Einwohner*innen gehen am 28. März 2025 in Gaza-Stadt an den Trümmern von Gebäuden vorbei, die während des Krieges zerstört wurden. © OMAR AL-QATTAA / AFP / picturedesk.com
Einwohner*innen gehen am 28. März 2025 in Gaza-Stadt an den Trümmern von Gebäuden vorbei, die während des Krieges zerstört wurden. © OMAR AL-QATTAA / AFP / picturedesk.com
news

„Wir wussten nicht, wie unsere Zelte den Bomben standhalten sollten.“

26. Mai 2025

Augenzeuginnenbericht von R. A., Mutter von fünf Kindern, aus Shuja’iya, einem Viertel in Gaza-Stadt

---

Ich musste den Kindern sagen, dass unser Haus in Shuja'iya zerstört war

Mein ältestes Kind ist 13, meine Jüngste ist fünf. Im Januar warteten wir wie so viele andere Menschen darauf, nach Gaza-Stadt zurückkehren zu können, nachdem wir mehr als ein Jahr lang im Süden des Landes als Vertriebene leben mussten. Ich musste den Kindern sagen, dass unser Haus in Shuja'iya zerstört war, und meine fünfjährige Tochter fragte, ob sie vielleicht ihr Spielzeug noch finden könne. Ich versprach, ihr ein noch schöneres Spielzeug zu kaufen. Meine 13-jährige Tochter spielte die Rolle der Großen – sie erklärte ihren jüngeren Geschwistern, was sie erwarten würde, wiegelte ihre Erwartungen ab und verteilte Aufgaben.

Sie ist im Krieg so erwachsen geworden, dass ich sie manchmal nicht wiedererkenne. 

R. A., Mutter von fünf Kindern, aus Shuja’iya, einem Viertel in Gaza-Stadt

Es war wohl das erste Mal, dass die Kinder ihren Vater weinen sahen

Wir wussten, dass wir außer den Trümmern unseres Hauses nichts vorfinden würden, aber für uns war das Wichtigste, nach Shuja'iya zurückzukehren. Mein Mann weinte, als er das zerstörte Haus sah. Es war wohl das erste Mal, dass die Kinder ihren Vater weinen sahen, und sie begannen ihn zu trösten.

Wir schlugen unsere Zelte in den Trümmern des Hauses auf und warteten darauf, dass Baumaterial nach Gaza hereingelassen würde. Die Zeit der Waffenruhe war sehr schwer für uns. Das Summen der Drohnen ist furchtbar bedrohlich; die Angst, dass der Krieg wieder aufflammen könnte, die Ungewissheit, wann wir mit dem Wiederaufbau beginnen können. Trotzdem hatten wir Hoffnung. Ich konnte endlich darauf hoffen, dass meine Kinder wieder zur Schule gehen können.

Dann ging alles wieder von vorne los.

Die Nacht des 18. März kann ich nicht beschreiben; wir wussten nicht, wie unsere Zelte den Bomben standhalten sollten. 

Trotzdem blieben wir in Shuja'iya, bis sie [die israelischen Streitkräfte] am 3. April einen Evakuierungsbefehl für fast ganz Shuja'iya aussprachen. Es war morgens, mein Mann war auf der Arbeit. Meine 13-jährige Tochter sagte, sie wolle nicht gehen, doch ich sagte ihr, dass wir keine andere Möglichkeit hätten. Also fingen wir an, die Zelte zusammen zu packen, und nahmen die wichtigsten Sachen mit. Wir haben eine „Vertreibungstasche“, in der wir die wichtigsten Dokumente aufbewahren: Geburtsurkunden, Ausweise und ähnliche Dinge, um für den Aufbruch gerüstet zu sein.

Wir wussten wirklich nicht, wohin wir gehen sollten. Wie Tausende andere Menschen auch standen wir an diesem Tag auf der Straße und wussten nicht, wohin. Alle weinten und waren ausgemergelt, wütend, verängstigt.

Jede neue Vertreibung ist schlimmer als die vorherige, denn jedes Mal hat man weniger Ressourcen, weniger Energie, weniger Hoffnung. Vertreibung ist Demütigung. 

R. A., Mutter von fünf Kindern, aus Shuja’iya, einem Viertel in Gaza-Stadt

da draußen glauben vielleicht alle, dass wir in Gaza es nicht verdienen zu leben

Seither sind wir in einem provisorischen Lager für Vertriebene in der Stadt untergebracht; einer Zeltstadt. Wenn meine Kinder mich um Brot und Hühnchen bitten, muss ich Ausflüchte finden. Ein Kilo Mehl kostet mehr als 80 Schekel, und es riecht fürchterlich.

Als Eltern hat man die Aufgabe, seine Kinder zu ernähren, ihnen ein Zuhause zu bieten, ihnen eine gute Bildung zu ermöglichen und sie zu beschützen. In Gaza funktioniert nichts davon, aber nicht, weil wir keine guten Eltern sind. Bei Gott, wir haben uns bemüht, aber da draußen glauben vielleicht alle, dass wir in Gaza es nicht verdienen zu leben. Während ich vor meinem Zelt mit dir telefoniere, sitzt meine 13-Jährige mit ihren Geschwistern zusammen und tut so, als sei sie eine Lehrerin, die ihnen Mathe beibringt.

---

Augenzeuginnenbericht aufgenommen am Telefon mit einer Amnesty-Mitarbeiterin, 20. Mai 2025

Genozid in Gaza: Gegen das Schweigen und für die Opfer

Jetzt spenden!