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© Rehman Asad Barcroft Media via Getty Images

Presse © Rehman Asad Barcroft Media via Getty Images

Bangladesch: "Krieg gegen Drogen" eskaliert

4. November 2019

Zusammenfassung

  • 466 Menschen wurden 2018 allem Anschein nach in einer Welle außergerichtlicher Hinrichtungen getötet, 2019 waren es in den ersten sechs Monaten mindestens 204 Menschen
  • Amnesty-Recherchen zeigen außerdem Fälle von Verschwindenlassen und das Fälschen von belastendem Beweismaterial durch die Strafverfolgungsbehörden auf
  • Amnesty International fordert umgehend eine unparteiische, unabhängige und zielgerichtete Untersuchung der mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen und anderer Menschenrechtsverletzungen

Der neue Amnesty-Bericht „Killed in ,Crossfire‘: Allegations of Extrajudicial Executions in Bangladesh in the Guise of a War on Drugs“ zeigt, wie der „Kampf gegen Drogen“ in Bangladesch eskaliert: Vergangenes Jahr wurden 466 Menschen mutmaßlich außergerichtlich hingerichtet, dreimal so viele wie 2017. Es ist die höchste Zahl in einem einzigen Jahr seit mehreren Jahrzehnten.

Dieser tödliche Trend hält auch 2019 an: Während der ersten sechs Monate wurden mindestens 204 Menschen Opfer einer mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtung durch die Strafverfolgungsbehörden – das ist mehr als eine Person pro Tag.

Die Recherchen von Amnesty zeigen auch: Die Behörden in Bangladesch haben den Tod von Menschen, die angeblich bei Schießereien getötet wurden, bislang nicht untersucht.

Der Kampf gegen Drogen hat täglich mindestens ein Menschenleben gekostet. Immer wenn die Eingreiftruppe Rapid Action Battalion (RAB) beteiligt war, wurde jenseits gesetzlicher Vorgaben gehandelt.

Dinushika Dissanayake, stellvertretende Südasien-Direktorin bei Amnesty International

 „Der Kampf gegen Drogen hat täglich mindestens ein Menschenleben gekostet. Immer wenn die Eingreiftruppe Rapid Action Battalion (RAB) beteiligt war, wurde jenseits gesetzlicher Vorgaben gehandelt. Die Betroffenen wurden nicht festgenommen, geschweige denn vor Gericht gestellt. Einige fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. Sie wurden von zuhause verschleppt, ihre Angehörigen sahen sie erst im Leichenschauhaus von Kugeln durchsiebt wieder“, sagt Dinushika Dissanayake, stellvertretende Südasien-Direktorin bei Amnesty International, und sagt weiter:

„Die Behörden in Bangladesch müssen diesen Morden sofort ein Ende bereiten. Die Anti-Drogen-Operationen haben einige der ärmsten Viertel von Bangladesch in Angst und Schrecken versetzt. Dort befürchten die Menschen, dass der geringste Verdacht des Drogenmissbrauchs ihre Verwandten in Gefahr bringt, außergerichtlich hingerichtet zu werden.“

Mehr als eine Person pro Tag getötet

Statt seriöse Untersuchungen dieser Tötungen anzustrengen, haben die Behörden anscheinend versucht, Beweise zu konstruieren, um sie als Schießereien oder Schusswechsel darzustellen.

In Interviews mit Amnesty International enthüllten angebliche Zeug*innen, dass sie die Tötungen nicht gesehen hatten, aber von der Polizei aufgefordert worden waren, falsche Erklärungen abzugeben, die die Version der Polizei unterstützen. Denen zufolge seien die Betroffenen bei Schießereien oder Schusswechseln gestorben.

In allen von Amnesty untersuchten Fällen fielen die Menschen dem Verschwindenlassen zum Opfer und ihr Leichnam wurde in einem Zeitraum zwischen einem Tag bis zu sechs Wochen später aufgefunden. In einem Fall bestachen die Angehörigen eines Opfers die Polizei, um die Freilassung des Betroffenen zu erreichen, hatten damit jedoch keinen Erfolg.

Untersuchungen

Amnesty International fordert die bangladeschischen Behörden auf

  • umgehend eine unparteiische, unabhängige und zielgerichtete Untersuchung der mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen durchzuführen,
  • sowie auch andere Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen im Zuge der anhaltenden Anti-Drogen-Operationen von Polizei und RAB zu untersuchen.

