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Train of hope

17. Dezember 2015

Von Christine Newald

In den Einkaufshallen des Bahnhofs und den bunt beleuchteten Geschäften fragt man sich, wo die Flüchtlinge sind. ─ Und ich frag mich wie es mir wohl gehen würde, wenn ich ein Flüchtling wäre.

„Sie gehen einfach ans andere Ende des Bahnsteigs, ganz hinten die Stiegen hinauf, Halle 2“, lautet die Auskunft eines Ladenbesitzers auf meine Nachfrage. Vorne filmt jemand mit einer großen Kamera. Ich kann also nicht ganz falsch sein. Geradeaus, die Stiege runter, Halle 2. Gefunden. In meiner Wahrnehmung würde den ehrenamtlichen Helfer*innen eine zentrale Stelle direkt in der großen Halle zustehen. Die Räume sind fast leer, es riecht ein wenig streng. Es ist früh, die Flüchtlinge sind entweder schon weg oder kommen erst gegen Mittag. Sie kommen aus Spielfeld, mit Bussen oder dem Taxi oder aus einer der Notschlafstellen hier in Wien. Wie viele es sein werden, weiß man nie genau.

Es ist ruhiger geworden als in den ersten Wochen, aber immer noch kommen Menschen.

Zwei- bis dreihundert sind es im Moment, und es können jederzeit wieder mehr werden. Dafür kommen jetzt auch Obdachlose, die kriegen auch ein warmes Essen, eine Decke oder etwas zum Anziehen für den Eigenbedarf.

Auch bei den Helfer*innen ist es ruhiger geworden. Manche Sachen, die früher 24 Stunden am Tag angeboten wurden, die gibt es jetzt einfach nur mehr begrenzt. Die ruhigen Tage werden für Gespräche und zum Austausch genutzt, das ist sehr wichtig. Jetzt ist Zeit, die Erfahrungen zu verarbeiten, und sich auch mal einen lustigen Nachmittag zu gönnen. Supervision in Gruppen – vor allem für Dolmetscher*innen – wird zwar angeboten, aber das Angebot wird kaum angenommen.

„Letztens hat uns der Wiener Prater eingeladen. Wir waren 100 Leute und wir konnten auch einfach mal gemeinsam Spaß haben. Nach zwei Monaten kommt der Kopf manchmal nicht mehr nach mit dem Verarbeiten,“ meint Ashley, die Pressefrau, die für die ehrenamtliche PR-Tätigkeit beim Train of Hope ihren Brotjob eine Zeitlang ruhend gelegt hat. Sie managt Anfragen aus aller Welt, gerade ist ein japanisches Fernsehteam vor Ort. Auf einen Artikel in der New York Times ist sie besonders stolz. „Ich hab Glück. Mittlerweile hat mein Chef Verständnis und unterstützt mich auch.“

„Ich suche Linda“, sage ich zu einer Frau im blauen Mantel, die hinter einem schnell aufgestellten Klapptisch an der Essensausgabe steht. Sie heißt auch Linda, ist aber zuständig für die vermissten Menschen und schaut mich zuerst etwas verwundert an.

Linda Sepulveda, die „richtige“ Linda, ist eine langjährige ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Amnesty International und Train of Hope Frau der ersten Stunde. Viele Leute, die sich hier engagieren, sind auch für andere Einrichtungen ehrenamtlich tätig.

„ich bin im Social Media Team und mache Facebook und Twitter Aussendungen. Aber ich war auch schon in der Essensausgabe, in der Kleiderausgabe und hab alle möglichen Sachen gemacht, bevor ich die Social Media-Abteilung für mich entdeckt hab“, erzählt Linda. Sie ist seit Anfang an mit dabei, vier bis fünf Mal in der Woche, meistens sechs Stunden am Stück. „Ich hab Zeit, weil ich gerade in der Freizeitphase meiner Altersteilzeit bin. Eigentlich hatte ich geplant, jetzt mal mehr Zeit für mich zu haben ─ aber das ist anders gekommen.“
Die Kollegin vom Vermissten-Desk kommt zurück und setzt sich an ihren Schreibtisch. Sie ist aufgebracht. „Wir hatten Bilder von Vermissten in der Halle hängen, und jemand hat die Zettel in der Nacht angezündet. Für uns ist das eine Katastrophe. Es kommen immer wieder Eltern, die ihre Kinder verloren haben ─ und dann über unsere Aushänge wiederfinden. Das ist sehr berührend zu sehen, und manchmal auch tränenreich. Der Vorfall ist noch nicht geklärt, aber die ÖBB erlaubt uns jetzt nicht mehr, unsere Suchanzeigen aufzuhängen.“ Das Organisationsteam wird verständigt, Termin mit der ÖBB vereinbart. Eigentlich sind die Kontakte wunderbar. Man vertraut und unterstützt sich, wo es geht.

