„Dass Facebook diesem Druck nun folgt, stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Regierungen auf der ganzen Welt werden dies als eine offene Einladung sehen und versuchen, Facebook in den Dienst staatlichen Zensur zu stellen. Auch andere Technologieunternehmen könnten anfällig für die gleiche Art von Druck und Schikane durch repressive Regierungen werden", sagte William Nee, und sagt weiter:
„Soziale Medien haben Meinungsfreiheit in Vietnam auch positiv beeinflusst. Aber das liegt daran, dass vietnamesische User*innen diese Plattformen genutzt haben, um kritische Ansichten zu äußern und Menschenrechtsverletzungen aufzudecken. Es ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung – nicht Profit und ,Marktzugang‘ – das um jeden Preis geschützt werden muss“, sagt William Nee.
In einem 2019 veröffentlichten Bericht stellte Amnesty International fest, dass etwa zehn Prozent der vietnamesischen Gewissensgefangenen – d. h. Menschen, die nur wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert wurden – im Zusammenhang mit ihren Facebook-Aktivitäten inhaftiert wurden.
Zunahme von Zensur und Einschüchterung
Im Jänner 2020 begannen die vietnamesischen Behörden ihr beispielloses hartes Durchgreifen gegen User*innen in sozialen Medien, darunter Facebook und YouTube. Dadurch soll die öffentliche Diskussion über eine öffentlichkeitswirksame Debatte im Dorf Dong Tam zum Schweigen gebracht werden. Die Debatte hatte anhaltende Korruptionsvorwürfe aufgeworfen und zu tödlichen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Dorfbewohner*innen geführt.
Dieses Vorgehen hat sich seit Beginn der COVID-19-Krise noch verschärft. Zwischen Jänner und Mitte März wurden insgesamt 654 Menschen auf Polizeidienststellen in ganz Vietnam im Zusammenhang mit ihren Facebook-Postings zu COVID-19 vorgeladen. 146 von ihnen wurden mit Geldstrafen belegt, die übrigen wurden gezwungen, ihre Postings zu löschen.
Am 15. April führten die Behörden ein umfassendes neues Dekret, 15/2020, ein. Es sieht neue Strafen für Social-Media-Inhalte vor, die vagen und willkürlichen Beschränkungen unterliegen. Der Erlass ermächtigt die Regierung außerdem, Technologieunternehmen zur Einhaltung willkürlicher Zensur- und Überwachungsmaßnahmen zu zwingen.
Am 18. April verhafteten die Behörden in der Provinz Hau Giang Dinh Thi Thu Thuy, 38, wegen "Propaganda gegen den Staat" gemäß Artikel 117 des Strafgesetzbuches von 2015. Die Polizei beschuldigt Dinh Thi Thu Thuy, "Hunderte von staatsfeindlichen Inhalten auf Facebook gepostet und weitergegeben zu haben". Diese Anklage wird mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwanzig Jahren geahndet.
Unabhängig davon verhaftete und inhaftierte die Polizei am 12. April Ma Phung Ngoc Tu, 28, in der Stadt Can Tho wegen "Missbrauchs der demokratischen Freiheit" gemäß Artikel 331 des Strafgesetzbuches von 2015. Die Polizei beschuldigt Ma Phung Ngoc Tu, „14 Beiträge über das Coronavirus und üble Nachrede über das Regime veröffentlicht und geteilt zu haben“. Die Anklage ist mit einer Gefängnisstrafe von bis zu sieben Jahren verbunden. Er befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft.
Am 10. April riefen in der Provinz Lam Dong die Behörden Dinh Vinh Son, 27, vor Gericht, da er „falsche Nachrichten“ über COVID-19 verbreitet habe. Damit ist er die erste Person in Vietnam, die wegen Verbreitung von Informationen über die Pandemie angeklagt wurde. Er wurde nach Artikel 288 des Strafgesetzbuches von 2015 wegen „illegaler Bereitstellung oder Verwendung von Informationen über Computernetzwerke oder Telekommunikationsnetze“ angeklagt. Ihm droht eine Gefängnisstrafe von bis zu sieben Jahren.