Doch selbst wenn die reichen Staaten sich nicht übermäßig mit Impfstoffdosen eingedeckt hätten, wäre es für viele der einkommensschwachen Staaten nicht möglich gewesen, ausreichend Impfstoffe zu kaufen. Denn die die großen Pharmafirmen verkauften ihre Impfstoffe zu überhöhten Preisen und liefer(te)n im Extremfall gar nicht erst an ärmere Länder.
Manch eine*r stellt sich jetzt vielleicht die Frage, wie das möglich ist, wo die Forschung und Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe doch großteils aus öffentlichen Geldern finanziert wurde. Nun, in der gebotenen Eile wurden die benötigten Gelder ohne daraus folgende Verpflichtungen für die Pharmafirmen vergeben. Es hat sich herausgestellt, dass sich mit den COVID-19-Impfstoffen gutes Geld verdienen lässt, wie die Bilanzen von Pharmafirmen wie Pfizer, Moderna und Biontech zeigen.
Keine Verpflichtungen? Nicht ganz!
Freiwillige Initiativen wie der von der WHO initiierte C-TAP, über den Pharmaunternehmen ihre Rezepturen und ihr Know-How teilen könnten, blieben ungenutzt. Weltweite Bemühungen, Ausnahmeregelungen für geistiges Eigentum zu erwirken, werden nach wie vor von einzelnen reichen Staaten und Regionen blockiert (richtig geraten: die EU ist hier eine wichtige Hürde).
Wenn Pharmafirmen ihr Wissen und ihre Technologien teilen, können Impfstoffe nicht nur schneller, sondern auch direkt dort, wo man sie benötigt, produziert werden. Die notwendige Infrastruktur findet sich auf allen Kontinenten. Wir hätten also eine reale Chance, dass die Pandemie bald für uns alle vorbei sein wird. Auch wenn es keine verbindlichen Verpflichtungen bei der Vergabe der Forschungsgelder gab, handelt es sich hierbei nicht um eine Wohltätigkeit der Firmen, sondern um ihre menschenrechtliche Verpflichtung. Ebenso wie jedes andere Unternehmen – insbesondere international und global agierende Unternehmen – müssen auch Pharmafirmen die Menschenrechte achten. Ihr Tun darf nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen oder solche verschärfen. Die Erfahrungen der letzten 18 Monate zeigen uns, dass eine Vielzahl von Menschenrechten von der Pandemie direkt oder indirekt betroffen sind: angefangen beim Recht auf Gesundheit und Leben bis hin zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, die durch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie bedroht sind.
Derzeit können die Produktionsstätten der wenigen Herstellerfirmen von COVID-19-Impfungen nicht rasch genug produzieren, um weltweit genug Impfdosen für alle Menschen zu sichern. Eine Ausweitung der Produktionskapazitäten wäre möglich. Sei es in der EU, in Südafrika, Nigeria, Brasilien oder Indien: Weltweit wären gut vier Dutzend Unternehmen in der Lage, COVID-19-Impfstoffe zu produzieren. In Indien werden bereits jetzt Impfstoffe nach hohen Qualitätskriterien für den Rest der Welt hergestellt.
Das Recht auf Gesundheit von Millionen Menschen zu sichern, ist keine Frage der Machbarkeit, sondern einzig und allein eine Frage des Willens. Wenn die großen Hersteller-Firmen Leben retten wollen, können sie gleich heute damit anfangen – indem sie endlich Menschenleben über Profite stellen. Deshalb dürfen wir nicht müde werden, sie an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Es müssen ausreichend COVID-19-Impfstoffe und Medikamente für alle Menschen weltweit verfügbar gemacht werden. Auch wenn es für uns in unserem Alltag nicht sichtbar ist, bleibt die Pandemie eine globale Krise. Wir werden sie nur lösen, wenn wir auf globale Zusammenarbeit setzen und, wenn alle Menschenrechte auch wirklich für alle Menschen gelten.
Amnesty International fordert die großen Pharmafirmen auf, bis Ende des Jahres 2021 2 Milliarden Dosen Impfstoffe für Menschen in einkommensschwachen Ländern zur Verfügung zu stellen. Die Zeit läuft. Noch ist es nicht zu spät.
**Quelle: Our World in Data. Stand: 21. Oktober 2021