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Keine einzige mehr! Wie Aktivistinnen in Polen für legale Schwangerschaftsabbrüche kämpfen

7. März 2022
von Flora Bachmann, Aktivistin im Netzwerk Frauenrechte

Polen schränkt schrittweise die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen ein. Doch Frauenrechtsaktivistinnen kämpfen weiterhin dagegen an. Ihr mutiger Einsatz – aller Rückschläge zum Trotz – macht mir Hoffnung auf eine Welt, in der jede Frau selbstbestimmt über ihren Körper entscheidet, eine Welt, in der unsere Rechte und unsere Leben geschützt werden.


Polen, 22. Oktober 2020
: Ein Datum, das Aktivist*innen wie ich in ganz Europa – aber vor allem in Polen – nicht so leicht vergessen werden. An diesem Tag traf das polnische Verfassungsgericht ein Urteil, das legale Schwangerschaftsabbrüche praktisch verbietet.

Rechtliche Situation

Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in ganz Europa. Zusammen mit Malta ist es einer von nur zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in denen Abbrüche auf Verlangen oder aus allgemeinen sozialen Gründen nicht straffrei sind. Mit dem Urteil im Oktober 2020 entfiel einer der wenigen straffreien Gründe für einen Abbruch nach dem bereits äußerst restriktiven polnischen Recht. Mehr als 90 Prozent der zuvor legal durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche sind seither verboten. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann erlaubt, wenn das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Person gefährdet ist oder wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung resultiert.

Flora Bachmann Aktivistin im Netzwerk Frauenrechte von Amnesty International Österreich

Flora Bachmann ist Aktivistin im Netzwerk Frauenrechte von Amnesty International Österreich und setzt sich seit vielen Jahren für Frauen und ihre Rechte ein. Seit zwei Jahren ist sie Sprecherin des Netzwerks. Sie absolviert derzeit einen Master in Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet als Campaignerin.

Monatlich 800 Hilferufe schwangerer Frauen

In der Praxis ist es jedoch für diejenigen, die Anspruch auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch haben, fast unmöglich, einen solchen zu erhalten. Aktivist*innen und Frauenrechtsgruppen berichteten, dass das Urteil eine erhebliche abschreckende Wirkung hatte, da Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollten und medizinisches Fachpersonal Konsequenzen befürchten. Polnische Frauen, insbesondere solche in schwierigen sozioökonomischen Situationen, sind auf die entscheidende Hilfe von Organisationen der Zivilgesellschaft angewiesen, die oft nur über begrenzte Mittel verfügen.

Die Organisation „Schwangerschaftsabbruch ohne Grenzen“ hilft Frauen in europäischen Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche illegal sind oder der Zugang zu ihnen stark eingeschränkt ist. Sie berichtete, dass sich in den sechs Monaten nach dem Urteil 17.000 Frauen in Polen an sie wandten, um Hilfe beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erhalten und dass sie weiterhin etwa 800 Anrufe pro Monat erhalten.

Trotz vieler Rückschläge bei sexuellen und reproduktiven Rechten, etwa in Polen, Ungarn und der Slowakei, lassen sich Aktivist*innen weltweit nicht unterkriegen. Ihre Erfolge, etwa in Argentinien und Kolumbien, geben mir Hoffnung für die Zukunft.

Flora Bachmann Aktivistin im Netzwerk Frauenrechte von Amnesty International Österreich

Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist für Frauen Lebensgefährlich

Wir wissen schon lange, dass Einschränkungen oder ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen diese nicht verringert, sondern Frauen bzw. Personen mit Uterus dazu zwingt, auf unsichere und illegale Abbrüche auszuweichen. Aktuelle Fälle in Polen, El Salvador und den USA zeigen uns die Auswirkungen dieser restriktiven Gesetzgebung. Die Regierungen versagen dabei, die Betroffenen vor Diskriminierung zu schützen und rauben ihnen ihr Recht auf körperliche Autonomie. 

Gesetze, die den Schwangerschaftsabbruch einschränken oder kriminalisieren, verhindern ihn also nicht, sondern bringen die Menschen vielmehr dazu, den Abbruch mit Mitteln durchzuführen, die ihre psychische und physische Gesundheit gefährden und ihre Autonomie und Würde beeinträchtigen. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat erklärt, dass Staaten im Rahmen ihrer Verpflichtung, das Recht auf Leben von Schwangeren zu schützen, keine strafrechtlichen Sanktionen gegen Personen, die sich einem Abbruch unterziehen, oder gegen medizinische Dienstleister*innen, die ihnen dabei helfen, verhängen sollten.

