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Fragen & Antworten zum Israel/Gaza Konflikt

24. Mai 2016

Die Zivilbevölkerung muss geschützt werden. Staaten müssen internationale Menschenrechtsnormen einhalten.

Die wichtigsten Fragen beantwortet Amnesty International in diesem Video.

Wie steht Amnesty International zur Resolution des UN-Menschenrechtsrats vom 23. Juli 2014? Was sollte nun geschehen?

Amnesty International begrüßt die Resolution S-21/1 mit dem Auftrag zur Bildung einer Untersuchungskommission. Die Resolution ist so formuliert, dass die Untersuchungskommission Völkerrechtsverstöße durch alle beteiligten Konfliktparteien untersuchen kann.

Die Untersuchungskommission bietet eine wichtige Chance, den Teufelskreis anhaltender Straflosigkeit für Völkerrechtsverstöße in Israel und den besetzen palästinensischen Gebieten zu durchbrechen.

Um effektiv zu sein, muss die Untersuchungskommission gründlich, unabhängig und unparteiisch arbeiten, und Verletzungen durch alle Konfliktparteien untersuchen. Sie muss mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden und uneingeschränkten Zugang zu allen relevanten Gebieten erhalten.

Amnesty International fordert alle Staaten – einschließlich aller EU-Mitgliedstaaten, die sich bei der Abstimmung über die Resolution der Stimme enthalten haben – auf, mit der Untersuchungskommission zusammenzuarbeiten.

Welche sind die wichtigsten Verpflichtungen nach humanitärem Völkerrecht, die die Konfliktparteien einhalten müssen, solange die Kampfhandlungen andauern?

Während eines bewaffneten Konflikts müssen alle Parteien – ob staatliche oder nicht-staatliche bewaffnete Streitkräfte – das humanitäre Völkerrecht respektieren, das zum Ziel hat, die Zivilbevölkerung mittels klarer Verhaltensregeln für alle Beteiligten zu schützen. Zudem sind Staaten dazu verpflichtet, während eines Konflikts nach wie vor auch internationale Menschenrechtsnormen einzuhalten.

Gemäß humanitärem Völkerrecht müssen alle Parteien in einem bewaffneten Konflikt zwischen militärischen Zielen und der Zivilbevölkerung und zivilen Einrichtungen unterscheiden. Nur Erstere dürfen direkt angegriffen werden.

Absichtliche Angriffe auf Zivilpersonen oder zivile Objekte – wie Wohnhäuser, medizinische Einrichtungen, Schulen, Regierungsgebäude –, welche nicht zu militärischen Zwecken genutzt werden, sind verboten und stellen Kriegsverbrechen dar.

Wahllose und unverhältnismäßige Angriffe (das heißt Angriffe, bei welchen das wahrscheinliche Ausmaß ziviler Opfer oder der Zerstörung ziviler Objekte in keinem Verhältnis zu den erwarteten militärischen Vorteilen steht) sind ebenfalls verboten.

Alle Parteien müssen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um bei einem Angriff den Schaden an Zivilpersonen und zivilen Einrichtungen zu minimieren. Dazu gehört, dass die Zivilbevölkerung im Voraus innerhalb einer angemessenen Frist vor Angriffen gewarnt wird, und dass ein Angriff gestoppt oder unterbrochen wird, wenn sich herausstellt, dass es sich um ein ziviles Ziel handelt oder dass der Angriff unverhältnismäßig wäre. Auch müssen die Konfliktparteien alle möglichen Vorkehrungen treffen, um die Zivilbevölkerung auf ihrem eigenen Gebiet vor den Auswirkungen von Angriffen zu schützen. Beispielsweise müssen kriegführende Parteien vermeiden, die Zivilbevölkerung in Gefahr zu bringen, indem sie Munition in zivilen Wohngebieten lagern und von dort aus Angriffe ausführen.

Welche Völkerrechtsverstöße durch israelische Streitkräfte im Gazastreifen hat Amnesty International beobachtet, seit Israel am 8. Juli 2014 die Operation ‚Protective Edge‘ begann?

Israelische Streitkräfte haben Angriffe ausgeführt, denen hunderte Zivilistinnen und Zivilisten zum Opfer fielen. Dabei verwendeten sie sowohl Präzisionswaffen wie etwa aus Drohnen abgefeuerte Raketen, als auch unpräzise Artilleriemunition, um dicht besiedelte Wohngebiete wie Shujaya zu beschießen. Sie haben auch Tausende von Wohnhäusern direkt angegriffen. Israel scheint Wohnhäuser von Personen, welche mit der Hamas in Verbindung gebracht werden, als legitime militärische Ziele zu betrachten – ein Standpunkt, der nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar ist.

