„Die Todesstrafe ist eine verabscheuungswürdige und unmenschliche Strafe. Die Behörden müssen unverzüglich ein Moratorium für Hinrichtungen verhängen und neue Verfahren für die zum Tode Verurteilten in Übereinstimmung mit internationalen Standards anordnen, ohne auf die Todesstrafe zurückzugreifen“, sagt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.
Demonstrant*innen hingerichtet
Am 17. August 2024 verkündete die saudische Presseagentur (SPA) die Hinrichtung von Abdulmajeed al-Nimr, einem pensionierten Verkehrspolizisten, wegen terroristischer Straftaten im Zusammenhang mit seinem Beitritt zu Al-Qaida. Ihm wurde vorgeworfen, dass er „regierungsfeindliche“ Proteste im Osten Saudi-Arabiens unterstützte. Seine Gerichtsdokumente erzählen jedoch eine andere Geschichte.
Laut dem von Amnesty International eingesehenen Gerichtsdokument wurde Abdulmajeed al-Nimr ursprünglich am 25. Oktober 2021 zu neun Jahren Haft verurteilt, weil er „versucht hatte, das soziale Gefüge und die nationale Einheit zu destabilisieren, indem er an Demonstrationen teilnahm, Unruhen unterstützte und Parolen gegen den Staat und seine Herrscher skandierte sowie gegen die Entscheidung, gesuchte Personen zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen“. Zudem soll er sich einer WhatsApp-Gruppe angeschlossen haben, der aus Sicherheitsgründen gesuchte Personen angehörten. In der Berufung wurde seine Strafe auf die Todesstrafe erhöht. Das Gericht hat mit keinem Wort auf Al-Nimrs Beteiligung an Al-Qaida hingewiesen. Die Diskrepanz zwischen den von der saudischen Presseagentur veröffentlichten Anklagepunkten und Al-Nimrs Gerichtsdokumenten zeigt einen eklatanten Mangel an Transparenz bei Gerichtsverfahren.
Nach Al-Nimrs Verhaftung am 28. Oktober 2017 wurde ihm während seiner Verhöre und der Untersuchungshaft rund zwei Jahre lang der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt. Er verbrachte drei Monate in Haft, ohne über den Grund seiner Verhaftung informiert zu werden.
Einem Gerichtsdokument zufolge stützte sich Al-Nimrs Verurteilung ausschließlich auf ein „Geständnis“, das er nach eigenen Angaben unter Zwang abgelegt hatte, wozu auch die eineinhalbmonatige Isolationshaft gehörte.
Sprunghafter Anstieg an Hinrichtungen wegen Drogendelikten
Im Jahr 2024 haben die saudischen Behörden bisher 53 Personen wegen Drogendelikten hingerichtet, 38 davon waren Ausländer*innen. 2023 lag die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten noch bei zwei Personen. Dieser sprunghafte Anstieg der Hinrichtungen wegen Drogendelikten lässt ernsthafte Befürchtungen hinsichtlich des Schicksals Dutzender Gefangener aufkommen, die wegen ähnlicher Delikte verurteilt wurden und derzeit in der Todeszelle sitzen.
Amnesty International hat die Fälle von vier ägyptischen Männern dokumentiert, die im Tabuk-Gefängnis wegen Drogendelikten in der Todeszelle sitzen. Die vier Personen gehören zu einer Gruppe von mindestens 50 Personen, die wegen Drogendelikten im Tabuk-Gefängnis in der Todeszelle sitzen, die meisten von ihnen sind Ägypter*innen.
Die Behörden verurteilten die Männer im Januar 2019 wegen verschiedener drogenbezogener Anschuldigungen zum Tode und bestätigten das Urteil im November 2019. Seitdem haben die Männer keine Informationen über den Stand ihres Falles oder darüber erhalten, ob ihr Todesurteil vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde.
Omar, einer der inhaftierten Männer, sagte gegenüber Amnesty International: „Ich habe bei allen staatlichen Stellen nachgefragt, die etwas wissen könnten – vom Innenministerium bis zum Obersten Justizrat –, aber niemand konnte mir den Status meines Falles mitteilen. Mein Sohn ist sieben Jahre lang ohne mich aufgewachsen. Ich habe das Gefühl, dass ich bereits ein toter Mann bin... Vor ein paar Tagen habe ich mit einem meiner Mitgefangenen eine letzte Mahlzeit eingenommen, bevor er am nächsten Morgen zur Hinrichtung gebracht wurde. Er wusste bis zu diesem Morgen nicht, dass seine Hinrichtung bevorstand. Ich möchte nur wissen, wie es um mein Verfahren steht.“
Laut dem von Amnesty International analysierten Gerichtsdokument hatten die vier Männer während der Untersuchungshaft, der Verhöre und des Vorverfahrens, das zu ihrem Todesurteil führte, keinen Rechtsbeistand. Nach ihrer Verurteilung erklärte das Gericht, dass sie das Recht auf einen Rechtsbeistand haben, um Berufung einzulegen. Das Gericht bestellte jedoch nur für einen der Männer einen Anwalt.
Omar erzählte Amnesty International, dass der Richter ihm während seiner Berufungsverhandlung sagte, er könne keinen Einspruch gegen seine Verurteilung einlegen, weil er keinen Rechtsbeistand habe. Omar reichte nach der Verurteilung selbst einen Einspruch beim Obersten Justizrat ein.