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Kasachstan: Behörden müssen willkürlich inhaftierte Demonstrierende freilassen

13. Jänner 2022

Zusammenfassung

  • Informationen stark eingeschränkt, Journalist*innen aufgrund ihrer Berichterstattung verfolgt
  • Große Besorgnis über willkürliche Festnahmen und Behandlung von Inhaftierten
  • Zahl der Todesopfer noch immer unbekannt 

Die kasachischen Behörden müssen die Journalist*innen und Aktivist*innen freilassen, die wegen ihrer Berichterstattung über die landesweiten Massenproteste letzte Woche willkürlich festgenommen wurden. Außerdem müssen sie Informationen über alle Festnahmen im Zusammenhang mit den Protesten zur Verfügung stellen und die Menschenrechte aller Inhaftierten gewährleisten, fordert Amnesty International. Die Zahl der seit Beginn der Proteste am 2. Jänner festgenommenen Personen erreicht nach offiziellen Regierungsangaben inzwischen fast 10.000. 

Auch diejenigen unter den Inhaftierten, die gegen die unangemessen restriktiven kasachischen Versammlungsgesetze verstoßen haben sollen und somit keine international anerkannte Straftat begangen haben, müssen ebenfalls unverzüglich freigelassen werden. Sie sind völlig willkürlich inhaftiert.

Amnesty International forderte die kasachischen Behörden außerdem auf, eine wirksame und unparteiische Untersuchung aller gemeldeten Menschenrechtsverletzungen – einschließlich der Anwendung tödlicher Gewalt durch die Sicherheitskräfte – anzuordnen und auch angesichts der Unruhen die Menschenrechte zu achten. 

„Die Lage in Kasachstan scheint sich zwar beruhigt zu haben, aber die Krise ist noch lange nicht vorbei. Nichts ist jetzt wichtiger als der freie Zugang zu unabhängigen Informationen, die volle Rechenschaftspflicht für das Vorgehen und die Verpflichtung, die Menschenrechte auch in Zukunft zu achten“, sagte Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International. 

Zahl der Todesopfer nach wie vor unbekannt 

Die genaue Zahl der Opfer der jüngsten Gewalt in Kasachstan ist noch nicht bekannt. Die Behörden bestätigten, dass mindestens 18 Ordnungskräfte getötet wurden, machten aber bisher keine Angaben zur Zahl der zivilen Opfer. Am 9. Januar wurde auf einem Telegram-Kanal, der der Regierung zugeordnet wird, die Zahl von 164 Toten genannt, was jedoch später vom Gesundheitsministerium dementiert wurde. Bei der veröffentlichten Zahlenangabe habe es sich um eine technische Störung gehandelt. 

„Das Schweigen der Behörden über die Zahl der Opfer der Unruhen und die Umstände ihres Todes ist empörend. Die Informationen über zivile Opfer müssen sofort veröffentlicht werden“, sagte Marie Struthers. 

Das Schweigen der Behörden über die Zahl der Opfer der Unruhen und die Umstände ihres Todes ist empörend. Die Informationen über zivile Opfer müssen sofort veröffentlicht werden.

Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International

Internetzugang eingeschränkt, Journalist*innen schikaniert, Menschenrechtsbeobachter*innen verunglimpft 

Nach Ausbruch der Proteste blockierten die kasachischen Behörden fünf Tage lang das Internet und schränkten die mobile Kommunikation ein. Währenddessen beschuldigten sie Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Aktivist*innen, die Demonstrationen angestachelt zu haben. Außerdem nahmen sie zahlreiche unabhängige Journalist*innen fest. 

Am 7. Januar wurde der Chefredakteur der unabhängigen Wochenzeitung Uralskaya Nedelya, Lukpan Akhmedyarov, festgenommen und zu 10 Tagen Haft verurteilt, da er gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben soll, das unangemessen restriktiv ist. Am 5. Januar wurden zwei Journalist*innen des lokalen Radiosenders von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), Azzattyk, im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung während der Proteste willkürlich festgenommen und verhört. Am 10. Januar wiesen die Behörden außerdem die unabhängige Informationsagentur Fergana.ru an, einen Bericht über die Krise von ihrer Website zu nehmen – andernfalls drohe eine strafrechtliche Verfolgung.  Ausländischen Journalist*innen soll die Einreise verweigert worden sein. Zwar wurde der Internetzugang bis zum 10. Januar wiederhergestellt, doch die Behörden unterbrechen ihn immer noch regelmäßig. An einigen Orten können mobile Messengerdienste nach wie vor nicht genutzt werden. 

