100-Tage-Countdown
Anlässlich der Veröffentlichung des Berichts ruft Amnesty zu einem 100-Tage-Countdown bis zum Ende des Jahres auf: „Wir fordern die Staaten und die Pharmaunternehmen auf, einen drastischen Kurswechsel vorzunehmen und alles Notwendige zu tun, um bis Ende des Jahres zwei Milliarden Impfstoffdosen an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu liefern. Niemand sollte ein weiteres Jahr in Leid und Angst verbringen", mahnt Agnès Callamard. Mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation und der Hohen Kommissarin für Menschenrechte fordert Amnesty, dass das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, 40 Prozent der Bevölkerung in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen bis Ende des Jahres zu impfen, erreicht wird.
Die Hälfte aller Impfstoffdosen an Länder mit niedrigem Einkommen
Amnesty appelliert an die Staaten, die Hunderten von Millionen überschüssiger Impfdosen, die derzeit ungenutzt herumliegen, dringend umzuverteilen. Der Appell an die Impfstoffentwickler lautet, dafür zu sorgen, dass mindestens die Hälfte der produzierten Dosen an diese Länder gehen. Agnès Callamard findet dazu klare Worte: „Ausgestattet mit Milliarden von Steuergeldern und dem Fachwissen von Forschungseinrichtungen haben die Pharmaunternehmen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung lebensrettender Impfstoffe gespielt. Doch jetzt müssen sie sofort handeln, um Milliarden von Menschen die Möglichkeit zu geben, sich impfen zu lassen. Um eine gerechte und rasche Einführung zu erreichen, müssen die Impfstoffentwickler die Länder, die sie am dringendsten benötigen, vorrangig beliefern und ihre Rechte an geistigem Eigentum aussetzen, ihr Wissen und ihre Technologie weitergeben und qualifizierte Hersteller ausbilden, um die Produktion von COVID-19-Impfstoffen hochzufahren.“
Hintergrund zum Bericht
Die sechs größten Vakzin-Produzenten sind nach Angaben des UNICEF „COVID-19 Vaccine Market Dashboard“ AstraZeneca plc, BioNTech Manufacturing GmbH, Johnson & Johnson, Moderna, Inc., Novavax, Inc. und Pfizer, Inc.. Diese hat Amnesty International dahingehend geprüft, ob ihre Geschäftspolitik ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen erfüllt. Bewertet wurden unter anderem die von den Unternehmen veröffentlichte Menschenrechtspolitik, ihre Preisgestaltung, ihr Vorgehen in den Bereichen geistiges Eigentum, Wissens- und Technologietransfer, die globale Verteilung verfügbarer Impfstoffdosen und ihre Transparenz.
Menschenrechtliche Verpflichtungen der Unternehmen
Dabei wurde festgestellt, dass die sechs Impfstoffentwickler in unterschiedlichem Maße ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nicht gerecht geworden sind. „Alle Unternehmen haben die Pflicht, wo immer sie in der Welt auch tätig sind, die Menschenrechte zu achten. Diese Pflicht bedeutet vor allem, dass sie als Unternehmen „niemandem Schaden zufügen“ dürfen. Sollten sie feststellen, dass sie die Ursache von Menschenrechtsverletzungen sind, müssen sie diese schädlichen Handlungen unverzüglich einstellen und Abhilfe schaffen“, erklärt Agnès Callamard. Dieser weithin anerkannte Standard ist auch in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen festgelegt. Die unternehmerische Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte besteht unabhängig von den Menschenrechtsverpflichtungen des Staates und geht über die Einhaltung nationaler Gesetze und Vorschriften zum Schutz der Menschenrechte hinaus.
Für Impfstoffhersteller bedeutet die Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte, dass sie Richtlinien entwickeln und implementieren sollten, die darauf ausgerichtet sind, hochwertige Corona-Impfstoffe verfügbar, zugänglich und erschwinglich zu machen. Sie sollten dafür sorgen, dass sie keine Hindernisse schaffen und von allen Maßnahmen absehen, die die Fähigkeit der Staaten, allen Menschen Coronaimpfstoffe zur Verfügung zu stellen, unnötig beeinträchtigen, so Amnesty.
Vor der Veröffentlichung wurde jedes der Unternehmen von Amnesty International angeschrieben. Fünf Unternehmen – AstraZeneca, BioNTech, Johnson & Johnson, Moderna und Pfizer – haben geantwortet, ebenso die institutionellen Investoren Baillie Gifford, BlackRock and UBS. Die Unternehmen erkennen an, dass eine faire und gerechte Verteilung, insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen, von wesentlicher Bedeutung ist, aber alle Unternehmen haben es versäumt, diese Bestrebungen zu erfüllen und ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachzukommen. Amnesty International hat die Antworten geprüft (s. Anhang des Gesamtberichts) und die bereitgestellten Informationen in seinen Bewertungen entsprechend berücksichtigt.
Die Daten zu Impfstoffverkäufen, Lieferverpflichtungen, Produktionslizenzvereinbarungen und Vertrieb stammen von Airfinity, einem Unternehmen für wissenschaftliche Informationen und Analysen, sowie aus den COVID-19-Dashboards von UNICEF und WHO und anderen Sekundärquellen. Die Zahlen zu den weltweiten Todesfällen und Impfungen stammen aus dem Datenprojekt „Our World in Data“ der Universität Oxford.
Russische und chinesische Unternehmen sind aufgrund intransparenter Firmen-Informationspolitik nicht berücksichtigt worden.