„Dieses anhaltende Zaudern untergräbt die Glaubwürdigkeit des Hochkommissariats,“ sagt Agnès Callamard und sagt weiter: „Der Besuch der Menschenrechtskommissarin in China bestand zu weiten Teilen aus Fototerminen mit hochrangigen Regierungsbediensteten, und die Stellungnahmen von Michelle Bachelet wurden von den staatlichen Medien für deren Zwecke manipuliert. Somit entstand der Eindruck, dass sich die UN-Kommissarin sehenden Auges für eine vorhersehbare Propagandamaßnahme der chinesischen Regierung hat instrumentalisieren lassen.
Die Hochkommissarin sollte stattdessen die fortdauernden schweren Menschenrechtsverletzungen verurteilen und sich für Rechenschaftslegung, Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzen.
Michelle Bachelet sagte, dass sie Appelle von nicht in China lebenden Uigur*innen erhalten habe, die nach ihren vermutlich inhaftierten Familienmitgliedern suchten, und dass sie die chinesischen Behörden auf diese Fälle angesprochen habe. Das Hochkommissariat muss diese Fälle im Auge behalten und darauf bestehen, dass die Behörden die Rechte der Gefangenen gewährleisten und ihnen den regelmäßigen Kontakt mit Familienmitgliedern – auch im Ausland – ermöglichen.
Angesichts der zahlreichen Einschränkungen, die dieser Besuch u. a. aufgrund von Coronamaßnahmen aufwies, hat Michelle Bachelet zu Recht festgestellt, dass es sich nicht um eine ‚Untersuchung‘ handelte. Allerdings sollte sie sich dafür einsetzen, dass nach ihrem Besuch in naher Zukunft wirksamere Maßnahmen und Untersuchungen durch unabhängige Menschenrechtsexpert*innen vorgenommen werden.
Michelle Bachelet kündigte eine Arbeitsgruppe zu Menschenrechten an, die sich u. a. mit Wirtschaft und Menschenrechten, Antiterror und Menschenrechten sowie den Rechten von Minderheiten befassen soll und die von den Vereinten Nationen und chinesischen Behörden gemeinsam eingerichtet werde. Allerdings wurden hierfür weder klare Ziele noch ein angepeilter Zeitrahmen kommuniziert. Dies kann kein Ersatz dafür sein, umgehend einen unabhängigen internationalen Mechanismus einzurichten, der Völkerrechtsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang untersucht, um Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, unter anderem durch die Identifizierung mutmaßlicher Verantwortlicher.
Die UN-Hochkommissarin muss die chinesische Regierung auffordern, umgehend alle verbleibenden Internierungslager zu schließen und alle willkürlich inhaftierten Menschen zu entlassen – auch diejenigen, die in Gefängnissen inhaftiert sind. Die systematischen Attacken gegen Uigur*innen, Kasach*innen und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang müssen aufhören.“
Detaillierte Berichte belegen schwere Menschenrechtsverletzungen und aktuelle Lage in Xinjiang
Seit September 2018, als die UN-Menschenrechtskommissarin zum ersten Mal Zugang zu Xinjiang forderte, weil „äußerst beunruhigende Vorwürfe über die willkürliche Inhaftierung von Uigur*innen und Muslim*innen“ laut geworden waren, haben zahlreiche Organisationen weitere detaillierte und gut belegte Informationen über die dortige Lage veröffentlicht. Im Juni 2021 veröffentlichte Amnesty International einen umfassenden Bericht, aus dem hervorging, dass es sich bei dem scharfen Vorgehen Chinas gegen vornehmlich muslimische ethnische Minderheiten in Xinjiang um schwere Menschenrechtsverletzungen und teils auch um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt.
Der Bericht basiert auf zahlreichen Aussagen von Betroffenen und beschreibt eine „dystopische Höllenlandschaft“, in der schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Inhaftierte begangen und Millionen Menschen systematisch staatlich überwacht werden. Zudem beschreibt er die Bemühungen der chinesischen Behörden, religiöse Bräuche, kulturelle Praktiken und die Sprachen der muslimischen ethnischen Gruppen in der Region auszuradieren.
Amnesty International startete eine internationale Kampagne, die sich eingangs auf etwa 70 Personen konzentrierte und die Schließung der Internierungslager sowie die Freilassung aller Personen forderte, die willkürlich in Lagern und Gefängnissen inhaftiert waren. Gerade diesen Monat hat Amnesty International Informationen über 40 weitere verschwundene bzw. inhaftierte Personen zusammengetragen, nachdem der anstehende Besuch der Menschenrechtskommissarin dafür sorgte, dass sich noch mehr Familien zu Wort meldeten, um Gerechtigkeit für ihre Verwandten zu fordern, die in Xinjiang verschwanden und aller Wahrscheinlichkeit nach inhaftiert sind.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat seinen eigenen Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang angefertigt. Laut Angaben von Michelle Bachelet befand er sich im vergangenen Jahr in der Fertigstellung. Doch trotz wiederholter Forderungen von Amnesty International und fast 200 weiteren NGOs ist dieser Bericht noch nicht veröffentlicht worden.