Rückschrittliche Maßnahme führt zu mehr Armut
Die Ablösung der Mindest- durch Höchstsätze stellt laut Amnesty in der Sozialhilfe auch eine „rückschrittliche Maßnahme dar, die nur in sehr eng definierten Situationen rechtlich zulässig ist.“ Dass dies nicht nur ein menschenrechtliches Problem ist, sondern dadurch tatsächlich mehr Menschen an den Rand gedrängt werden, bestätigt auch Martin Schenk, Sozialexperte und Sprecher der Armutskonferenz: „Die Abschaffung der Mindestsicherung und die Einführung der Sozialhilfe hat zu einer sozialen Verschlechterung bei allen geführt, die Hilfe benötigen. Keiner alten Frau, keinem Menschen mit Behinderungen, keinem Niedriglohnbezieher geht es jetzt besser. Im Gegenteil. Die Sozialhilfe ist wie eine kaputte Brücke, die über dem reißenden Fluss bricht.” Von der Sozialhilfe ist mittlerweile nur mehr eine eingestürzte Ruine über, erinnert Schenk an die wiederholte Aufhebung verfassungswidriger Bestimmungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz.
Glücksspiel: Sozialleistungen in jedem Bundesland anders
Verschärft wird das, so Teresa Hatzl, noch zusätzlich durch die enorme Zersplitterung der Regelungen und die Tatsache, dass das SH-GG noch nicht einmal in allen Bundesländern umgesetzt ist: in Tirol und im Burgenland gelten noch die Mindestsicherungsgesetze von davor, Wien hat nur Teilbereiche des SH-GG umgesetzt. „Ich wiederhole, was wir bereits im Zusammenhang mit dem von uns untersuchten System der Wohnungslosenhilfe feststellen mussten: Es gleicht einem Glücksspiel, wo ich wohne und wie hoch die mir zustehenden Leistungen der Sozialhilfe sind“, kritisiert die Expertin für soziale Rechte.
Völlige Zersplitterung der Sozialhilfe: Kinder sind nicht überall gleich viel wert
„Das SH-GG-sollte eigentlich eine Weiterentwicklung des österreichischen Sozialsystems sein – so nannten es die damaligen Verfasser. Die – durchaus sinnvolle – Idee war, die unterschiedlichen Modelle der Mindestsicherung der einzelnen Bundesländer zu harmonisieren. Passiert ist allerdings leider das Gegenteil“, erklärt sie. Die Ausgestaltung als sogenanntes „Grundsatzgesetz“ mit Spielräumen für die Bundesländer führte letztlich dazu, dass die Sozialhilfe in Österreich mittlerweile völlig uneinheitlich ist. Das zeigt sich unter anderem bei den verschiedenen Kinderrichtsätzen und Alleinerziehenden-Zuschlägen, wo jedes Bundesland die Leistungshöhe für Kinder frei bestimmen kann. „Anscheinend sind Kinder in der Sozialhilfe nicht überall gleich viel wert“, so Hatzl.
Amnesty-Forderung: Neue Regelung der Sozialhilfe
„Die Debatte rund um das Thema Armut wird derzeit sehr emotional und zum Teil auch polemisch geführt. Klar ist jedenfalls, dass es neue Ansätze braucht“, stellt Amnesty-Geschäftsführerin Shoura Zehetner-Hashemi abschließend fest und fordert von den Regierungsparteien eine Neugestaltung der Sozialhilfe, die allen Menschen in Österreich ein Leben in Würde und soziale Teilhabe ermöglicht, mit Mindestsätzen, die sich an den Lebensrealitäten der Menschen orientieren. Die neue Regelung müsse unter anderem wieder zum Ziel haben, Armut in Österreich zu bekämpfen und für alle Menschen in Österreich – unter anderem subsidiär Schutzberechtigte, die derzeit davon ausgenommen sind – gelten.
Außerdem brauche es das Bekenntnis der Bundesregierung zu sozialen Rechten und deren Verankerung in der österreichischen Verfassung, damit der österreichische Verfassungsgerichtshof Gesetze vor diesem Maßstab überprüfen kann und die im IPswkR verankerten Rechte, u.a. das Recht auf soziale Sicherheit, vor nationalen Gerichten eingeklagt werden können.