Portland, USA: Eine Frau steht bei einem Protest vor dem ICE-Gebäude Behörden gegenüber © Jenny Kane / AP / picturedesk.com
Portland, USA: Eine Frau steht bei einem Protest vor dem ICE-Gebäude Behörden gegenüber © Jenny Kane / AP / picturedesk.com
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Dürfen die das? US-Behörden und das Recht auf Protest

20. Juni 2025

Wir erleben derzeit eine gezielte Aushöhlung der Menschenrechte durch die Regierung von Donald Trump, die Millionen Menschen gefährdet. Der Einsatz der Nationalgarde in Los Angeles ohne Ersuchen der lokalen Behörden verschärft die bereits weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen, die unter der Trump-Administration stattfinden, einschließlich rechtswidriger Verhaftungen, Masseninhaftierungen und Massendeportationen, Ausweisungen in gefährliche Gefängnisse in anderen Ländern, die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und die Abschiebung von Migrant*innen. Gemeinsam wehrt sich unsere globale Bewegung gegen diese Angriffe und verteidigt die Würde und die Rechte aller Menschen. 

Hier geht es nicht um den Schutz von Communities, sondern darum, abweichende Meinungen zu unterdrücken und Angst zu verbreiten. Bewaffnete Truppen haben in unseren Vierteln nichts zu suchen. Diese Militarisierung der Durchsetzung von Einwanderungsgesetzen und als Reaktion auf Menschen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, darf keinen Platz in einem Land haben, das behauptet, Gerechtigkeit und Menschenrechte zu schätzen.

Paul O'Brien, Geschäftsführer von Amnesty International USA

Protest ist ein unschätzbares Mittel, um solchem Vorgehen der Machthabenden zu begegnen. Im Laufe der Geschichte waren Proteste immer wieder die treibende Kraft hinter einigen der mächtigsten sozialen Bewegungen, die Unrecht und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt, Rechenschaft gefordert und dafür gesorgt haben, dass die Menschen ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht verlieren. Leider ist dieses kostbare Recht weltweit Angriffen ausgesetzt.

Als Menschenrechtsorganisation mit Erfahrung in der Beobachtung von Protesten auf der ganzen Welt sind uns zum Vorgehen der Behörden in den USA, insbesondere in Los Angeles, viele Fragen zugegangen. Die häufigste lautete: „Dürfen die Behörden das tun?“ Hier sind unsere Antworten auf einige der meistgestellten Fragen:

1. IST PROTEST EIN MENSCHENRECHT?

Mit ihrer Teilnahme an einem Protest nimmt eine Person eine Vielzahl universell anerkannter Menschenrechte wahr. Neben den Rechten auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung gehören dazu weitere Rechte, die wesentlich sind, um friedliche Proteste zu ermöglichen. Dazu gehören das Recht auf Leben, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Privatsphäre und das Recht, nicht willkürlich festgenommen und inhaftiert zu werden sowie das Folterverbot und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

Das Recht auf Protest ist daher nicht in einem einzigen Gesetz oder Abkommen kodifiziert, sondern wird im Rahmen internationaler Menschenrechtsnormen durch Bestimmungen geschützt, die in verschiedenen internationalen und regionalen Verträgen verankert sind und jedes dieser unterschiedlichen, aber sich gegenseitig stützenden Rechte garantieren. Sie alle zusammen bieten Protestierenden umfassenden Schutz. Die Antwort ist also: Ja, das Recht auf Protest ist ein Menschenrecht.

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2. DÜRFEN MILITÄRISCHE KRÄFTE ZUR ÜBERWACHUNG ZIVILGESELLSCHAFTLICHER PROTESTE EINGESETZT WERDEN?

Militärkräfte sind nicht zur Überwachung von Zivilist*innen vorgesehen. Mit dem Einsatz von Streitkräften oder der Anwendung militarisierter Polizeitaktiken wird ein erschreckender Präzedenzfall geschaffen, der Spannungen verschärft, weil er eine Atmosphäre der Einschüchterung und Angst erzeugt. Dies kann zu unnötiger Gewalt und zur Unterdrückung friedlicher Proteste führen. Darüber hinaus steigt dadurch die Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen wie der exzessiven Gewaltanwendung und der willkürlichen Festnahme von Protestierenden.

Militärkräfte sind für den Krieg ausgebildet und ausgerüstet und haben bei einer Demonstration nichts zu suchen. Demonstrationen liegen in der Zuständigkeit der Polizei, die für Maßnahmen zur Deeskalation, Schlichtung und den Schutz der Menschen ausgebildet sein soll. Militärangehörige sind nicht für den Umgang mit großen Menschenmengen oder in der Deeskalation ausgebildet und sollten auch nicht für diese Zwecke eingesetzt werden. Auch Mitarbeiter*innen der US-Behörde ICE und anderen Ordnungskräften, die mit der Durchsetzung von Einwanderungsbestimmungen betraut sind, fehlt es an der entsprechenden Ausbildung und Erfahrung. Dies hat sich vor nicht allzu langer Zeit deutlich gezeigt – man denke nur an die Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Proteste nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd.

