Es gibt in mehreren Ländern eine alarmierende Zunahme an Meldungen über Gewalttaten gegen Frauen, insbesondere im häuslichen Umfeld. Neusten Daten der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind in vielen europäischen Ländern verglichen mit dem Vorjahr bis zu 60 Prozent mehr Notrufe abgesetzt worden. In einigen Ländern weisen die Behörden auf einen Rückgang bezüglich der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt hin. Dies liegt möglicherweise daran, dass es für Frauen, die mit den Tätern zusammenleben, schwieriger ist, solche Gewalttaten zur Anzeige zu bringen.
Auch vor COVID-19 zählten weitverbreitete Straflosigkeit und Hindernisse beim Zugang zu juristischer Unterstützung für Betroffene von geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt zu den größten Herausforderungen in der Region. Natürlich müssen Staaten angemessene Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ergreifen. Sie müssen dabei jedoch zwingend ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen, dafür zu sorgen, dass in allen Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden. Dies muss sowohl während der Ausgangssperren als auch nach Aufhebung der Einschränkungen gesichert sein.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Einige Länder haben spezifische Maßnahmen ergriffen, um auch während der Pandemie einen sicheren und zeitnahen Zugang zu essentiellen Leistungen, Mitteln und Informationen aus dem Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sicherzustellen. Doch in zahlreichen anderen Ländern ist dies nicht geschehen. Es scheint sogar so, als wollten einige Länder die geltenden Einschränkungen dazu nutzen, den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Rechten weiter zu untergraben oder zu beschränken.
Krankenhäuser und Kliniken haben die angebotenen Gesundheitsleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit auf ein Minimum reduziert oder gänzlich eingestellt. Unter anderem, weil Personal fehlt oder dieses an anderer Stelle eingesetzt wird. Vielerorts ist es sehr schwierig geworden, klinische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
Nach COVID-19
All dies passiert vor dem Hintergrund schlechter wirtschaftlicher Aussichten für Millionen von Frauen und Mädchen in Europa. Es steht zu befürchten, dass es nach dieser Krise sehr schlecht um die Lebensgrundlage vieler Frauen stehen wird. Dies betrifft besonders diejenigen, die im Bereich der Pflege oder im informellen Sektor tätig sind, und diejenigen, die bereits zuvor an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Die Rechte und Bedürfnisse von Frauen und Mädchen müssen bei den Reaktionen auf den Ausbruch von COVID-19 und darüber hinaus im Fokus stehen.
Frauen, die Mehrfachdiskriminierung und intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sind, wie Roma, Migrantinnen oder Asylsuchende, Sexarbeiterinnen, Frauen mit Behinderungen, Transfrauen und andere ausgegrenzte Frauen, sind in erhöhter Gefahr, ins Visier der Sicherheitskräfte und andere Behörden zu geraten und beispielsweise zum Ziel von ethnischem Profiling zu werden. Staaten müssen sicherstellen, dass Frauen nicht unverhältnismäßig stark unter ausgeweiteten Befugnissen der Polizei leiden.