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© Amnesty International/Vincent Tremeau

news © Amnesty International/Vincent Tremeau

Internationaler Tag der Opfer des Verschwindenlassens

30. August 2016

Kamerun muss Aufenthaltsort von 130 Buben und Männern bekanntgeben

Auf der Straße entführt, zu Hause abgeholt, während einer Demonstration festgenommen. Wahrscheinlich gefoltert. Keine Angaben über den Verbleib. Für immer verschwunden?

Weltweit lassen repressive Regimes ihre politischen Gegner „verschwinden“. Amnesty International verurteilt dieses Vorgehen als besonders schwere Menschenrechtsverletzung.

Von „Verschwindenlassen“ spricht man, wenn Sicherheitskräfte Menschen gefangen nehmen oder entführen, die Festnahme aber nicht bestätigen oder Informationen über den Verbleib des Opfers verweigern. Vor allem Oppositionelle und Menschenrechtsverteidiger*innen sind häufig Opfer von „Verschwindenlasen“. Die Täter bleiben meist straffrei, und nicht selten bleibt das Schicksal der „Verschwundenen“ für immer ungeklärt. Diese schreckliche Ungewissheit ist gerade für Familie und Freunde besonders belastend: Was ist mit dem Ehemann, der Tochter oder dem Freund passiert?

Kamerun: Verbrechen im Kampf gegen Boko Haram

Die Behörden in Kamerun müssen den Aufenthaltsort von mehr als 130 Buben und Männern bekanntgeben, die seit ihrer Festnahme vor 20 Monaten „verschwunden“ sind. Dies fordert Amnesty International anlässlich des Internationalen Tags der Opfer des Verschwindenlassens am 30. August. Die Buben und Männer waren während einer Militäroperation gegen mutmaßiche Mitglieder der bewaffneten Gruppe Boko Haram verschleppt worden.

Am 27. Dezember 2014 riegelten kamerunische Sicherheitskräfte im Rahmen einer Fahndungsoperation die Ortschaften Magdeme und Doublé im Bezirk Mayo-Sava in der Region Extrême-Nord ab. Sie nahmen mehr als 200 Männer und Buben willkürlich fest. Noch in der Nacht starben mindestens 25 Männer im Gewahrsam. 45 Personen wurden am nächsten Tag in das Gefängnis von Maroua verlegt. Seither sind wegen schlechter Haftbedingungen drei der Inhaftierten gestorben. Von den restichen mehr als 130 Buben und Männern fehlt seitdem jede Spur.

Die kamerunischen Behörden müssen sich für das Schicksals dieser Menschen verantworten. Für die Familien, die schon so lange auf Nachricht von ihren ’verschwundenen’ Angehörigen warten, wird das beharrliche Schweigen der Regierung immer unerträglicher.

Alioune Tine, Regionaldirektor von Amnesty International für West- und Zentralafrika

„Kamerun darf Menschenrechtsverletzungen nicht länger mit dem Kampf gegen Boko Haram rechtfertigen.“

Bei der Fahndungsoperation im Dezember 2014 wurden zudem mindestens neun Zivilpersonen rechtswidrig von Sicherheitskräften getötet, darunter auch ein Kind. Darüber hinaus wurden mehr als 70 Häuser und andere Gebäude zerstört.

Amnesty International betrachtet die mehr als 130 nach wie vor „verschwundenen“ Buben und Männer als Opfer des Verschwindenlassens. Dies stellt ein völkerrechtliches Verbrechen dar. Kamerun muss den Verbleib dieser Personen umgehend offenlegen und sicherstellen, dass eine unabhängige, gründliche und wirksame Untersuchung der Fälle von Verschwindenlassen eingeleitet wird. Die Verantwortlichen müssen in fairen Verfahren ohne Rückgriff auf die Todesstrafe vor Gericht gestellt werden.

Amnesty International hat eine Liste mit den Namen aller „Verschwundenen“ erstellt und sie an den kamerunischen Verteidigungsminister, Justizminister und den Militäreinsatzleiter im Norden des Landes weitergeleitet. Die Familien der Betroffenen haben jedoch nach wie vor nichts von den Behörden gehört.

„Wir wissen einfach nicht mehr weiter“

Eine Frau, deren Mann und zwei Söhne bei dem Einsatz „verschwanden“, sagte gegenüber Amnesty International: "Wir wissen einfach nicht mehr weiter. Ich war schon achtmal beim Gefängnis von Maroua. Wir brauchen Hilfe. Die Behörden müssen uns sagen, wo unsere Angehörigen sind."

Ein Augenzeuge beschrieb den Einsatz der Sicherheitskräfte, bei dem die mehr als 130 Buben und Männer festgenommen wurden, folgendermaßen:

Wir hörten überall Schüsse. Alle haben sich gefragt, was los ist. Überall waren plötzlich Soldaten. Dann nahmen sie einige der Männer, zogen sie aus und schlugen auf sie ein und durchsuchten sie die Häuser nach weiteren Personen. Dann trieben die Soldaten alle zusammen und luden sie in ihre Kleinlaster. Wir suchten überall nach ihnen, konnten sie aber nicht finden.

Den Behörden zufolge waren die 25 Männer und Buben, die im Gewahrsam starben, in einer provisorischen Zelle der Gendarmerie von Maroua in der Region Extrême-Nord untergebracht. Ihre Familien haben nie eine offizielle Bestätigung über deren Tod erhalten und auch keine Informationen über die Todesursache, die Todesumstände oder den Ort, an dem ihre Angehörigen begraben wurden.

Verantwortliche müssen zur Rechenschaft gezogen werden

Im März 2015 kündigten die Behörden eine interne Untersuchung der Todesfälle an, die im Verteidigungsministerium durchgeführt werden sollte. Die Untersuchungsergebnisse sind nie öffentlich gemacht worden und nur eine Person muss sich bisher vor Gericht verantworten: Oberst Zé Onguéné Charles, der Leiter der Gendarmerie in der Region Extrême-Nord. Die Anklage gegen ihn beschränkt sich jedoch auf "Fahrlässigkeit und Verstoß gegen die Haftregelungen".

Amnesty International hat weitere 17 Fälle mutmaßlichen Verschwindenlassens in der Region Extrême-Nord dokumentiert. Hierbei handelt es sich um Personen, die verdächtigt wurden, Boko Haram zu unterstützen. Sie „verschwanden“ zwischen Juni 2014 und Juni 2016.

Die Behörden müssen die Ereignisse in Magdeme und Doublé gründlich und unparteiisch untersuchen und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Außerdem müssen die Familien der Betroffenen umfassend und effizient entschädigt werden.

Alioune Tine