Im ganzen Gazastreifen wurden mehrere medizinische Einrichtungen und nicht-militärische Regierungsgebäude zerstört oder beschädigt. Die UNO berichtete, dass eine ihrer Schulen im Al-Maghazi Flüchtlingslager im Zentrum von Gaza, die als Unterkunft für Vertriebene diente, mindestens zweimal von israelischen Streitkräften bombardiert wurde.

Am 24. Juli wurde eine weitere Schule in Beit Hanun, im Norden Gazas, in der ebenfalls vertriebene Familien untergebracht waren, Ziel eines Angriffs. Mindestens 15 Zivilpersonen kamen dabei ums Leben, viele weitere wurden verletzt. Die UNO hat auch in diesem Fall eine sofortige Untersuchung gefordert.

Auch wenn die israelischen Behörden angeben, die Zivilbevölkerung in Gaza zu warnen, zeigt sich immer wieder, dass diese Maßnahmen nicht einer ‚wirksamen Warnung‘ nach humanitärem Völkerrecht entsprechen. Angriffe durch Israel haben außerdem zu Massenvertreibungen der palästinensischen Zivilbevölkerung innerhalb des Gazastreifens geführt.

Wie steht Amnesty International zu den wahllosen Raketenangriffen auf Israel durch bewaffnete palästinensische Gruppen aus dem Gazastreifen? Verletzen andere Handlungen bewaffneter palästinensischer Gruppen in Gaza seit dem 8. Juli 2014 das humanitäre Völkerrecht?

Nach Angaben der israelischen Armee haben der militärische Flügel der Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen zwischen dem 8. und 18. Juli über 1.700 Raketen auf Israel abgefeuert. Dutzende weitere kommen jeden Tag dazu. In Israel wurden bisher drei Zivilpersonen getötet. Wohnhäuser und andere zivile Einrichtungen in Israel wurden beschädigt. Das humanitäre Völkerrecht verbietet den Gebrauch von Waffen, die unterschiedslos wirken. Die Raketen, welche aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert werden, können nicht zielgenau ausgerichtet werden, ihre Verwendung verletzt deshalb humanitäres Völkerrecht.

Das wahllose Abfeuern von Raketen und Mörsergranaten gefährdet auch die palästinensische Zivilbevölkerung innerhalb des Gazastreifens und in der West Bank.

Auch lassen die Aussagen einiger Befehlshaber bewaffneter palästinensischer Gruppen darauf schließen, dass diese keine Skrupel haben, die israelische Zivilbevölkerung anzugreifen, und solche Angriffe sogar mit der erklärten Absicht ausführen, israelische Zivilpersonen zu töten und zu verletzen. Angriffe, die direkt gegen die Zivilbevölkerung gerichtet sind, und wahllose Angriffe, die zivile Tote oder Verletzte zur Folge haben, stellen Kriegsverbrechen dar.

Wenn das israelische Militär die Bewohnerinnen und Bewohner eines bestimmten Gebietes im Gazastreifen auffordert, das Gebiet zu evakuieren, erfüllt dies Israel Verpflichtung nach humanitärem Völkerrecht, Zivilpersonen zu schützen?

Die effektive und frühzeitige Warnung von Zivilpersonen ist nur eine der vorgeschriebenen Präventionsmaßnahmen, welche den Schaden an der Zivilbevölkerung bei Angriffen minimieren sollen. Die von den israelischen Streitkräften ausgesprochenen Warnungen entsprechen in vielen Fällen nicht den Kriterien einer ‚wirksamen Warnung‘: Diese sind unter anderem die Rechtzeitigkeit der Warnung, die Angabe sicherer Zufluchtsorte, die Gewährleistung sicherer Fluchtwege sowie genügend Zeit für die Gewarnten, vor dem Angriff zu fliehen. Es gibt Berichte über tödliche Angriffe, welche zu rasch nach einer Warnung ausgeführt wurden.

Eine frühzeitige Warnung entbindet jedoch die Streitkräfte nicht von ihrer Verpflichtung, Zivilpersonen zu verschonen und alle erforderlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um zivile Opfer und Schäden an zivilen Einrichtungen zu vermeiden.

Die anhaltende militärische Blockade des Gazastreifens durch Israel und die Schließung des Übergangs bei Rafah durch die ägyptischen Behörden seit Beginn der Kriegshandlungen bedeuten zudem, dass die Zivilbevölkerung in Gaza nicht in die Nachbarländer fliehen kann.

