Unverhältnismäßig hohe Risiken für ältere Menschen
In der Ukraine machen die über 60-Jährigen knapp ein Viertel der Bevölkerung aus. Gleichzeitig sind ältere Menschen unverhältnismäßig stark von den Angriffen betroffen: Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, das Daten über zivile Opfer in der Ukraine sammelt, machten Menschen über 60 Jahre 34 % der von Februar bis September 2022 getöteten Zivilpersonen aus (sofern ein Alter angegeben wurde).
Ältere Menschen, die häufiger gesundheitliche Probleme haben, sind auch in den besetzten Gebieten stärker gefährdet. Dort haben die russischen Streitkräfte den Zugang für humanitäre Hilfe stark eingeschränkt, was eine massive Verletzung des Völkerrechts darstellt.
Einige Senior*innen haben sich dafür entschieden, in ihrem Zuhause zu bleiben. Andere berichteten Amnesty International, dass sie nicht fliehen konnten, weil sie nur unzureichend über die Evakuierungsmaßnahmen informiert worden waren.
Etwa Liudmyla Zhernosek, 61 Jahre alt, die mit ihrem 66-jährigen Mann, der einen Rollstuhl benutzt, in Tschernihiw lebt. Sie sagte: "Ich sah jeden Tag jüngere Leute mit Rucksäcken an meinem Haus vorbeigehen. Erst später erfuhr ich von anderen im Treppenhaus, dass sie ins Stadtzentrum gingen, da von dort aus noch Evakuierungen stattfanden. Aber das wären 40 Minuten Fußmarsch gewesen, ich konnte das mit meinem Mann nicht schaffen. Niemand hat uns von Evakuierungen erzählt, ich habe es immer erst hinterher erfahren."
Amnesty International hat auch dokumentiert, dass ältere Menschen in Wohnungen ohne Strom, Gas oder fließendes Wasser leben. Fenster oder Dächer, die während der Kämpfe beschädigt worden waren, boten vor Regen, Schnee und Kälte keinen Schutz mehr.
Als Amnesty International die 76-jährige Hanna Selivon in Tschernihiw befragte, war nur das Badezimmer überdacht, wo Freiwillige eine Matratze in die Badewanne gelegt hatten, damit sie schlafen konnte. Hanna sagte: "Alle in unserer Straße sind weg. Die Einzigen, die übrig blieben, waren ich und zwei andere ältere Frauen... Eine hatte eine Behinderung. Wir konnten einfach nirgendwo hingehen. Ich versteckte mich in einem Loch in meinem Keller... Am 29. März gab es viel Beschuss, und als ich [aus dem Keller] herauskam, sah ich, dass Flammen loderten... dass [mein Haus] brannte. Ich konnte meine Beine nicht bewegen."