
Amnesty International Jahresbericht 2024/25: Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich in Bedrängnis
29. April 2025Das Recht, seine Meinung frei zu äußern sowie die Versammlungsfreiheit sind in Österreich letztes Jahr in Bedrängnis gekommen. Zu diesem Schluss kommt der Amnesty International Jahresbericht 2024/25. Anlässlich der Präsentation des weltweiten Jahresberichts zieht die Menschenrechtsorganisation auch in Österreich Bilanz über das vergangene Jahr. Ihre Analyse: „Es wurde vieles NICHT bzw. immer noch nicht umgesetzt, was menschenrechtlich geboten gewesen wäre“, resümiert Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
Bei ihrer Analyse der Bedrohung für Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit im Land bezieht sich Amnesty International insbesondere auf den Umgang mit Protestierenden, “deren Meinung man nicht hören will oder die Art, in der sie geäußert wird, einem nicht gefällt”, so Hashemi. Als Beispiel nennt sie etwa die Auflösung des Palästina-Protestcamps an der Uni Wien im Mai letzten Jahres, die – wie erst kürzlich das Verwaltungsgericht Wien bestätigte – rechtswidrig war. Besorgniserregend, so die Menschenrechtsorganisation, ist auch, wie Klimaaktivist*innen von Politiker*innen regelmäßig diskreditiert werden.
Es scheint, als ob ganz bewusst ein öffentliches Narrativ geschaffen wurde, laut dem Protest grundsätzlich verwerflich, beinahe schon kriminell ist.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Dabei geht es aber nicht nur um eine verschärfte Wortwahl, wie der Amnesty-Bericht zeigt. Im vergangenen Juni wurden gegen Klimaaktivist*innen erstmals so genannte primäre Freiheitsstrafen verhängt, und zwar ohne vorhergehende Gerichtsverfahren. „Es wird versucht, eine bestimmte Form von friedlichem Protest behördlich zu unterbinden“, so die Amnesty-Geschäftsführerin. Eine solche Verwaltungshaft, die ohne vorherige Gerichtsverfahren verhängt werden kann, ist aus menschenrechtlicher Sicht jedenfalls abzulehnen.
Hashemi betont, dass ziviler Ungehorsam, unter den viele der Aktionen von Klimaaktivist*innen fallen, von der Versammlungsfreiheit gedeckt ist – ein Menschenrecht, zu dem sich Österreich verpflichtet hat. „Dabei ist es irrelevant, ob einem die Form oder der Inhalt des Protestes gefallen.“
Amnesty mahnt die neue Bundesregierung, insbesondere das Recht auf Meinungs- und auf Versammlungsfreiheit nicht auszuhöhlen:
Das Recht, unsere Meinung zu äußern und Unmut friedlich auf die Straße zu tragen, ist ein wesentlicher Baustein eines funktionierenden Rechtsstaates. Es ist inakzeptabel, dass in Österreich zunehmend ein Klima der Unsicherheit, teils sogar Angst herrscht, wenn es um Protest geht.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
„Immer noch nicht“
Menschenrechte in der Warteschlange: „Immer noch nicht umgesetzt“
In ihrem Jahresbericht zieht die Menschenrechtsorganisation grundsätzlich eine ernüchternde Bilanz zur Relevanz der Menschenrechte in Österreich: Diese stünden hierzulande zum Teil in der „Warteschlange“, viele menschenrechtlich relevanten Bestimmungen sind trotz völkerrechtlicher Verpflichtungen immer noch nicht umgesetzt.
So ist der Zugang zur Sozialhilfe immer noch mit enormen Hürden verbunden, insbesondere für Frauen und Menschen mit Behinderungen. Entsprechend lautet die Forderung an die Bundesregierung, die geplante Neuregelung der Sozialhilfe menschenrechtskonform auszugestalten, anstatt sie durch die im Regierungsprogramm vorgesehenen Maßnahmen wie einer Wartefrist weiter zu verschlechtern. Amnesty International fordert eine Sozialhilfe, die diskriminierungsfrei zugänglich ist sowie wieder auf Mindestsätzen basiert und ein Leben in Würde und soziale Teilhabe für alle sicherstellt.