Die israelischen Behörden behaupten, dass die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen in Gaza palästinensische Zivilpersonen als ‚menschliche Schutzschilde‘ missbrauchen. Liegen Amnesty International Hinweise vor, dass dies während der momentanen Kriegshandlungen passiert?

Amnesty International verfolgt und untersucht derartige Berichte, hat aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Hinweise darauf, dass palästinensische Zivilpersonen von der Hamas oder anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen im Zuge der laufenden Kampfhandlungen absichtlich zur ‚Abschirmung‘ bestimmter Einrichtungen oder militärischen Personals oder Ausrüstung vor israelischen Angriffen verwendet wurden.

In früheren Konflikten hat Amnesty International dokumentiert, dass bewaffnete palästinensische Gruppen unter Verletzung des humanitären Völkerrechts Munition in Wohngebieten gelagert und von dort aus wahllos Raketen abgefeuert hatten.

Im aktuellen Konflikt sind auch Meldungen aufgetaucht, wonach die Hamas die Zivilbevölkerung dazu gedrängt haben soll, israelische Aufforderungen zur Evakuierung zu ignorieren. Das kann aber auch im Bestreben geschehen sein, Panik und Fluchtbewegungen zu minimieren. In beiden Fällen wäre ein solcher Aufruf nicht mit der Aufforderung gleichzusetzen, Zivilpersonen sollten als ‚menschliche Schutzschilde‘ für Kämpfer, Munition oder militärische Ausrüstung in ihren Häusern bleiben. Nach humanitärem Völkerrecht bliebe Israel Verpflichtung, die Zivilbevölkerung zu schützen, jedoch selbst dann aufrecht, wenn solche ‚menschliche Schutzschilde‘ zum Einsatz kämen.  

Laut Berichten haben die israelischen Streitkräfte bei ihrer gegenwärtigen Militäroperation im Gazastreifen sogenannte Flechette-Munition verwendet. Was sagt Amnesty International zum Einsatz solcher Waffen? Hat das israelische Militär auch früher schon Flechettes im Gazastreifen verwendet?

Flechettes sind 3,5 cm lange spitze Stahlprojektile, die zu 5.000 bis 8.000 Stück in Granaten verpackt und üblicherweise von Panzern aus abgeschossen werden. Die Granaten explodieren in der Luft und streuen die Projektile in einem konischen Muster über ein Gebiet von ca. 300 mal 100 Metern. Flechettes wurden für die Abwehr von großangelegten Infanterie-Angriffen oder den Kampf gegen große Truppenverbände im offenen Gelände konzipiert. Bei Einsätzen in dicht besiedelten Gebieten stellen sie natürlich eine überaus große Gefahr für die Zivilbevölkerung dar.

Lokale Menschenrechtsgruppen haben über Fälle berichtet, in denen Zivilpersonen im Gazastreifen durch Flechette-Munition getötet oder verletzt wurden. Amnesty International konnte während der aktuellen Kampfhandlungen bisher keine konkreten derartigen Fälle verifizieren, hat jedoch in früheren Konflikten, etwa während der Operation ‚Cast Lead‘, die Verwendung von Flechette-Waffen durch die israelischen Streitkräfte dokumentiert. Dabei kamen Zivilpersonen ums Leben, darunter auch Kinder.
Der Gebrauch von Flechette-Waffen ist nach humanitärem Völkerecht nicht an sich verboten. Sie sollten jedoch niemals in dicht besiedelten Gebieten zum Einsatz kommen.

Was fordert Amnesty International aktuell von der internationalen Gemeinschaft?

Alle Staaten (insbesondere die wichtigsten Waffenlieferanten, etwa die USA für Israel) müssen jegliche Lieferungen von Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung und Technologie an alle am Konflikt beteiligten Parteien umgehend einstellen, solange ein erhebliches Risiko besteht, dass diese für schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte eingesetzt werden. Der Lieferstopp sollte alle indirekten Exporte über Drittländer mit einschließen, ebenso den Transfer militärischer Bestandteile und Technologien sowie Vermittlungs-, Finanz- oder Logistik-Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Abwicklung solcher Lieferungen.

Die Staaten sollten den Bericht der UNO-Untersuchungskommission über den Gaza-Konflikt von 2009 (sogenannter Goldstone-Bericht) und den künftigen Bericht der kürzlich vom Menschenrechtsrat eingesetzten Untersuchungskommission als Grundlage nutzen, um Völkerrechtsverstöße nach dem Weltrechtsprinzip vor ihren nationalen Gerichten zu untersuchen und zu verfolgen.

AI Index: MDE 15/018/2014
Israel/Gaza Konflikt, Juli 2014

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