Militärische Kräfte sind in der Regel nicht für die Wahrnehmung von Strafverfolgungsaufgaben geeignet. Sie sollten nur unter außergewöhnlichen und vorübergehenden Umständen auf der Grundlage einer eindeutigen Bedarfsbewertung hinsichtlich ihres Mehrwerts in einer bestimmten Situation zur Wahrnehmung solcher Aufgaben eingesetzt werden. Bei einem solchen Einsatz sind sie an den für die Strafverfolgung geltenden Rechtsrahmen einschließlich der nationalen und internationalen Menschenrechtsnormen gebunden und dürfen nur dann Strafverfolgungsaufgaben wahrnehmen, wenn sie ordnungsgemäß instruiert, ausgerüstet und geschult sind, um diesen Aufgaben auf rechtmäßige, menschenrechtskonforme Weise nachzukommen. Darüber hinaus sollten sie jederzeit einer zivilen Führung, Kontrolle und Aufsicht unterstehen.

Im Fall von Los Angeles geht es Präsident Trump bei der Mobilisierung der Nationalgarde und der US-Marines jedoch nicht um die öffentliche Sicherheit, sondern darum, Angst zu schüren und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. 

3. DÜRFEN DIE BEHÖRDEN GUMMIGESCHOSSE GEGEN PROTESTIERENDE EINSETZEN?

Gummi- und Schaumstoffgeschosse dürfen nur als letztes Mittel im Falle einer unmittelbaren, schweren Gefahr eingesetzt werden. In den USA wird der Einsatz von Gummigeschossen zur Unterdrückung friedlicher Proteste jedoch immer häufiger.

Amnesty International hat weltweit zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen der Missbrauch von Gummi- und Schaumstoffgeschossen zu schweren Verletzungen und Todesfällen bei Demonstrierenden geführt hat. Diese Waffen werden häufig wahllos auf die Köpfe von Personen oder auch aus nächster Nähe abgefeuert, was zu dauerhaften Behinderungen wie Blindheit, zu Schädelfrakturen und inneren Verletzungen führt.  

4. DARF DIE POLIZEI TRÄNENGAS GEGEN PROTESTIERENDE EINSETZEN?

Tränengas oder andere chemische Reizstoffe sollten niemals gegen Menschen eingesetzt werden, die friedlich protestieren.

Man will uns glauben machen, dass es sich bei Tränengas um eine sichere Methode zur Auflösung gewalttätiger Proteste handelt. Viele Sicherheitskräfte sind mittlerweile mit Tränengas als sogenannter „weniger tödlicher“ („less lethal“) Ausrüstung ausgestattet – Waffen, die als Alternative zu Schusswaffen dienen. Diese Waffen werden deshalb als „weniger tödlich“ und nicht als „nicht tödlich“ bezeichnet, weil sie zwar nicht zum Töten gedacht sind, ihre Wirkung aber trotzdem tödlich sein kann. Die Ausstattung mit Tränengas kann zwar bedeuten, dass die Polizei nicht auf den Einsatz schädlicherer Waffen zurückgreifen muss. In der Praxis setzen Polizeikräfte Tränengas jedoch auf eine Weise ein, für die es nie vorgesehen war, und zwar oft in großen Mengen gegen weitgehend friedliche Demonstrierende, indem sie Geschosse direkt auf Menschen abfeuern oder indem sie Tränengas in engen Räumen oder in Situationen einsetzen, in denen es den Menschen nur schwer möglich ist, sich zu zerstreuen.

In manchen Fällen kann der Einsatz von chemischen Reizstoffen zu schweren Verletzungen führen oder den Tatbestand von Folter oder anderer Misshandlung erfüllen. Nähere Informationen zu unseren Recherchen über Tränengas findest du hier.

5. WAS IST, WENN ES BEI PROTESTEN ZU GEWALTTÄTIGEN AUSSCHREITUNGEN KOMMT?

Die Gewalt einiger weniger Personen sollte nie dazu führen, dass gegen das Recht friedlicher Protestierender auf Versammlungsfreiheit verstoßen wird. Wenn eine kleine Minderheit versucht, eine friedliche Versammlung gewaltsam eskalieren zu lassen, sollten Ordnungskräfte die friedlichen Demonstrierenden schützen und die Ausschreitungen einiger kleiner Gruppen nicht als Vorwand nutzen, um die Ausübung der Menschenrechte einer Mehrheit einzuschränken oder sie zu verhindern. Menschen, die andere Menschen über ihre Rechte aufklären oder friedlich Maßnahmen zur Durchsetzung von Einwanderungsbestimmungen stören, sind nicht per se gewalttätig. Diese Handlungen fallen unter das Recht der Menschen auf Protest.

Wenn eine kleine Gruppe innerhalb eines größeren, friedlicheren Protests Gewalttaten und Vandalismus begeht, kann die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Organisierenden des Protests Ordnungskräften helfen, jene zu identifizieren, die Gewalttaten begehen, um diese gezielt herauszusuchen.

