Mikita Zalatarou, 16 Jahre alt, wollte am Tag nach der Präsidentschaftswahl im August 2020 einen Freund von der Busstation abholen, als plötzlich eine Gruppe von Demonstrant*innen an ihm vorbeirannten. Aus Angst um seine eigene Sicherheit begann Mikita in dieselbe Richtung zu laufen. Am nächsten Tag stand die Polizei vor seiner Haustür und nahm ihn ohne jegliche Begründung auf die lokale Polizeistation mit. Sechs Stunden wurde er dort allein ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und seinen Eltern festgehalten. Als er schließlich doch seine Mutter sehen durfte, wurde er sofort ohnmächtig und musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Als er dort schließlich zu Bewusstsein kam, erzählte er den Ärzt*innen und seinen Eltern, dass die Polizei ihn geschlagen und misshandelt hat, um ihn zu zwingen, das Passwort für sein Telefon zu verraten. Nicht einmal eine Stunde nach dieser Aussage wurde er ohne Umwege wieder in Polizeigewahrsam genommen. Zehn Tage nach diesem Zwischenfall wurde Mikita in die Untersuchungshaftanstalt Nr. 3 verlegt, mit der Begründung, dass er unter Verdacht stehe, einen Molotov-Cocktail auf einen Polizisten geworfen zu haben. In einer Anhörung berichtete er seinem Vater, dass er gezwungen wurde, Namen von weiteren Aktivist*innen bekannt zu geben. Als er dies nicht tat, reagierten die Polizisten mit Gewalt und Elektroschocks. Mikita leidet an Epilepsie und wurde aufgrund seines Gesundheitszustands zu Hause unterrichtet. Vor seiner Verhaftung hatte er seit zwei Jahren keine Anfälle mehr und musste auch keine Medikamente mehr nehmen. Seit seiner Inhaftierung ist er wieder auf Medikamente angewiesen.
Was diese zwei Jugendlichen erleben mussten, sind nur zwei Beispiele, die das Ausmaß der Gewalt und Repression, die Belarus momentan beherrscht, greifbar machen. Diese zwei Jugendlichen sind mehr oder weniger in meinem Alter und einzig unser Geburtsort unterscheidet, ob wir unter Lebensgefahr für unsere Rechte kämpfen müssen oder ob wir privilegiert genug sind, in Sicherheit über diese Missstände zu informieren.
Bei den jungen Menschen in Belarus ist eines deutlich zu spüren: Das Gefühl der vollkommenen Verzweiflung. In einer Schule aufzuwachsen, in der maskierte Personen einem die einzig „richtige“ politische Meinung eintrichtern, in einer Umgebung zu leben, in der Kinder ihren Eltern wegen politischem Engagement aus „Sicherheitsgründen“ weggenommen werden, angedroht zu bekommen keine akademische und berufliche Zukunft zu haben, weil man sich für die falsche Seite engagiert, all dies verursacht vollkommene Verzweiflung. Doch diese Generation, die nichts anderes kennt, die nichts anderes kennenlernen wird, wenn sich nicht bald etwas ändert, ist diejenige, die aus dieser Verzweiflung Mut geschöpft hat, um für ihre Rechte zu kämpfen. Das ist die Generation, die im August 2020 Lukaschenko gezeigt hat, dass das gefälschte Wahlergebnis nicht länger einfach so akzeptiert wird. Und diese Verzweiflung ist ein starkes Mittel, besonders wenn sie, so wie in Belarus, von vielen geteilt wird. Doch sie ist nicht allmächtig.