Anpacken als Markenzeichen

Das Einfachanpacken ist das Markenzeichen der Helfer*innen vom Hauptbahnhof. Wer medizinische Kenntnisse hat, arbeitet im Lazarett und die Großküche schupfen die Sikhs. Die Schüler*innen diverser Kochschulen bringen immer wieder Selbstgekochtes vorbei. In der Spielecke werden die Berge an gespendeten Stofftieren sortiert. Jeder dieser Bereiche ist eine eigene Abteilung, untergebracht im Rohbau unter dem Bahnsteig, einem Container oder Zelt. „Wir hatten Glück – der Bahnhof ist ja gerade erst fertig und viele Räume waren noch leer, andere wie die Radkammern wurden kurzerhand ausgeräumt.“
Jede Abteilung hat einen eigenen Koordinationsdienst und meistens gibt’s irgendwann am Tag ein Meeting. Der Frontdesk organisiert die Helfer*innen und teilt die Leute ein. Auch die Infrastruktur wie Spenden, Strom und Großlieferungen wollen koordiniert werden. Dolmetscher*innen gibt es momentan genug, weil Asylwerber*innen, die Deutsch sprechen, gerne kommen und helfen. Die einzelnen Abteilungen sind gewachsen, wie sie gebraucht wurden.

„Wir sind alle lieb zueinander, auch wenn wir grantig sind“

An Kleinigkeiten, wie den Herzerln auf der Helferjacke und dem Titel „Queen der Kleiderausgabe“ merkt man, mit wie viel Herz die Menschen hier am Werken sind. Essenslisten werden organisiert, Lebensmittellieferungen eingeteilt, man freut sich auf die angekündigten 300 Portionen der Kochschule, die bedeuten, dass man mit dem Sandwichstreichen aufhören kann. Und: Am nächsten Tag soll es Schokopalatschinken für alle geben.

„Die Sikhs bringen jeden Tag Obst und Salat und Brot und Wasser. Dann gibt’s die Helfer*innen, die Obst schnipseln und Sandwiches vorbereiten. Daneben ein Info-Tisch, wo die Flüchtlinge aktuelle Zugpläne finden“, erklärt mein Guide Linda. Ein leeres Bankerl mit dem Schild „Rechtsberatung“ steht verlassen im Eck. Früher stand es ganz vorne, und alles war voll. Tische und Bänke werden je nach Bedarf aufgestellt oder abgebaut.

Die Menschen, die hier helfen, arbeiten unter der Woche in diversen Einrichtungen wie der Caritas. Die Flüchtlinge sind ähnlich flexibel organisiert wie die Helfer*inne des Train of Hope. Auch unter ihnen spricht sich alles schnell herum. Facebookgruppen geben Infos darüber, was wo wie funktioniert. Die Organisation ist dezentral und bedarfsorientiert aufgebaut, Aufrufe liest man in den Sozialen Medien. Sehr willkommen sind natürlich auch Geldspenden.

„Ende September, als die Uni wieder losging, hatten wir ein Tief. Viele Student*innen und Schüler*innen konnten nicht mehr so viel Zeit investieren ─ aber das ist halt so. Wir sind immer noch da, wir helfen gerne und es ist lustig, bei uns mitzuhelfen. Das versuchen wir auch rüberzubringen. Die Leute, die aushelfen, sind alle sehr jung. Wir bekommen so viele Angebote, das macht Mut,“ erzählt Linda. "Aber man kann uns auch anders unterstützen: Auf Facebook gibt es eine Bedarfsliste, die ist immer aktuell und da kann sich jede*r melden."