Angebliche Schießereien und konstruiertes Beweismaterial
Hochrangige Vertreter*innen von Bangladesch haben immer wieder behauptet, dass die Betroffenen von mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen an Schusswechseln beteiligt gewesen wären. Dabei hätten sie das Feuer auf Angehörige der Strafverfolgungsbehörden eröffnet und diese wären deshalb gezwungen gewesen, das Feuer zu erwidern.
Amnesty International sprach mit angeblichen Zeug*innen, die aussagten, unfreiwillig zum Tatort gebracht worden zu sein, nachdem die Tötungen bereits geschehen waren.
Mindestens fünf von Amnesty International befragte „Zeug*innen“ berichteten, dass sie nach der Tat unfreiwillig zu dem Tatort gebracht worden seien. Sie sagten, sie hätten wegen der ansonsten drohenden schweren Konsequenzen die Aufforderung der Polizei nicht ablehnen können, als Zeug*innen aufzutreten. Die Sicherheitskräfte nahmen Unterschriften, Namen, Telefonnummern und persönliche Details der „Zeug*innen“ auf.
Polizei fordert Bestechungsgeld
Der 35-jährige Suleman (Name geändert) lebte mit seiner achtjährigen Tochter in einer strohgedeckten Hütte. Da er nach Angaben seiner Familie nicht genug Geld hatte, war Suleman hinsichtlich Nahrung und anderen Ausgaben von seinen Geschwistern abhängig.
Die Familienangehörigen von Suleman berichteten Amnesty International, dass er vor seiner Tötung bei einer angeblichen Schießerei einen Angehörigen angerufen habe, weil die Polizei 20.000 Takas (mehr als 200 Euro) für seine Freilassung forderte, und er sie darum gebeten habe, dieses Geld zu besorgen. Ein Familienmitglied von Suleman bestätigte Amnesty International, dass die Summe an die Polizei bezahlt wurde, dass die Polizei dann aber weitere 50.000 Takas (etwa 530 Euro) forderte. „Sonst bringen sie mich um“, sagte Suleman seinem Angehörigen.
Auf der verzweifelten Suche nach Suleman gingen die Angehörigen zu einer Polizeiwache. Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass er in ein Gefängnis überstellt worden sei. Drei oder vier Tage nach dem Telefonat wurde der Familie gesagt, dass Suleman bei einer Schießerei ums Leben gekommen sei.
Verschwindenlassen
Alle Opfer der angeblichen Schießereien scheinen zuvor durch die Polizei oder die Schnelle Eingreiftruppe RAB dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen zu sein. Wenn Angehörige versuchten, Informationen über den Verbleib ihrer Verwandten zu erhalten, leugneten die Behörden entweder, sie in ihrem Gewahrsam zu haben oder weigerten sich zu sagen, wo sie sich befanden.
Rahim (Name geändert) wurde aus dem Haus seiner Schwiegereltern verschleppt. Acht Tage später wurde sein Leichnam entdeckt. Die RAB behauptete, er sei bei einer Schießerei ums Leben gekommen.
Bablu Mia (Name geändert) wurde laut seinem Bruder, der das Verschwinden detailliert in einer Anzeige bei der Polizei beschrieb, von zwei Angehörigen der RAB in Zivilkleidung von einer Schnellstrasse verschleppt. Sechs Wochen später behauptete die RAB, Bablu Mia sei bei einer Schiesserei ums Leben gekommen.
Hintergrund
Amnesty International hat insgesamt sieben Fälle mutmaßlicher außergerichtlicher Hinrichtungen dokumentiert. Das Team besuchte Tatorte und befragte 40 Personen, darunter Familien der Opfer, sogenannte Zeug*innen, deren Aussagen von Strafverfolgungsbehörden erpresst wurden, Menschen in der Nachbarschaft der Tatorte und Menschenrechtsaktivist*innen in Bangladesch. Die Interviews wurden im November 2018 geführt. Anschließend wurde digital recherchiert und schließlich die Informationen aus den verschiedenen Quellen zusammengeführt.