Frauenrechte stärken
Kritik übt Amnesty International auch beim Thema Frauenrechte in Österreich:
Im Jahr 2024 wurden 27 mutmaßliche Femizide dokumentiert, und bis vor kurzem gab es immer noch keine langfristigen Strategien zur Verhinderung derartiger Gewalt.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Umso erfreuter zeigt sich die Menschenrechtsorganisation über den aktuellen Beschluss der Bundesregierung, einen Nationalen Aktionsplan zum Schutz von Frauen zu erarbeiten, der nun rasch umgesetzt werden und effektive Maßnahmen zur Gewaltprävention und Schutz vor geschlechterspezifischen Gewalt beinhalten muss.
Frauenrechte gehören zudem auf allen Ebenen gestärkt. Amnesty kritisiert auch, dass die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen immer noch nicht umgesetzt ist. Im Gegenteil: Diese werden nach wie vor nicht als reguläre Gesundheitsleistung anerkannt und österreichweit gibt es weiterhin nur eingeschränkten Zugang zu leistbaren und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Die in einem Bericht von Amnesty aufgezeigte Stigmatisierung von Ärzt*innen und dem Gesundheitspersonal stellt eine zusätzliche Hürde dar.
„Immer noch nicht“ haben geflüchtete Kinder eine sofortige Obsorge
Unter das bittere Kapitel „Immer noch nicht“ fällt auch die nach wie vor fehlende Regelung und Umsetzung der Obsorge ab Tag 1 für geflüchtete Kinder. Auch der UN-Ausschuss gegen Folter betonte, dass Österreich unbegleitete Kinder systematisch und ohne unnötige Verzögerung während ihres gesamten Aufenthalts einen Vormund bestellen muss, was bis jetzt noch nicht für alle Kinder der Fall sei.
„Die Behörden kennen das Problem, die Politiker*innen kennen das Problem. Alle wollen etwas unternehmen, aber immer noch ist nichts passiert. Wie lange kann so etwas dauern?“, richtet sich Shoura Hashemi an die neue Bundesregierung, die das Vorhaben im Koalitionsprogramm niedergeschrieben hat.
„Immer noch nicht“ müssen Polizist*innen sich ausweisen
Erfreut zeigt sich Amnesty International über den Start der Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei, die vor mehr als einem Jahr ihre Arbeit aufnahm. Allerdings bestehen weiterhin starke Bedenken bezüglich ihrer vollständigen Unabhängigkeit, da die Stelle im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) und damit – wie auch die Polizei – unter der Weisungsbefugnis des Innenministers angesiedelt ist.
Auch das Fehlen einer verpflichtenden Kennzeichnung erschwert die Rechenschaftspflicht von Polizeibeamt*innen. Dies fällt ebenfalls unter die Liste der „immer noch nicht umgesetzten“ – und international gebotenen – Forderungen.
Für eine strafrechtliche Verurteilung benötigt es die Feststellung der individuellen Schuld. In der Praxis ist aber oftmals nicht bekannt wer die handelnden Beamt*innen sind, da diese nicht verpflichtet sind, eine individuell zuordenbare Kennzeichnung zu tragen. Ohne der Möglichkeit, Misshandlungen konkreten Polizeibeamt*innen zuzuordnen, ist auch eine strafrechtliche Verurteilung nicht möglich.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
„Hoffentlich bald“
Chancen für die neue Regierung
Die „Noch-Nicht-Politik“ der Vergangenheit ist ein Auftrag, aber auch eine Chance für die neue Regierung, so Amnesty: „Dass ein Bekenntnis zu Menschenrechten im Koalitionsprogramm explizit niedergeschrieben wurde, ist ein guter Schritt und gibt Anlass zur Hoffnung. Nun muss diese Ankündigung auch mit Leben gefüllt werden.“
Shoura Hashemi appelliert daher an die Entscheidungsträger*innen, die Menschenrechte wieder in den Fokus der Politik zu rücken – als Leitlinien für einen funktionierenden Rechtsstaat und ein würdevolles Miteinander von allen Menschen sowie als Gegensignal zu den autoritären Regimen weltweit.