Ecuador:  Soldaten und Insassen der Haftanstalt Manabi N4 im Juni 2024 © Gerardo Menoscal/AFP via Getty Images
Ecuador: Soldaten und Insassen der Haftanstalt Manabi N4 im Juni 2024 © Gerardo Menoscal/AFP via Getty Images
presse

Amnesty International Jahresbericht 2024/25: Menschenrechte durch autoritäre Regime weltweit unter Druck

29. April 2025

Der Bericht von Amnesty International zur weltweiten Lage der Menschenrechte 2024/25 dokumentiert brutale und routinemäßige Taktiken zur Unterdrückung von Andersdenkenden, eine verheerende Verschärfung bewaffneter Konflikte, unzureichende Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise und globale Rückschritte bei den Rechten von Migrant*innen, Geflüchteten, Frauen, Mädchen und LGBTQIA+ Personen.

Um einen weiteren Abwärtstrend in diesen Bereichen zu verhindern braucht es eine globale Kehrtwende, so die Menschenrechtsorganisation anlässlich des heute veröffentlichten Berichts.

Wir stehen an einem historischen Scheideweg. Autoritäre Gesetze und Praktiken breiten sich weltweit im Interesse weniger aus. Regierungen und Zivilgesellschaft müssen jetzt dringend ein solides Fundament für die Menschenrechte schaffen, um die Menschheit zurück auf sicheren Boden zu führen.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Amnesty International warnt auch davor, dass besonders die menschenrechtsfeindliche Linie der US-Regierung unter Donald Trump jene Entwicklungen beschleunigt, die sich weltweit bereits seit einiger Zeit abgezeichnet haben. Der internationale Menschenrechtsschutz wird zunehmend ausgehöhlt, was die Rechte von Milliarden Menschen rund um den Globus aufs Spiel setzt.

„Die Ereignisse der letzten zwölf Monate – nicht zuletzt der Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen – haben Tatsachen geschaffen und gezeigt, wie schrecklich die Lage für unzählige Menschen sein kann, wenn sich die mächtigsten Staaten über das Völkerrecht hinwegsetzen und von den multilateralen Institutionen abkehren“, sagt Agnès Callamard.

 „Die Angriffe, die wir in den vergangenen Monaten auf den Internationalen Strafgerichtshof beobachtet haben, lassen absehen, dass sich diese Fronten 2025 noch verhärten werden. Die Regierungen müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die internationale Justiz zu unterstützen, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen und den IStGH und seine Mitarbeiter*innen vor Sanktionen zu schützen.“

Der Preis für unsere Untätigkeit ist hoch. Es geht um nichts weniger als um den Verlust grundlegender Schutzmechanismen, die zur Wahrung der Menschlichkeit nach den Schrecken des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs eingerichtet wurden. Trotz seiner vielen Unzulänglichkeiten ist die Demontage des multilateralen Systems keine Lösung. Vielmehr muss es gestärkt und neu ausgestaltet werden.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

„Trump-Effekt“: Schleichende Ausbreitung autoritärer Praktiken wird beschleunigt

„Doch stattdessen scheint die US-Regierung unter Präsident Trump darauf aus zu sein, die Zusammenarbeit zwischen den Ländern, die 2024 bereits stark ins Wanken geriet, komplett zum Einsturz zu bringen und die Welt auf einer Doktrin reiner Macht- und Interessenspolitik neu zu ordnen, die auf Gier, rücksichtslosem Eigeninteresse und der Dominanz einiger weniger beruht.“

„In den ersten hundert Tagen seiner zweiten Amtszeit hat Präsident Trump nichts als Verachtung für die universellen Menschenrechte an den Tag gelegt. Konzepte wie der Multilateralismus, das internationale Flüchtlingssystem, Geschlechtergerechtigkeit, Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte, Investitionen in die globale Gesundheit und der Konsens für weltweite Klimaschutzmaßnahmen werden von Präsident Trump grundlegend infrage gestellt, was diesen ohnehin bereits angeschlagenen Grundsätzen und Institutionen noch weiteren Schaden zufügt und andere ermutigt, sich seiner Linie anzuschließen“, führt Amnestys Generalsekretärin aus.

Sie warnt davor, dass Donald Trump „nur die Spitze des Eisbergs“ sei. Bereits seit Jahren gibt es weltweit eine schleichende Ausbreitung autoritärer Praktiken in verschiedenen Staaten. „Wir alle, die an Freiheit und Gleichheit glauben, müssen für immer extremere Angriffe auf das Völkerrecht und die universellen Menschenrechte gewappnet sein.“

Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit in Bedrängnis

Amnesty International betont, dass die Menschenrechte im Jahr 2024 weltweit immer stärker unter Beschuss kamen, und das Fundament hierfür autoritäre Gesetze, Maßnahmen und Praktiken zur Beschneidung der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren. Rund um den Globus versuchten Regierungen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, ihre Macht zu festigen und Furcht zu verbreiten, indem sie Medienkanäle verboten, NGOs und politische Parteien auflösten oder mit einem Betätigungsverbot belegten und Kritiker*innen inhaftierten. In mehreren Ländern begegneten die Sicherheitskräfte zivilem Ungehorsam mit willkürlichen Massenfestnahmen und unverhältnismäßiger – manchmal tödlicher – Gewalt. Festgenommene wurden häufig Opfer des Verschwindenlassens.

Die Behörden in Bangladesch verhängten Schießbefehle gegen Studierendenproteste, wodurch fast 1.000 Menschen getötet wurden. In Mosambik gingen die Sicherheitskräfte im Zuge der umstrittenen Wahlen außerordentlich scharf gegen Protestveranstaltungen vor, was mindestens 277 Tote zur Folge hatte. Die türkische Regierung verhängte Pauschalverbote für Demonstrationen.