Die Entscheidung zur Auflösung einer Versammlung sollte nur als letztes Mittel und im Einklang mit den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit getroffen werden, um die öffentliche Ordnung vor einem drohenden Gewaltrisiko zu schützen. Wenn ein (rechtmäßiger) Beschluss zur Auflösung einer Versammlung gefasst wurde, muss die Auflösungsanordnung klar kommuniziert und begründet werden, um sich weitestmöglich des Verständnisses und der Zustimmung der Demonstrierenden zu versichern. Es muss genügend Zeit für die Auflösung des Protests gewährt werden.

Es sollte keine Gewalt eingesetzt werden, um die (vermeintliche oder unterstellte) Nichteinhaltung einer Anordnung oder auch die Teilnahme an einer Versammlung zu bestrafen. Festnahmen und Inhaftierungen sollten in Übereinstimmung mit den gesetzlich vorgesehenen Verfahren erfolgen. Sie dürfen nicht als Mittel dienen, um die friedliche Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung zu verhindern oder diese zu bestrafen.

6. WAS MACHT AMNESTY INTERNATIONAL?

Amnesty International beobachtet die Proteste in den USA und die Reaktion von bundesstaatlichen Behörden und US-Regierung sehr genau. Unser Research-Team verbindet einzelne Zeug*innenaussagen mit Standortdaten, Fotos und Videos aus Nachrichtenquellen und Sozialen Medien sowie Erkenntnissen aus Fernerkundung, Crowdsourcing und Data Science, um Menschenrechtsverletzungen nachzugehen und die Wahrheit herauszufinden.

Nach den Black-Lives-Matter-Protesten im Jahr 2020 hat Amnesty International 125 separate Vorfälle von Polizeigewalt gegen Demonstrierende in 40 Bundesstaaten und in Washington D.C. dokumentiert, die von Angehörigen staatlicher und lokaler Polizeibehörden sowie von Angehörigen der Nationalgarde und Sicherheitskräften mehrerer Bundesbehörden allein in den ersten zehn Tagen nach der Festnahme, Folterung und außergerichtlichen Hinrichtung von George Floyd durch Polizeibeamte aus Minneapolis begangen wurden. Zu den dokumentierten Menschenrechtsverstößen gehörten Schläge, der missbräuchliche Einsatz von Tränengas und Pfefferspray und der unangemessene und teils wahllose Abschuss von „weniger tödlichen“ Projektilen wie Schaumstoff- und Gummigeschossen gegen Protestierende, Journalist*innen, juristischen Beobachter*innen und Rettungssanitäter*innen.

Im Rahmen dieser Bemühungen haben wir alle Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, ihre Richtlinien und Praktiken für die polizeiliche Bekämpfung von Protesten zu überarbeiten und die internationalen Menschenrechtsstandards einzuhalten. Dazu haben wir ein Dokument mit Bewährten Praktiken für Ordnungskräfte auf Demonstrationen veröffentlicht.

Der Demo-Guide von Amnesty International Österreich liefert dir außerdem Informationen zu deinem Recht auf Protest:

KENNST DU DEINE RECHTE AUF DEMOS?
DER AMNESTY DEMO-GUIDE

Amnesty International dokumentierte auch in Österreich, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde und die Polizei unverhältnismäßige Gewalt- und Zwangsmaßnahmen einsetzte. Auch in Österreich können Menschen auf Demos in schwierige oder sogar gefährliche Situationen geraten. Wir beobachten seit Jahren, dass unverhältnismäßige Polizeigewalt – auch bei friedlichen Protesten – in Österreich ein massives Problem darstellt. Und sie bleibt meist folgenlos. Seit Jahren beobachten wir eine häufig vorkommende Ursache dafür: Sogar wenn Fehlverhalten klar festgestellt wird, kann der*die Täter*in oftmals nicht identifiziert werden.

Wir fordern daher, dass Polizist*innen im Dienst klar identifizierbar sein müssen! Nur dann können Ermittlungen wirksam sein und vor Straflosigkeit schützen.

7. WAS KANNST DU TUN?

Das Recht auf friedlichen Protest ist ein Menschenrecht. Aber aktuell geht es um mehr als nur einen Protest. Es geht darum, dass wir nicht zulassen, dass die Angst uns zum Schweigen bringt, egal ob in den USA, in Österreich oder weltweit. Es geht darum, das Asylrecht zu verteidigen und unsere Nachbar*innen vor massenhaften Menschenrechtsverletzungen zu schützen.

Wir müssen jetzt handeln, um das Recht auf friedlichen Protest zu verteidigen und zu verhindern, dass solche Menschenrechtsverstöße zur neuen Normalität werden. Nutze deine Stimme! Teile diesen Artikel mit Freund*innen und Familie, und sprich über das Recht auf Protest. Unterzeichne unsere Petition, in der wir uns gemeinsam für eine moderne Polizeiarbeit in Österreich einsetzen und eine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen fordern:

FORDERE EINE KENNZEICHNUNGSPFLICHT FÜR POLIZIST*INNEN!

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