen erschüttert. Zwei oder drei Explosionen ereigneten sich in der Nähe von Abteilung 4, und als die Gefangenen die Tür der Abteilung verließen, sahen sie, dass die medizinische Klinik brannte... Die Gefangenen bargen die Leichen von etwa 15-20 Personen, darunter Personal der medizinischen Klinik, Gefangene, Lagerpersonal, Wächter und Agent*innen, aus den Trümmern.

Saeedeh Makarem, eine im Evin-Gefängnis ehrenamtlich tätige Ärztin, die unter anderem Verbrennungen erlitten hatte, beschrieb im Juli 2025 in einer Reihe von Posts auf Instagram, wie ihr Gefangene halfen: Sie schleppten mich in die Ecke der Mauer. Ich war halb bei Bewusstsein. Sie brachten mir Wasser und eine Decke, legten mir eine Schiene ins Bein, wischten mir das Blut aus dem Gesicht... Sie hätten gehen können, aber sie taten es nicht... Sie haben mich gerettet.“

 

Der politische Dissident Hossein Razagh berichtete Amnesty International außerdem, dass Gefangene aus Abschnitt 4 ihm beschrieben hätten, wie sie durch die Wucht der Explosion gegen die Wände geschleudert wurden und Verletzungen an Kopf und Gesicht erlitten.  

 

Diese Aussagen werden durch ein verifiziertes Video bestätigt, das umfangreiche Schäden an den vorderen Teilen der Abschnitte 4 und 209 zeigt. Die Außentüren und Fenster der Abschnitte 4 und 209 scheinen zertrümmert worden zu sein, Teile der Dachkonstruktion sind eingestürzt und große Schutthaufen liegen auf der Straße. Satellitenbilder vom 30. Juni 2025 zeigen die verbrannten Gebäude und die schwarzen Brandspuren der Autos. Die Explosion scheint auch das Dach der Gefängnisküche getroffen und die Fenster beschädigt zu haben. Nach Recherchen von Amnesty International hat die Explosion auch die Büros der Abteilung 209 getroffen und einige Bedienstete und Wärter*innen unter den Trümmern eingeschlossen. Die Behörden haben keine Informationen über das Schicksal und den Verbleib der Gefangenen, die in Einzelhaft in Abteilung 209 festgehalten werden, vorgelegt, was Anlass zur Sorge über mögliche Todesfälle oder Verletzungen gibt. 

Eingangstor, Justizkomplex, Besuchsgebäude und Abteilungen für Gefangene im Norden

South Northernarea 2025 0410
South Northernarea 2025 0627

Falschfarbige Nahinfrarotbilder vom 10. April 2025 und 27. Juni 2025 zeigen die Zerstörung an zwei verschiedenen Stellen, an denen die Munition wahrscheinlich im nördlichen Teil des Evin-Gefängnisses gelandet ist (mit gelben Kreisen dargestellt): die inneren Sicherheitsmauern und die Straße vor den Abteilungen 240 und 241 und das nördliche Eingangstor vor dem Besuchsgebäude und dem Justizkomplex Shaheed Kachouyee.

Im nördlichen Teil des Gefängnisses wurden, wie auf Satellitenbildern und verifizierten Videos zu sehen ist, das Eingangstor und die angrenzende Mauer zerstört; der vordere Teil des Gebäudes, in dem sich der Shahid-Kachouyee-Justizkomplex und das Besuchsgebäude befinden, wurde erheblich beschädigt, und zwei Innenmauern in der Nähe der Abteilungen 240 und 241, in denen Häftlinge untergebracht sind, wurden zerstört. Bestätigte Videos und Fotos zeigen auch Schäden durch die Explosion an nahe gelegenen Wohnhochhäusern und Fahrzeugen außerhalb des nördlichen Bereichs des Evin-Gefängnisses. Ein Video zeigt Dutzende von verzweifelten Menschen in der Ahmadpour-Straße, von denen mindestens eine Person verletzt zu sein scheint.  

Eine Quelle beschrieb Amnesty International, wie eine Anwohnerin, Mehrangiz Imanpour, eine 61-jährige Malerin, die in der Ahmadpour-Straße wohnte, auf dem Heimweg getötet wurde. Shargh Daily berichtete, dass ein weiterer Passant, Ali Asghar Pazouki, 69, vor dem Justizkomplex und dem Besuchsgebäude getötet wurde. Staatliche Medien veröffentlichten Videos und Fotos, die Explosionsschäden in diesem Gebiet zeigen. 