Das Urteil in Polen löste im Land die größten öffentlichen Proteste seit Jahrzehnten aus: Die sogenannten „Strajk Kobiet“ (Frauenstreiks). In ganz Polen sind seither tausende Aktivist*innen auf den Straßen, um regelmäßig für ihre Rechte zu kämpfen. Doch die Gegenseite ist mächtig: Laut Aktivist*innen schürt die Rhetorik der Regierung und die Medienkampagnen, die sie und ihre Arbeit verleumden, Fehlinformationen und Hass, die ihre Sicherheit gefährden können. Auch Marta Lempart, Mitbegründerin des „Ognopolski Strajk Ko-biet“ (Gesamtpolnischer Frauenstreik) ist Ziel wiederholter Drohungen, weil sie Demonstrationen für legale Schwangerschaftsabbrüche und Frauenrechte anführt. Mehrere Frauenrechtsverteidigerinnen wurden bereits inhaftiert, sehen sich mit politisch motivierten Strafanzeigen konfrontiert oder erhielten Bomben- und Todesdrohungen. Die Polizei spiele in vielen Fällen die Sicherheitsrisiken herunter und leite entweder keine Ermittlungen ein oder verfolge sie nicht wirksam. Bisher wurde nur ein Mann festgenommen. Er versandte Todesdrohungen gegen Lempart. Sie wird bei öffentlichen Auftritten mittlerweile von der Polizei geschützt.

Ein Jahr danach

Während Aktivist*innen Proteste und Aktionen organisieren und damit für ihre Rechte einstehen, wird im polnischen Parlament weiter versucht, sexuelle und reproduktive Rechte einzuschränken. Anfang Dezember 2021 wurde über einen Gesetzesentwurf debattiert, der einen „Stopp der Schwangerschaftsabbrüche“ forderte. Dieser sollte den Schwangerschaftsabbruch rechtlich mit Tötung gleichsetzen. Der Entwurf wurde schließlich abgelehnt. Er wird jedoch nicht der letzte dieser Art sein.

Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Urteils von 2020 hat es weiterhin verheerende Auswirkungen auf das Leben von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen. Es hat die extremen Hürden noch weiter erhöht und für viele von ihnen und ihre Familien tragische Folgen gehabt.

Erst letzten September wurde eine Frau ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem in der 22. Schwangerschaftswoche ihre Fruchtblase geplatzt war. Ihr wurde sowohl ein Abbruch als auch ein Kaiserschnitt verweigert. Das Krankenhaus berief sich dabei auf die Gesetze des Landes. Die Frau verstarb. Ihr Tod löste Entsetzen aus und brachte in Warschau Zehntausende Menschen auf die Straße, die mit dem Protestmarsch Ani Jednej Więcej (Keine einzige mehr) ein Ende der gefährlichen Einschränkung reproduktiver Rechte forderten. Denn der Tod von Izabela ist nicht der einzige Fall, in dem das medizinische Personal lebensnotwendige Eingriffe aufgrund der Befürchtung von strafrechtlichen Sanktionen verweigerte. Seit dem Inkrafttreten des Urteils am 27. Jänner 2021 haben sich mehr als 1.000 Frauen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt, um ihre Rechte einzufordern, das äußerst restriktive polnische Gesetz zu Schwangerschaftsabbruch anzufechten und Gerechtigkeit zu erlangen. Die Klägerinnen machen geltend, dass das polnische Abtreibungsgesetz ihnen schweren Schaden zufügt und gegen ihr Recht auf Privatsphäre und Freiheit von Folter und anderer Misshandlung verstößt. Es wird erwartet, dass der Gerichtshof über einige dieser Fälle entscheiden wird.

EU ist gefordert, Frauenrechte zu schützen

„Die extremen Einschränkungen der Schwangerschaftsabbrüche sind Teil eines umfassenderen Angriffs der polnischen Regierung auf die Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Frauen und LGBTIQ* Personen, sowie auf die Rechtsstaatlichkeit“, sagte Marta Lempart. „Es sollte alle Europäer*innen alarmieren, dass dies in ihrem eigenen Hinterhof geschieht, obwohl die europäischen Regierungen behaupten, in Bezug auf Frauenrechte und demokratische Werte führend zu sein.“

Die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten müssen sich dringend mit Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und deren Auswirkungen auf die Menschenrechte von Frauen in Polen, einschließlich ihrer reproduktiven Rechte, befassen. Politische Entscheidungsträger*innen dürfen die vielen mutigen Aktivist*innen, die sich unermüdlich für Frauenrechte einsetzen, jetzt nicht im Stich lassen. Trotz vieler Rückschläge bei sexuellen und reproduktiven Rechten, etwa in Polen, Ungarn und der Slowakei, lassen sich Aktivist*innen weltweit – das Netzwerk Frauenrechte in Österreich eingeschlossen – nicht unterkriegen und bleiben weiterhin laut. Ihre Erfolge, etwa in Argentinien, Kolumbien und der Dominikanischen Republik, geben mir Hoffnung für die Zukunft – und neuen Antrieb, weiterzumachen und meine Stimme für Frauen und ihre Rechte zu erheben.

Titelbild: Der Protestmarsch Ani Jednej Więcej (Keine einzige mehr) wurde durch den tragischen Tod von Izabela ausgelöst, die an einer Blutvergiftung starb, als ihr im Krankenhaus in Pszczyna ein Schwangerschaftsabbruch verweigert wurde. Zehntausende versammelten sich in Warschau, um vom Verfassungsgericht, das das Verbot vor einem Jahr eingeführt hatte, zum Gesundheitsministerium zu marschieren.