Loading...
© EVA MANHART / APA / picturedesk.com

Blog © EVA MANHART / APA / picturedesk.com

Unsere Rechte und unsere Worte: Geben wir Ausgrenzung mit keiner Silbe Raum

13. Februar 2024
von Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich

In den letzten Wochen erlebten wir einen Angriff auf die Grundwerte der Menschlichkeit. Die Normalisierung von diskriminierenden und menschenfeindlichen Begriffen wie "Remigration" ist nicht nur ein sprachliches Phänomen, sondern hat auch konkrete Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Wenn wir stigmatisierende Begriffe wie "Illegalität" in unsere alltägliche Sprache einziehen lassen, entmenschlichen wir Menschen und stärken Vorurteile.

Damit verunsichern und ängstigen wir vor allem jene Menschen, die selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sind, aber in der schauerlichen Zukunftsvision derer, die sich in Potsdam über Massendeportation beraten haben, keinen Platz mehr haben sollen. Die Verunsicherung ist nicht unbegründet oder übertrieben, wie unsere Geschichte zeigt: Entrechtung von Menschen hat häufig bei der Sprache angefangen.

Für viele von uns war es diesen Jänner nicht das erste Lichtermeer gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Es ist uns schon lange bewusst, wie unsere Worte die Realität formen und beeinflussen. Und wie das Sagbar-Werden von Unsagbarem ganz konkrete Folgen haben kann.

Die Herausforderung besteht nicht nur darin, uns vor rassistischer Sprache und ihren konkreten Folgen zu schützen, sondern wir müssen auch daran arbeiten, aktiv eine Atmosphäre der Inklusion und des Respekts zu schaffen – über Parteigrenzen hinweg. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist und bleiben muss. Statt Begriffe zu normalisieren, die Spaltung fördern, sollten wir uns auf eine gemeinsamen Sprache einigen, die unsere Werte – Menschenrechte, Solidarität, Respekt – widerspiegeln. Und sie gemeinsam verteidigen.

© Harald Wandl / Amnesty International
Shoura Zehetner-Hashemi Geschäftsführerin Amnesty International Österreich

Shoura Zehetner-Hashemi ist Menschenrechtsaktivistin und Iran-Expertin. Nach langjähriger Arbeit im diplomatischen Dienst des Außenministeriums übernahm sie 2023 die Leitung der österreichischen Sektion von Amnesty International.

Gemeinsam gegen die Diskursverschiebung

Wenn wir uns als Gesellschaft einig sind: Wir möchten nicht, dass sich der Diskurs in Richtung einer menschenfeindlichen Sprache verschiebt – dann ist Vernunft und Disziplin gefragt. Die Versuchung, an Stammtischparolen anzustreifen und politisches Kleingeld mit Ausgrenzung zu machen, ist vor allem im Wahlkampf groß. Gewinner dabei: der extreme, rassistische Rand. Gerade im Migrationsdiskurs sachlich zu bleiben und nach konstruktiven Lösungen zu suchen, wäre ein aktiver Beitrag gegen die Diskursverschiebung.

In der Asyl- und Migrationspolitik gibt es genügend Probleme, für die unsere Gesellschaft dringend echte Lösungen braucht. Eines davon ist der fehlende Schutz unbegleiteter geflüchteter Kinder, die aktuell monatelang ohne Obsorge bleiben und denen wir in Österreich die Zukunft verbauen. Wie können wir dafür sorgen, dass die Menschenrechte aller Kinder gewahrt werden und dass alle Kinder in Österreich ihre Potentiale entfalten können?  Das wäre ein gewinnbringendes Thema für den Migrationsdiskurs. Wie auch sichere Fluchtrouten und der Schutz der Menschenrechte an den EU-Außengrenzen. Es gibt unzählige dieser Fragen, über die wir dringend reden sollten, statt uns im Sog der Diskursverschiebung mitziehen zu lassen.

Beschwichtigung unangebracht

Wenn man die Berichte von Menschen mit Migrationsbiografie hört, wenn man versucht, nachzufühlen, wie viele Menschen in Österreich und Deutschland die letzten Wochen erlebt haben, welche Verunsicherung, Angst und Sorgen die rechtsextremen Pläne besonders auch bei jungen Menschen ausgelöst haben, dann sind jegliche Versuche der Beschwichtigung unangebracht und gefährlich. Die Pläne, die in Potsdam diskutiert wurden, bedeuten nichts anderes als die zwangsweise Vertreibung von Menschen nach ethnischen, religiösen oder auch sozialen und politischen Kriterien. Das ist menschenverachtend.

Auch ich habe eine Migrationsbiografie. Wenn meinen Eltern in den späten 80er Jahren nicht die Flucht aus dem Iran gelungen wäre, wäre ihr und mein Leben grundlegend anders verlaufen. Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit wären meine Eltern, zwei junge Menschen, die im iranischen Widerstand gegen eine autoritäre Theokratie aktiv waren, hingerichtet worden oder wären für viele Jahre inhaftiert gewesen. Was mit mir passiert wäre, ist unklar. Vielleicht hätte man mich zur Adoption freigegeben, vielleicht hätte ich, wie viele andere Kinder von Gewissensgefangenen auch, meine Kindheit im Gefängnis verbracht.

Wir müssen den jungen Menschen den Rücken stärken. Wir müssen ihnen zeigen: Ihr gehört dazu. Ihr seid Teil dieser Gesellschaft. Aber wie können wir gegen die Angriffe vorgehen – in Worten aber auch in Taten? Wir müssen die Anerkennung der einzigartigen Lebenswege und Perspektiven, die Menschen mitbringen, fördern. Statt uns auf äußere Erscheinungen oder vermeintliche Gruppenzugehörigkeiten zu konzentrieren, schaffen wir als Gesellschaft einen Raum, in dem unterschiedliche Stimmen gehört und respektiert werden. Und wir müssen die Parteien im Wahlkampf daran erinnern: sie müssen jetzt Verantwortung übernehmen, und die gefährliche Verschiebung – weg von Menschenrechten und Diskriminierungsfreiheit als Grundlagen unseres Zusammenlebens – aufhalten. Politiker*innen und alle, die eine laute Stimme im öffentlichen Diskurs haben, müssen besonders dieses Jahr Teil der vielzitierten Brandmauer sein. Hören wir alle gemeinsam wachsam auf ihre Worte. Denn wer für diskriminierende und rassistische Sprache Tür und Tor öffnet, trägt Mitverantwortung.

Wir appellieren an alle Parteien, in diesem Wahljahr die Vielfalt unserer Gesellschaft zu schützen und sich für eine inklusive Zukunft einzusetzen, in der die Menschenrechte unerschütterlich bleiben. Mitgeben möchte ich ihnen die Worte der amerikanischen Schriftstellerin Jacqueline Woodson. Sie dienen als Erinnerung, die Schönheit in unserer Vielfalt zu erkennen und den Wert des Erfolgskonzepts „alle Rechte für alle Menschen“ zu schätzen. Betrachten wir die Vielzahl von Stimmen und Perspektiven in unserer Welt als die Bereicherung, die sie sind.


Titelbild: Demo für Menschenrechte und gegen Rassismus am 26.1.2024 in Wien

Jacqueline Woodson

Bei der Vielfalt geht es um uns alle und darum, dass wir herausfinden müssen, wie wir gemeinsam durch diese Welt gehen können.