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© AHMAD SAHEL ARMAN/AFP/picturedesk.com

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Afghanistan: Mädchen und Frauen kämpfen trotz großer Gefahr weiter für Recht auf Bildung

28. März 2022

Zusammenfassung

  • Am 23. März ließen die Taliban Schülerinnen weiterführender Schulen erstmals in Klassen zurückkehren, nur um sie um 9 Uhr morgens wieder nach Hause zu schicken
  • Frauen und Mädchen kämpfen auf den Straßen Kabuls, Nangarhars und Badachschans weiter um ihr Recht auf Bildung
  • Schülerin berichtete Amnesty von Übergriffen auf Protestierende
  • Internationale Gemeinschaft muss in Verhandlungsgesprächen mit Taliban dringend Druck ausüben und das Recht auf Bildung für Mädchen und Frauen einfordern

Die Taliban haben ihre Zusage widerrufen, Mädchen in Afghanistan den Zugang zu weiterführenden Schulen zu ermöglichen. Schülerinnen äußerten gegenüber Amnesty International, dass sie „am Boden zerstört“ und „traumatisiert“ seien.

Am 23. März durften Schülerinnen der weiterführenden Schulen zum ersten Mal seit sieben Monaten in ihre Klassenzimmer zurückkehren. Viele Mädchen warteten morgens ungeduldig darauf, nun endlich mit dem Unterricht beginnen zu können. Stattdessen verkündete die Taliban-Führung um 9 Uhr morgens, die Schulen für Mädchen so lange geschlossen zu halten, „bis die Schuluniformen im Einklang mit dem afghanischen Brauchtum, der Kultur und der Scharia gestaltet sind.“ Alle Mädchen mussten ihre Schulen unverzüglich wieder verlassen.

„Es ist ein alter Trick der Taliban, sich auf die Scharia und die afghanische Kultur zu stützen, um Frauen und Mädchen ihre Rechte zu verweigern. So eine Rechtfertigung für die erschütternde Kehrtwende dieser Woche ist völlig inakzeptabel. Dieser Rückschritt stellt eine offenkundige Verletzung des Rechts auf Bildung dar und wirft einen Schatten auf die Zukunft von Millionen Mädchen in Afghanistan. Mädchen das Recht auf Bildung zu verweigern wird weitreichende Auswirkungen auf die Aussichten des Landes haben, was den sozialen Wiederaufbau und das Wirtschaftswachstum angeht“, sagte Yamini Mishra, Regionaldirektorin für Südasien bei Amnesty International.

Amnesty International ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Recht auf Bildung von Frauen und Mädchen in Verhandlungsgesprächen mit den de-facto Behörden der Taliban zu einer Priorität zu machen. Die Taliban müssen Mädchen aller Altersstufen ohne weitere Verzögerung erlauben, die Schule zu besuchen und damit aufhören, mit zynischen Vorwänden ihre diskriminierende Agenda weiterzuverfolgen.

Yamini Mishra, Regionaldirektorin für Südasien bei Amnesty International

„Wir waren alle am Boden zerstört“

Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleiter*innen und Frauenaktivist*innen waren erschüttert, als sie nur wenige Stunden, nachdem sie an die Schulen zurückgekehrt waren, von der neuen Anordnung der Taliban erfuhren. Erneut sahen sie sich mit einer Realität konfrontiert, in der ihnen Bildung verweigert wird.

Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan vor sieben Monaten haben sich die Taliban mehrfach verpflichtet, das Recht von Mädchen auf Bildung zu respektieren. Das de-facto Bildungsministerium der Taliban hatte am 20. März in einer Stellungnahme angekündigt, dass alle Schulen nach den Winterferien am 23. März wieder öffnen würden. Dennoch blieben die weiterführenden Schulen für Mädchen geschlossen. In der Provinz Herat blieben die Sekundarschulen nur für zwei Tage geöffnet. Am dritten Tag wurde den Schülerinnen mitgeteilt, dass die Schulen für sie geschlossen bleiben würden.