„Die Behörden müssen den Internetzugang uneingeschränkt wiederherstellen, alle anderen Formen der Kommunikation wieder freigeben und die Repressalien gegen diejenigen einstellen, die unabhängige Nachrichten verbreiten. In einer Krise sind unabhängige Informationen von entscheidender Bedeutung. Das reflexhafte Abschalten der Kommunikationsmöglichkeiten durch die Behörden kam einer Haft ohne Kontakt zur Außenwelt für die gesamte Bevölkerung gleich“, so Marie Struthers. 

„Amnesty International ist nach wie vor zutiefst besorgt über die Art und Weise, wie Präsident Tokajew im staatlichen Fernsehen Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen beschuldigt, Unruhen angezettelt zu haben – ein Narrativ, das inzwischen von verschiedenen Personen in verantwortlichen Positionen in Kasachstan übernommen wurde.“ 

Recht auf ein faires Gerichtsverfahren 

Am 11. Januar teilte das kasachische Innenministerium mit, dass seit den Massenunruhen und den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden fast 10.000 Menschen festgenommen worden seien. Inzwischen wurden bereits mehr als 400 Strafverfahren eingeleitet. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft geht es in den meisten dieser Strafverfahren um Gewalt, einschließlich Tötungen. In einigen Fällen, die Amnesty International bekannt sind, haben die kasachischen Behörden jedoch unter dem vagen Vorwurf der „Aufstachelung zum sozialen Unfrieden“ strafrechtliche Maßnahmen gegen Personen eingeleitet, die friedlich ihre Kritik zum Ausdruck gebracht haben. Dazu gehört auch die Eröffnung eines Strafverfahrens im Zusammenhang mit einer Ein-Personen-Mahnwache, die der Umweltaktivist Artyom Sochnev am 4. Januar in Stepnogorsk abhielt.

Leider sind unfaire Gerichtsverfahren in Kasachstan nach wie vor weit verbreitet, ebenso wie Folter und andere Misshandlungen.

Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International

Das übermäßig restriktive kasachische Gesetz über öffentliche Versammlungen verbietet praktisch jeden Straßenprotest, es sei denn, er wird von den örtlichen Behörden ausdrücklich genehmigt. Auf der Grundlage dieses Gesetzes müssen Tausende Einwohner*innen Kasachstans, die in den vergangenen Tagen an friedlichen Protesten teilgenommen haben, mit Festnahme und bis zu 15 Tagen Haft oder Geldstrafen rechnen.

„Wir sind äußerst besorgt über die Haftbedingungen und die Gründe für die Festnahme von Tausenden von Menschen. Außerdem werden Personen vermisst, darunter der Journalist Makhambet Abzhan, dessen Verbleib seit dem 6. Januar unbekannt ist“, sagte Marie Struthers.

„Leider sind unfaire Gerichtsverfahren in Kasachstan nach wie vor weit verbreitet, ebenso wie Folter und andere Misshandlungen. Rechtsbeiständen wird oft der Zugang zu ihren Mandant*innen verwehrt und sie werden routinemäßig durch Geheimhaltungsverfügungen mundtot gemacht.  Der Anwalt Yubzal Kuspan wurde selbst festgenommen und befindet sich seit zehn Tagen in Haft, nur weil er an einer friedlichen Demonstration teilgenommen hat.“

Wie groß die Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen ist, zeigt der Fall von Vikram Ruzakhynov, einem Jazzmusiker aus dem benachbarten Kirgisistan, der in Kasachstan auf Tournee war. Am Sonntag übertrug das kasachische Staatsfernsehen sein Verhör, bei dem ein stark angeschlagener Ruzakhynov „gestand“, von „Fremden“ angeworben worden zu sein, um gegen Geld „an einer Protestkundgebung teilzunehmen“. Ruzakhynov wurde am Montag nach einem diplomatischen Protest aus Kirgisistan freigelassen.

„Alle Personen, die willkürlich inhaftiert wurden, nur weil sie an den Protesten teilgenommen haben, müssen sofort freigelassen werden. Demonstrierende, die beschuldigt werden, international als Straftaten anerkannte Gewalt begangen zu haben, müssen faire Verfahren in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen erhalten. In der Zwischenzeit müssen alle Berichte über Misshandlungen durch Sicherheitskräfte wirksam untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Marie Struthers. 

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