„Diese Tötungen finden im Kontext eines generellen Verbots von Drogen statt: Die Regierung bestraft Personen willentlich und greift sie gewalttätig an, insbesondere Menschen aus sehr marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Die Regierung von Bangladesch muss umgehend wirksame Untersuchungen durchführen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Sie muss ihre Drogenkontrollstrategie unverzüglich dahingehend ändern, dass sie Menschen schützt, statt ihnen zu schaden“, fordert Dinushika Dissanayake.

Die Regierung von Bangladesch muss umgehend wirksame Untersuchungen durchführen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Sie muss ihre Drogenkontrollstrategie unverzüglich dahingehend ändern, dass sie Menschen schützt, statt ihnen zu schaden.

Dinushika Dissanayake, stellvertretende Südasien-Direktorin bei Amnesty International

 Angebliche Schießereien und konstruiertes Beweismaterial

Hochrangige Vertreter*innen von Bangladesch haben immer wieder behauptet, dass die Betroffenen von mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen an Schusswechseln beteiligt gewesen wären. Dabei hätten sie das Feuer auf Angehörige der Strafverfolgungsbehörden eröffnet und diese wären deshalb gezwungen gewesen, das Feuer zu erwidern.

Amnesty International sprach mit angeblichen Zeug*innen, die aussagten, unfreiwillig zum Tatort gebracht worden zu sein, nachdem die Tötungen bereits geschehen waren.

Mindestens fünf von Amnesty International befragte „Zeug*innen“ berichteten, dass sie nach der Tat unfreiwillig zu dem Tatort gebracht worden seien. Sie sagten, sie hätten wegen der ansonsten drohenden schweren Konsequenzen die Aufforderung der Polizei nicht ablehnen können, als Zeug*innen aufzutreten. Die Sicherheitskräfte nahmen Unterschriften, Namen, Telefonnummern und persönliche Details der „Zeug*innen“ auf.

Polizei fordert Bestechungsgeld

Der 35-jährige Suleman (Name geändert) lebte mit seiner achtjährigen Tochter in einer strohgedeckten Hütte. Da er nach Angaben seiner Familie nicht genug Geld hatte, war Suleman hinsichtlich Nahrung und anderen Ausgaben von seinen Geschwistern abhängig.

Die Familienangehörigen von Suleman berichteten Amnesty International, dass er vor seiner Tötung bei einer angeblichen Schießerei einen Angehörigen angerufen habe, weil die Polizei 20.000 Takas (mehr als 200 Euro) für seine Freilassung forderte, und er sie darum gebeten habe, dieses Geld zu besorgen. Ein Familienmitglied von Suleman bestätigte Amnesty International, dass die Summe an die Polizei bezahlt wurde, dass die Polizei dann aber weitere 50.000 Takas (etwa 530 Euro) forderte. „Sonst bringen sie mich um“, sagte Suleman seinem Angehörigen.

Auf der verzweifelten Suche nach Suleman gingen die Angehörigen zu einer Polizeiwache. Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass er in ein Gefängnis überstellt worden sei. Drei oder vier Tage nach dem Telefonat wurde der Familie gesagt, dass Suleman bei einer Schießerei ums Leben gekommen sei.

Verschwindenlassen

Alle Opfer der angeblichen Schießereien scheinen zuvor durch die Polizei oder die Schnelle Eingreiftruppe RAB dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen zu sein. Wenn Angehörige versuchten, Informationen über den Verbleib ihrer Verwandten zu erhalten, leugneten die Behörden entweder, sie in ihrem Gewahrsam zu haben oder weigerten sich zu sagen, wo sie sich befanden.

Rahim (Name geändert) wurde aus dem Haus seiner Schwiegereltern verschleppt. Acht Tage später wurde sein Leichnam entdeckt. Die RAB behauptete, er sei bei einer Schießerei ums Leben gekommen.

Bablu Mia (Name geändert) wurde laut seinem Bruder, der das Verschwinden detailliert in einer Anzeige bei der Polizei beschrieb, von zwei Angehörigen der RAB in Zivilkleidung von einer Schnellstrasse verschleppt. Sechs Wochen später behauptete die RAB, Bablu Mia sei bei einer Schiesserei ums Leben gekommen.

Hintergrund

Amnesty International hat insgesamt sieben Fälle mutmaßlicher außergerichtlicher Hinrichtungen dokumentiert. Das Team besuchte Tatorte und befragte 40 Personen, darunter Familien der Opfer, sogenannte Zeug*innen, deren Aussagen von Strafverfolgungsbehörden erpresst wurden, Menschen in der Nachbarschaft der Tatorte und Menschenrechtsaktivist*innen in Bangladesch. Die Interviews wurden im November 2018 geführt. Anschließend wurde digital recherchiert und schließlich die Informationen aus den verschiedenen Quellen zusammengeführt.

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