Die 17-jährige Nadia besucht die 12. Klasse in der Provinz Badachschan. Sie erzählte Amnesty International am 24. März: „Ich war wahnsinnig aufgeregt und ging mit riesiger Hoffnung in die Schule. Dort traf ich meine Klassenkamerad*innen und Lehrer*innen. Wir waren alle so glücklich und freuten uns auf den Unterrichtsbeginn. Doch nach einigen Minuten kam unsere Schulleiterin und teilte uns mit, dass wir alle wieder gehen müssten. Sie hatte die Anweisung erhalten, die Mädchenschule zu schließen. Wir waren alle am Boden zerstört. Einige von uns fingen an zu weinen, anderen hatte es die Sprache verschlagen. Ich wollte die Schule nicht wieder verlassen, aber ich zwang mich, zum Ausgangstor zu gehen. Es hat mir das Herz gebrochen, die Schule wieder zu verlassen, ohne zu wissen, ob es mir je wieder erlaubt sein wird zurückzukommen.“

Frauen und Mädchen protestieren auf den Straßen Kabuls, Nangarhars und Badachschans

Seit dem 23. März protestieren in Kabul, Nangarhar und Badachschan Einwohner*innen, Schüler*innen und Frauenrechtler*innen und fordern von den Taliban, die weiterführenden Schulen für Mädchen sofort wieder zu öffnen. Am Samstag gingen mehrere junge Frauen dafür in Kabul auf die Straße. In von Amnesty International verifizierten Videos sah man Frauenaktivist*innen, die mahnten, dass dieser Schritt zu einem Verlust von Talenten führen würde. Außerdem würde die erzwungene Isolation eine Traumatisierung zur Folge haben und Zukunftsperspektiven zunichtemachen.

„Wir haben den Taliban unseren Stift gezeigt und ihnen gesagt, dass wir ein Recht auf Bildung haben. Wir sangen im Chor: ‚Wir wollen lernen!‘“

Verschiedene weiterführende Schulen in Kabul berichteten, dass Mädchen auf ihr Schulgelände zurückkehrten, doch schon kurz darauf die Anweisung erhielten, wieder nach Hause zu gehen. Die 16-jährige Nakisa, die in Kabul die 11. Klasse besucht, war eine der Schülerinnen, die am 23. März zur Schule gingen.

Obwohl ich Angst und Unsicherheit empfand, ging ich zur Schule. (…) Doch gestern betraten die Taliban ohne Erlaubnis unser Schulgelände und wiesen unsere Schulleiterin an, alle Mädchen wieder nach Hause zu schicken und die Schule zu schließen. Sie begann zu weinen.

Nakisa, Schülerin

Nakisa erzählte Amnesty International außerdem, wie die Schüler*innen mutig gegen die rückschrittliche Entscheidung protestierten – und dafür von den Taliban körperlich misshandelt wurden: „Wir begannen zu protestieren [...] Wir haben den Taliban unsere Stifte gezeigt und ihnen gesagt, dass wir ein Recht auf Bildung haben. Wir sangen im Chor: ‚Wir wollen lernen!‘ Sie fingen daraufhin an, uns zu misshandeln und zu schubsen, um unseren Protest zu stoppen. Außerdem bedrohten sie unsere Schulleiterin und behaupteten, dass sie uns zu unserem Protest angestachelt hätte. Die Respektlosigkeit dieser gewalttätigen Männer gegenüber unserer Schulleiterin mitanzusehen war erschütternd.“

Internationale Gemeinschaft darf Mädchen in Afghanistan nicht im Stich lassen

„Der Mut der Mädchen und Frauen, die weiter ihr Recht auf Bildung und eine bessere Zukunft einfordern, lässt einen demütig werden. Sie kämpfen für Hoffnung, und die internationale Gemeinschaft darf sie jetzt in dieser kritischen Zeit nicht im Stich lassen“, so Yamini Mishra.

Die Frauenrechtlerin Nawida Khorasani rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, von den Taliban Rechenschaft und das Einhalten ihrer eingegangenen Verpflichtungen bezüglich Frauenrechten einzufordern. "Der aktuelle Schritt der Taliban ist eine ganz klare Verletzung von Verpflichtungen, die sie bezüglich Frauenrechten eingegangen sind, und die internationale Gemeinschaft muss sie dafür zur Rechenschaft ziehen", sagt Nawida Khorasani.

Langsam aber sicher scheinen die Taliban zu ihrer repressiven Politik der 1990er-Jahre zurückzukehren. Damals waren alle Mädchenschulen verboten und Frauen durften sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen.

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