Saada, Jemen: Anwohner*innen untersuchen die Trümmer nach dem US-Angriff auf das Lager für Geflüchtete. © AFP via Getty Images
Saada, Jemen: Anwohner*innen untersuchen die Trümmer nach dem US-Angriff auf das Lager für Geflüchtete. © AFP via Getty Images
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Jemen: Tödlicher US-Luftangriff muss untersucht werden

19. Mai 2025

Am 28. April wurden bei einem Luftangriff des US-Militärs auf ein Internierungslager für Migrant*innen in der Provinz Saada im Nordwesten des Jemen Dutzende Migrant*innen verletzt oder getötet. Amnesty International fordert eine Untersuchung des Vorfalls, der möglicherweise gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat. Berichten zufolge sind seit März 2025 Hunderte Menschen durch US-Luftangriffe auf den Jemen verletzt oder getötet worden.

Eine Auswertung von Satellitenaufnahmen ergab, dass die Angriffe auf das Gelände in Saada eine Einrichtung trafen, in der Migrant*innen festgehalten wurden, sowie ein weiteres Gebäude. Amnesty International sprach mit drei Personen, die mit afrikanischen Migrant*innen- und Flüchtlingsgemeinschaften im Jemen zusammenarbeiten. Zwei von ihnen, die nach dem Luftangriff das Migrant*innenlager sowie zwei nahe gelegene Krankenhäuser und deren Leichenhallen besucht hatten, bestätigten eine hohe Opferzahl. Amnesty International wertete schockierende Satellitenbilder und Videoaufnahmen aus, die Leichen inmitten von Trümmern zeigten und in denen zu sehen war, wie Rettungskräfte versuchten, schwer verletzte Überlebende aus den Trümmern zu ziehen.

Die USA haben eine bekannte Einrichtung angegriffen, in der die Huthi Hunderte Migrant*innen festhielten, die keine Möglichkeit hatten, sich anderswo in Sicherheit zu bringen. Die hohe Zahl an zivilen Todesopfern lässt starke Zweifel daran aufkommen, ob die USA bei diesen Angriffen ihren Verpflichtungen gemäß dem humanitären Völkerrecht nachgekommen sind, u. a. bezüglich der Regeln zur Unterscheidung [zwischen zivilen und militärischen Zielen] und zum Treffen von Vorkehrungen [zum Schutz der Zivilbevölkerung]

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

„Die USA müssen unverzüglich eine unabhängige und transparente Untersuchung dieses Luftangriffs und aller anderen Luftangriffe durchführen, die zu zivilen Opfern geführt haben und/oder bei denen möglicherweise die Vorgaben des humanitären Völkerrechts verletzt wurden“, so Callamard weiter.

Laut Augenzeugenberichten von Personen, die zwei Krankenhäuser in Saada besucht hatten, wurden dort mehr als zwei Dutzend äthiopische Migrant*innen behandelt, die Verletzungen wie Knochenbrüche oder die Abtrennung von Körperteilen erlitten hatten. Die Augenzeug*innen berichteten zudem, dass in den Leichenhallen der Krankenhäuser kein Platz für weitere Leichen gewesen sei, sodass diese letztlich draußen gestapelt werden mussten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dessen Mitarbeiter*innen unmittelbar nach dem Angriff vor Ort waren, bestätigte in einer Erklärung ebenfalls eine hohe Zahl von Opfern, darunter viele Migrant*innen.

Waffenexpert*innen von Amnesty International analysierten Fotos der Überreste der bei dem Angriff verwendeten Waffen und identifizierten Fragmente von mindestens zwei kleinen präzisionsgelenkten GBU-39-Gleitbomben. Das US-Zentralkommando sprach nicht über das Ziel des Angriffs, doch ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums sagte, man prüfe „Angaben“ über zivile Opfer bei dem Angriff und führe eine „Bewertung der Kampfschäden“ durch. Die Ergebnisse dieser Bewertung sollten umgehend veröffentlicht werden, einschließlich jeglicher Schlussfolgerungen in Bezug auf zivile Schäden und etwaiger Bemühungen in Reaktion auf die zivilen Opfer.

Kein rechtmäßiges militärisches Ziel

Die USA hätten wissen müssen, dass es sich bei der Einrichtung in Saada um eine Hafteinrichtung handelte, die von den Huthi seit Jahren dazu genutzt wird, um Migrant*innen festzuhalten, und dass das IKRK dort regelmäßig aktiv ist. Und ihnen hätte bewusst sein müssen, dass ein Luftangriff erhebliche Schäden für die Zivilbevölkerung zur Folge haben könnte. 

