Protest vor dem Supreme Court: Demonstrierende fordern Recht auf Zugang zu Schwangerschaftsabbruch © Jose Luis Magana / Picturedesk
Protest vor dem Supreme Court: Demonstrierende fordern Recht auf Zugang zu Schwangerschaftsabbruch © Jose Luis Magana / Picturedesk
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3 Jahre nach dem Fall von Roe v. Wade: Der Kampf um reproduktive Selbstbestimmung in den USA

24. Juni 2025 | Von Ronya Alev, Advocacy Officer bei Amnesty International Österreich

Am 24. Juni 2022 hob der Oberste Gerichtshof der USA das verfassungsmäßig gesicherte Recht auf Zugang zu Schwangerschaftsabbruch auf und machte die reproduktive Selbstbestimmung amerikanischer Frauen zum Spielball der Politik. Seitdem entscheiden die einzelnen Bundesstaaten, ob und unter welchen Bedingungen Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sind.

Strikte Verbote und rechtliche Unsicherheit in vielen US-Bundesstaaten

Statt eines einheitlichen Rechtsrahmens, der Schwangerschaftsabbrüche als ein Recht sowie als Teil der Gesundheitsversorgung begreift, offenbart sich ein Fleckerlteppich aus Verboten und restriktiven Fristen. In dreizehn Bundesstaaten gelten faktische Totalverbote, in etlichen weiteren stehen schwangere Personen unter dem Damoklesschwert möglicher Verschärfungen, bzw. Kriminalisierung. In einigen Bundesstaaten sind Schwangerschaftsabbrüche nur bis zur 6. Woche erlaubt, was Schwangerschaftsabbrüche für viele faktisch unmöglich macht.

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Ronya Alev

Advocacy Officer bei Amnesty International Österreich

Ronya Alev

Advocacy Officer bei Amnesty International Österreich

Ronya Alev ist Advocacy Officer bei Amnesty International Österreich und arbeitet unter anderem zu reproduktiven Rechten.

Wer heute in Staaten wie Mississippi oder Texas lebt, erlebt, wie ungleiche Voraussetzungen die Freiheit zu entscheiden aushöhlen. In Mississippi hat ein Monat nach der Entscheidung des Obersten Gerichts die letzte Klinik geschlossen, die Schwangerschaftsabbrüche anbot. Wer nicht über ausreichende Mittel verfügt, um weite Strecken zurückzulegen, bleibt auf sich allein gestellt. Infolge der dortigen restriktiven Vorschriften ist die geburtsbezogene Sterblichkeit drastisch gestiegen. So ist beispielsweise die geburtsbezogene Sterblichkeit nach dem Verbot in Texas im Jahr 2022 um 56 Prozent gestiegen - eine Ungerechtigkerit, die insbesondere Schwarze und einkommenschwache Frauen betrifft. 

Schwanger nach einer Vergewaltigung und allein gelassen vom Staat

Doch hinter den nüchternen Statistiken verbergen sich unzählige Einzelschicksale, wie mehrere Berichte von Amnesty International dokumentieren: Sheila aus Mississippi etwa konnte sich kein Hormonimplantat leisten, als sie eigentlich ein neues brauchte. Im Sommer 2022 wurde sie ungewollt schwanger, und nachdem alle Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche in ihrem Bundesstaat geschlossen wurden, fehlte ihr das Geld, um in einen anderen Staat zu reisen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Schwangerschaft auszutragen.

Auch der Fall der zwölfjährigen Kim ist schockierend. Sie wurde schwanger nachdem sie vergewaltigt wurde. Eine Ausnahme für Schwangerschaftsabbrüche nach Vergewaltigung in Mississippi ist auf dem Papier zwar möglich – doch ohne verbindliche Verfahren, ohne Ärzt*innen vor Ort und ohne staatliche Hilfsprogramme verblasste selbst diese „Alternative“. So wurde also auch diesem jungen Mädchen der Schwangerschaftsabbruch verwehrt und sie begann die siebte Schulstufe von zu Hause aus. 