Satellitenbilder (links) vom 30. Juni 2025 zeigen eine Stelle (im gelben Kreis), an der wahrscheinlich Munition gelandet ist. Geolokalisierte Bilder und Videos (rechts) zeigen umfangreiche Schäden an der Außen- und Innenseite des Besuchsgebäudes mit zerbrochenen Fenstern und eingestürzten Teilen des Dachs und der Fassade.    © Amnesty International
Satellitenbilder (links) vom 30. Juni 2025 zeigen eine Stelle (im gelben Kreis), an der wahrscheinlich Munition gelandet ist. Geolokalisierte Bilder und Videos (rechts) zeigen umfangreiche Schäden an der Außen- und Innenseite des Besuchsgebäudes mit zerbrochenen Fenstern und eingestürzten Teilen des Dachs und der Fassade. © Amnesty International

Von Amnesty International analysierte Satellitenbilder zeigen, dass auch eine Straße und zwei Sicherheitsmauern tiefer im nördlichen Teil des Gefängnisses, in der Nähe eines Gebäudes mit den Abteilungen 240 und 241, zerstört wurden. Es ist bekannt, dass sich in diesen Abteilungen Hunderte von Einzelhaftzellen befinden, aber es sind keine Bilder aufgetaucht, die den Zustand des Gebäudes zeigen, und die Behörden haben keine Informationen über das Schicksal der dort inhaftierten Gefangenen veröffentlicht.  

Amnesty International erhielt Berichte von Familienangehörigen der Gefangenen, wonach Abschnitt 8, der in der Nähe der Abschnitte 240 und 241 liegt, beschädigt wurde. Die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh berichtete Amnesty International, dass ihr willkürlich inhaftierter Ehemann, der Menschenrechtsverteidiger Reza Khandan, und andere Gefangene verletzt wurden, als Trümmer in den Innenhof geschleudert wurden. 

 

Der politische Dissident Mohammad Nourizad, der sich in Sektion 8 befand, rief seine Familie an, während die Luftangriffe andauerten. Eine Aufzeichnung seines Anrufs wurde am 24. Juni im Internet veröffentlicht 

Sie werfen Bomben auf uns ab. Einige Leute sind verletzt, die Fenster sind zerbrochen, und alle haben sich verstreut... Sie haben gerade wieder zugeschlagen. Ich weiß nicht, es scheint Absicht zu sein... aber ein Gefängnis zu bombardieren ist mit keiner Logik und keinem Verhaltenskodex zu vereinbaren... Sie [die Gefängnisbehörden] haben die Türen geschlossen und wir bekommen keine Nachrichten.

Mohammad Nourizad

Internationales Recht und Standards 

 

Nach dem humanitären Völkerrecht sind direkte Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte verboten. Angriffe dürfen nur auf Kombattant*innen und militärische Ziele gerichtet werden. Militärische Ziele sind auf solche Objekte beschränkt, die aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihres Zwecks oder ihrer Verwendung einen wirksamen Beitrag zu einer militärischen Aktion leisten und deren teilweise oder vollständige Zerstörung, Eroberung oder Neutralisierung unter den zu diesem Zeitpunkt herrschenden Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil bietet. 

Die angreifenden Streitkräfte sind verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen, u. a. durch die Unterscheidung zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten, die Überprüfung, ob es sich bei dem beabsichtigten Ziel um ein militärisches Ziel handelt, und den Abbruch des Angriffs im Zweifelsfall, die Wahl von Angriffsmitteln und -methoden, die eine Schädigung der Zivilbevölkerung vermeiden oder zumindest so gering wie möglich halten, und die wirksame Vorwarnung der Zivilbevölkerung, sofern die Umstände dies nicht zulassen. Selbst wenn der Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel gerichtet ist, darf er keine Schäden an der Zivilbevölkerung verursachen, die im Verhältnis zu dem erwarteten konkreten und direkten militärischen Vorteil unverhältnismäßig wären. Ist eine Unterscheidung zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen nicht möglich, darf der Angriff nicht durchgeführt werden. Staaten, die für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind, müssen für den entstandenen Schaden in vollem Umfang Entschädigung leisten. Die UN-Grundprinzipien und -Leitlinien über das Recht auf Wiedergutmachung und Entschädigung für Opfer grober Verletzungen des internationalen Menschenrechts und schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts verankern die Pflicht der Staaten, den Opfern wirksame Rechtsbehelfe zu gewähren, darunter Wiedergutmachung, einschließlich Restitution, Entschädigung, Rehabilitation, Genugtuung und Garantien der Nichtwiederholung.  

Methodik  

 

Das Evidence Lab von Amnesty International analysierte Satellitenbilder von vor und nach den Angriffen und verifizierte 22 Videos und 59 Fotos, die umfangreiche Schäden und Zerstörungen in sechs Bereichen im Süden, im Zentrum und im Norden des Evin-Gefängniskomplexes zeigen.   

 

Darüber hinaus überprüfte Amnesty International Erklärungen israelischer und iranischer Behörden und befragte 23 Personen innerhalb und außerhalb Irans, darunter sieben Angehörige von Gefangenen, einen Anwohner, der Zeuge des Angriffs war, zwei Quellen mit Informationen über zwei getötete Opfer, zwei Journalist*innen und 11 ehemalige Gefangene, darunter Dissident*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, die Informationen von Gefangenen, Familienangehörigen von Gefangenen, Gefängnismitarbeiter*innen und Rettungsdiensten vor Ort erhielten. Die Organisation erhielt außerdem von einer Quelle die Aufzeichnungen von vier Telefongesprächen zwischen vier Gefangenen und ihren Familien wenige Stunden nach dem Angriff.  

Amnesty International richtete am 3. Juli Fragen zu dem Angriff an den israelischen Verteidigungsminister. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lag noch keine Antwort vor.