Amnesty International konnte auf dem angegriffenen Gelände in Saada kein rechtmäßiges militärisches Ziel ausmachen. Die De-facto-Behörden der Huthi lassen unabhängige Untersuchungen allerdings nur sehr eingeschränkt zu, was auch für den Zugang zu dem zweiten Ort gilt, der am 28. April angegriffen wurde. Dadurch konnte Amnesty International den Angriff nur bedingt untersuchen und kann auch die Möglichkeit, dass es militärische Ziele auf dem Gelände gab, nicht vollständig ausschließen. Angriffe, die nicht zwischen Zivilpersonen und zivilen Objekten einerseits und rechtmäßigen militärischen Zielen andererseits unterscheiden, auch innerhalb desselben Geländes, gelten als unterschiedslose Angriffe und verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht.

Satellitenbild des angegriffenen Gebiets vor dem Angriff © 2025 Planet Labs PBC
Satellitenbild des angegriffenen Gebiets vor dem Angriff © 2025 Planet Labs PBC
Satellitenbild des angegriffenen Gebiets nach dem Angriff © 2025 Planet Labs PBC
Satellitenbild des angegriffenen Gebiets nach dem Angriff © 2025 Planet Labs PBC

Zivilbevölkerung zahlt den Preis

Amnesty International analysierte Dutzende Videos und Fotos, die der von den Huthi kontrollierte Fernsehsender al Masira veröffentlicht hatte, sowie sieben Videos, die eine Privatperson weitergegeben hatte. Aus diesem digitalen Beweismaterial, das in den Trümmern verstreute Leichen zeigt, geht hervor, dass bei dem Luftangriff auf die Hafteinrichtung Dutzende zivile Migrant*innen verletzt und getötet wurden.

Nach Angaben des von den Huthi geleiteten Innenministeriums befanden sich zum Zeitpunkt des Angriffs 115 afrikanische Migrant*innen in der Haftanstalt, von denen 68 getötet und 47 verletzt wurden. Wenn diese Zahlen stimmen, wäre dies die höchste zivile Opferzahl, die bei einem einzigen Angriff durch das US-Militär seit einem Luftangriff in Mossul (Irak) im Jahr 2017 entstanden ist.

Am 27. April 2025, einen Tag vor dem Angriff, gab das US-Zentralkommando bekannt, dass es seit dem 15. März mehr als 800 Ziele im Jemen angegriffen habe und die Herausgabe von Informationen zu diesen Einsätzen aus Gründen der operativen Sicherheit bewusst einschränke.

US-Kongress sollte Schäden für Zivilbevölkerung minimieren

Wichtige Systeme, die in jüngsten Jahren eingeführt worden waren und auf Maßnahmen beruhten, die während der ersten Präsidentschaft von Donald Trump eingeleitet wurden, um Schäden an der Zivilbevölkerung bei militärischen Auslandseinsätzen der USA zu minimieren und besser zu bewältigen, sind nun unter der aktuellen Trump-Regierung gefährdet. Nachrichtenagenturen haben berichtet, dass Programme des Verteidigungsministeriums, die auf die Minderung und Wiedergutmachung ziviler Schäden abzielten, zurückgefahren werden, und dass der US-Präsident Befehlshaber*innen mehr Spielraum bei der Genehmigung bestimmter Luftangriffe und Spezialeinsätze eingeräumt hat. Außerdem hat Verteidigungsminister Pete Hegseth die obersten Militärjuristen, die für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts bei Militäreinsätzen zuständig waren, entlassen.

Die USA scheinen ihre Bemühungen zur Verringerung der Schäden an der Zivilbevölkerung bei tödlichen Auslandseinsätzen zurückzufahren. Gerade jetzt sollte der US-Kongress seine Aufsichtsfunktion wahrnehmen und Informationen über die bisherigen Untersuchungen zu diesen und weiteren Angriffen in jüngster Zeit verlangen.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Hintergrund: Neuerliche Angriffswelle des US-Militärs

Die neue Angriffswelle des US-Militärs unter der Regierung von Donald Trump begann am 15. März 2025, nachdem die Huthi am 11. März angekündigt hatten, ihre Angriffe auf israelische Schiffe, die das Rote und Arabische Meer passieren, wieder aufnehmen zu wollen. Sie reagierten damit auf die israelische Blockade von Hilfslieferungen im besetzten Gazastreifen.

Am 6. Mai gaben die USA bekannt, dass sie ihren Militäreinsatz gegen die Huthi im Jemen beenden würden.

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