Während die gesundheitliche Versorgung für viele zur Utopie wird, florieren sogenannte „Crisis Pregnancy Centers”: unregulierte Einrichtungen, die Schwangere mit vermeintlichen Informationen unterstützen wollen, die jedoch ideologisch fundiert sind und zum Ziel haben Zeit zu schinden und Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abzubringen. So erfuhr Jennifer aus Ohio zu spät von den wahren Hintergründen solcher Beratungsstellen, verpasste die staatlich festgelegte Frist und sah sich gezwungen, auf unsichere und selbst organisierte Methoden des Abbruchs zurückzugreifen und damit ihr Leben zu gefährden. Schon lange vor dem Urteilsfall von Dobbs, welches Roe v. Wade letztendlich aufhob, haben international organisierte Anti-Abortion-Akteur*innen darauf hingearbeitet, Restriktionen im Bereich von Schwangerschaftsabbrüchen nach Europa zu exportieren.

So unterstützt laut der britischen Zeitung The Guardian die US-amerikanische Lobbygruppe Alliance Defending Freedom, die in den USA lange für die Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch gekämpft hat, auch Klagen gegen Klinikschutzzonen in London. Schon lange vor dem Urteilsfall von Dobbs, welches Roe v. Wade letztendlich aufhob, haben international organisierte Anti-Abortion-Akteur*innen darauf hingearbeitet, Restriktionen im Bereich von Schwangerschaftsabbrüchen nach Europa zu exportieren. 

Initiativen für das Recht, selbst zu entscheiden – sichere Abbrüche für alle in Europa

Vor dem Hintergrund dieser prominenten Angriffe auf die Rechte von Frauen mahnt in Brüssel das Europäische Parlament: Anti-Abortion-Gruppen mobilisieren weltweit Millionen, um hart erkämpfte Rechte zurückzufahren. Gleichzeitig fordert die Initiative „My Voice My Choice“, die bereits über 1,2 Millionen Unterschriften aus ganz Europa gesammelt hat, die Europäische Kommission auf, Maßnahmen zu setzen, damit alle schwangeren Menschen in Europa Zugang zu leistbaren und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen erhalten.

In Österreich steht mit § 97 des Strafgesetzbuchs zwar ein (vermeintlich) vergleichsweise fortschrittlicher Rahmen: Innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn einer Schwangerschaft ist ein Abbruch straffrei möglich, ohne verpflichtende externe Beratung und ohne verpflichtende Wartezeiten. Doch auch in Österreich gibt es politische Forderungen, die bereits Züge zunehmender Restriktionen beinhalten: Zwangsberatungen, vorgeschriebene Bedenkzeit und sowie das Inabredestellen von Schwangerschaftsabbrüchen als Gesundheitsleistung, die die Selbstbestimmung von Schwangeren gefährden.

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stellt Betroffene vor schwere Probleme und Unsicherheiten

Die Lehren aus dem amerikanischen Backlash auf Frauenrechte sind klar: Wer Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert, beendet sie nicht, sondern treibt Menschen in die Unsicherheit – und im extremen Fall gar in den Tod.

Nicht zuletzt deshalb gilt es, Menschenrechte wie das Recht auf sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen stetig – auch in Europa – zu verteidigen und trotzdem das weiter auszubauen, was lange als selbstverständlich galt: ein Recht, das nicht von der Willkür einzelner Parlamente abhängen darf, eine Gesundheitsversorgung, die auf Vertrauen und Respekt basiert. Ärzt*innen und Hebammen dürfen nicht Zielscheibe menschenrechtsfeindlicher Angriffe werden, die sie ausbremsen sollen. 

Das Recht auf sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Menschenrecht, welches es zu beschützen und zu verteidigen gilt

Wir müssen uns gegen den drohenden Backlash gegenüber reproduktiven Rechten rüsten. Es darf nicht infrage gestellt werden, dass es sich beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen um eine essenzielle Gesundheitsleistung handelt. Menschenrechtliche Prinzipien gilt es immer und überall aufrechtzuerhalten und dürfen nicht ideologisch zerpflückt werden.

Die USA haben uns auf schmerzhafte Weise vor Augen geführt, wohin ein rückschrittlicher Kurs führt: zu Ungleichheit, zu Leid und zu einer politischen Instrumentalisierung von Frauen und alle Personen, die schwanger werden können. In Europa jedoch dürfen wir nicht zögern. Selbstbestimmung ist kein Luxus, den sich manche leisten können und andere nicht, sondern ein Menschenrecht. Es liegt an uns, diesen Kurs zu halten, statt im Schatten vergangener Kämpfe zurückzufallen.

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