Menschenrechtsverstöße in bewaffneten Konflikten

In zahlreichen bewaffneten Konflikten begingen sowohl Regierungstruppen als auch bewaffnete Gruppen Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.

Amnesty International dokumentierte in einem wegweisenden Bericht den Völkermord der israelischen Regierung an den Palästinenser*innen im Gazastreifen sowie das System der Apartheid und rechtswidrigen Besetzung im Westjordanland, das immer gewaltsamer durchgesetzt wurde. Russland tötete 2024 mehr ukrainische Zivilpersonen als im Jahr zuvor und griff weiterhin die zivile Infrastruktur an. Gefangene wurden häufig gefoltert oder fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. Im Sudan begingen Mitglieder der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) in großem Umfang sexualisierte Gewalttaten an Frauen und Mädchen und verübten damit Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gleichzeitig stieg die Zahl der Binnenvertriebenen im Sudan wegen des bereits seit zwei Jahren anhaltenden Bürgerkriegs auf 11 Millionen an – die höchste Vertreibungsquote weltweit. Doch dieser Konflikt stieß weltweit auf nahezu völlige Gleichgültigkeit – abgesehen von dem zynischen Opportunismus einiger Länder, die die Gelegenheit nutzten, unter Verstoß gegen das Waffenembargo für Darfur Waffen in den Sudan zu liefern.

Klimakrise: Regierungen lassen zukünftige Generationen im Stich

Im Kampf gegen die Klimakrise, gegen die wachsende Ungleichheit und die Macht der Konzerne versagte die internationale Gemeinschaft kollektiv. 

Die Weltklimakonferenz (COP29) war eine Katastrophe. Eine Rekordzahl an Lobbyist*innen sorgte dafür, dass die Diskussionen um einen gerechten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen keine Fortschritte machten. Gleichzeitig setzten die wohlhabendsten Staaten die einkommensschwächeren Länder unter Druck, völlig unzulänglichen Vereinbarungen über die Klimafinanzierung zuzustimmen.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und das erste Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau lag. Die Überschwemmungen, die Südasien und Europa verwüsteten, die Dürren, die das südliche Afrika heimsuchten, die Brände, die weite Teile des Amazonas-Regenwalds vernichteten, und die Wirbelstürme, die in den USA verheerende Schäden anrichteten – diese Katastrophen verdeutlichen die enormen menschlichen Kosten, die der Klimawandel schon heute mit sich bringt.

Verschärfung von Ungleichheiten und extremer Armut

Im Jahr 2024 haben sich innerhalb und zwischen den Staaten die extreme Armut und die Ungleichheit aufgrund von Inflation, mangelhafter Regulierung von Unternehmen, Steuermissbrauch und steigender Staatsverschuldung weiter verschärft. Ungeachtet dieser Tatsachen bedienten sich viele Regierungen und politische Bewegungen rassistischer Rhetorik, um Migrant*innen und schutzsuchende Menschen zum Sündenbock für Kriminalität und Wirtschaftsflauten zu machen. Derweil wuchs sowohl die Zahl der Milliardäre als auch deren Vermögen stetig an, während gleichzeitig die Weltbank vor einem „verlorenen Jahrzehnt“ für die weltweite Armutsbekämpfung warnte.

Rechte von Frauen und LGBTQIA+ Personen in Frage gestellt

Adressiert wird im Jahresbericht auch die Situation von Frauen und Mädchen sowie für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queere, intergeschlechtliche, asexuelle und agendered (LGBTQIA+) Personen. Deren Rechte auf Geschlechtergleichstellung und Geschlechtsidentität werden weltweit zunehmend untergraben.

Die Taliban schlossen Frauen in Afghanistan immer stärker aus dem öffentlichen Leben aus, während die iranischen Behörden ihr brutales Vorgehen gegen Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzten, intensivierten. Frauen, die in Mexiko und Kolumbien nach vermissten Angehörigen suchten, wurden bedroht und angegriffen. In Malawi, Mali und Uganda wurden einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen unter Strafe gestellt bzw. waren weiterhin verboten. Georgien und Bulgarien folgten dem Beispiel Russlands und gingen hart gegen vermeintliche „LGBTI-Propaganda“ vor.

Die US-Regierung unter Donald Trump gibt der globalen Gegenbewegung gegen Geschlechtergerechtigkeit noch Rückenwind, indem sie Initiativen zur Bekämpfung von Diskriminierung zurückfährt, die Rechte von Transgender*Menschen unermüdlich unter Beschuss nimmt und die Mittel für weltweite Programme zugunsten von Frauen und Mädchen, z. B. in den Bereichen Gesundheit und Bildung, einstellt.

Trotz enormer Herausforderungen ist die Demontage der Menschenrechte keinesfalls unausweichlich. Schon immer hat es in der Geschichte mutige Menschen gegeben, die sich erfolgreich gegen autoritäre Praktiken aufgelehnt haben. Und so stemmten sich auch 2024 weltweit unzählige Menschen gegen Unrecht und Unterdrückung. Auch an den Wahlurnen wurde dem autoritären Gedankengut vielerorts eine Absage erteilt. Deswegen ist klar: Egal, wer uns im Wege steht, wir müssen und werden Widerstand leisten gegen die rücksichtslose Gier nach Macht und Profit, die unzählige Menschen ihrer Rechte berauben will. Unsere breite, unerschütterliche Bewegung wird stets vereint für die Würde und die Menschenrechte aller einstehen.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Genozid in Gaza: Gegen das Schweigen und für die Opfer

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