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Die Pharmaindustrie hat es in der Hand, diese Pandemie zu beenden. Was hält sie davon ab?

12. November 2021
von Sandra Iyke, Campaignerin bei Amnesty International Österreich

„Wegen Impfstoff-Knappheit heute keine Impfung“ – ein Satz, den wir nur selten an den Türen hiesiger Impfzentren lesen müssen, ist in vielen Ländern der Welt tägliche Realität. Nur 1,4 Prozent der Menschen in den einkommensschwächsten Ländern der Welt sind vollständig geimpft**. Warum? Weil Impfstoff-Hersteller*innen wie Pfizer, BioNTech und Moderna den Zugang zu Impfstoffen maßgeblich behindern. Sie verkaufen ihre Impfstoffe vorwiegend zu hohen Preisen an reiche Staaten. Deshalb kämpfen viele ärmere Länder nach wie vor wenig aussichtsreich mit dem Virus, während Expert*innen für Länder mit hoher Impfrate – wie Spanien und Portugal – ein Ende der Pandemie im ersten Halbjahr 2022 erwarten.

Doch es ist trügerisch, davon auszugehen, dass eine Pandemie in einzelnen Ländern beendet werden kann. Eine Pandemie bezeichnet einen Krankheitsausbruch, der die gesamte Welt betrifft – entsprechend kann sie auch nur weltweit beendet und bekämpft werden. Solange das Virus in einzelnen Teilen der Welt weiterhin zirkuliert, wird er den Alltag aller Menschen auf der Welt bestimmen. 

Über die Autorin

Sandra Iyke ist Campaignerin bei Amnesty International Österreich und leitet die Kampagne Faire Dosis, mit der wir fairen Zugang zu Impfstoffen weltweit für alle Menschen fordern.

Es ist nicht vorbei, bis es für alle vorbei ist

Für die meisten Menschen in den ärmsten Ländern stellt sich die Frage nicht, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Es gibt keine Impfstoffe und somit auch keine Möglichkeit, sich durch eine Impfung vor einem schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 zu schützen.

Die Lösung ist also auch auf globaler Ebene im Zusammenhalt und in solidarischem Handeln zu finden. Zu Beginn der Pandemie hat sich die Weltgemeinschaft zusammengetan und nach gemeinsamen Lösungen gesucht. Das Resultat war, dass die großen Pharmafirmen innerhalb kürzester Zeit die erhofften Impfstoffe entwickeln konnten, da ihnen hohe Summen öffentlicher Gelder zur Verfügung gestellt wurden.

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Diese großartigen Neuigkeiten gingen leider mit einem Ende der Solidarität und der Zusammenarbeit einher. Nun – mit einem Hoffnungsstreif am Horizont – galt wieder das Recht des Stärkeren.

Reiche Staaten kauften Unmengen von noch nicht einmal produzierten und lieferbaren Impfdosen auf, die jetzt oftmals ungenutzt gelagert oder im Extremfall sogar vernichtet werden, weil sie das Haltbarkeitsdatum überschritten haben.

Doch selbst wenn die reichen Staaten sich nicht übermäßig mit Impfstoffdosen eingedeckt hätten, wäre es für viele der einkommensschwachen Staaten nicht möglich gewesen, ausreichend Impfstoffe zu kaufen. Denn die die großen Pharmafirmen verkauften ihre Impfstoffe zu überhöhten Preisen und liefer(te)n im Extremfall gar nicht erst an ärmere Länder.

Manch eine*r stellt sich jetzt vielleicht die Frage, wie das möglich ist, wo die Forschung und Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe doch großteils aus öffentlichen Geldern finanziert wurde. Nun, in der gebotenen Eile wurden die benötigten Gelder ohne daraus folgende Verpflichtungen für die Pharmafirmen vergeben. Es hat sich herausgestellt, dass sich mit den COVID-19-Impfstoffen gutes Geld verdienen lässt, wie die Bilanzen von Pharmafirmen wie Pfizer, Moderna und Biontech zeigen.

Keine Verpflichtungen? Nicht ganz!

Freiwillige Initiativen wie der von der WHO initiierte C-TAP, über den Pharmaunternehmen ihre Rezepturen und ihr Know-How teilen könnten, blieben ungenutzt. Weltweite Bemühungen, Ausnahmeregelungen für geistiges Eigentum zu erwirken, werden nach wie vor von einzelnen reichen Staaten und Regionen blockiert (richtig geraten: die EU ist hier eine wichtige Hürde).

Wenn Pharmafirmen ihr Wissen und ihre Technologien teilen, können Impfstoffe nicht nur schneller, sondern auch direkt dort, wo man sie benötigt, produziert werden. Die notwendige Infrastruktur findet sich auf allen Kontinenten. Wir hätten also eine reale Chance, dass die Pandemie bald für uns alle vorbei sein wird. Auch wenn es keine verbindlichen Verpflichtungen bei der Vergabe der Forschungsgelder gab, handelt es sich hierbei nicht um eine Wohltätigkeit der Firmen, sondern um ihre menschenrechtliche Verpflichtung. Ebenso wie jedes andere Unternehmen – insbesondere international und global agierende Unternehmen – müssen auch Pharmafirmen die Menschenrechte achten. Ihr Tun darf nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen oder solche verschärfen. Die Erfahrungen der letzten 18 Monate zeigen uns, dass eine Vielzahl von Menschenrechten von der Pandemie direkt oder indirekt betroffen sind: angefangen beim Recht auf Gesundheit und Leben bis hin zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, die durch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie bedroht sind. 

Derzeit können die Produktionsstätten der wenigen Herstellerfirmen von COVID-19-Impfungen nicht rasch genug produzieren, um weltweit genug Impfdosen für alle Menschen zu sichern. Eine Ausweitung der Produktionskapazitäten wäre möglich. Sei es in der EU, in Südafrika, Nigeria, Brasilien oder Indien​: Weltweit wären gut vier Dutzend Unternehmen in der Lage, COVID-19-Impfstoffe zu produzieren. In Indien werden bereits jetzt Impfstoffe nach hohen Qualitätskriterien für den Rest der Welt hergestellt.

Das Recht auf Gesundheit von Millionen Menschen zu sichern, ist keine Frage der Machbarkeit, sondern einzig und allein eine Frage des Willens. Wenn die großen Hersteller-Firmen Leben retten wollen, können sie gleich heute damit anfangen – indem sie endlich Menschenleben über Profite stellen. Deshalb dürfen wir nicht müde werden, sie an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Es müssen ausreichend COVID-19-Impfstoffe und Medikamente für alle Menschen weltweit verfügbar gemacht werden. Auch wenn es für uns in unserem Alltag nicht sichtbar ist, bleibt die Pandemie eine globale Krise. Wir werden sie nur lösen, wenn wir auf globale Zusammenarbeit setzen und, wenn alle Menschenrechte auch wirklich für alle Menschen gelten.

Amnesty International fordert die großen Pharmafirmen auf, bis Ende des Jahres 2021 2 Milliarden Dosen Impfstoffe für Menschen in einkommensschwachen Ländern zur Verfügung zu stellen. Die Zeit läuft. Noch ist es nicht zu spät.

**Quelle: Our World in Data. Stand: 21. Oktober 2021

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